„Spiel-mich“-Klavier und A-capella-Song Musikvideos aus den Flutgebieten werden zu Internet-Hits

Kreis Ahrweiler · In den Straßen von Bad Neuenahr-Ahrweiler ist derzeit vor allem eines zu hören: Motorenlärm. Doch manchmal können die vielen Helfer Zeugen eines kleinen Spontan-Konzertes werden.

Flutkatastrophe: „Spiel-mich-Klavier“ wird zum Internethit
Foto: Ursula Stopp

Schon beim Infopoint am Marktplatz in Ahrweiler weiß die freiwillige Helferin genau wonach gesucht wird: „Das berühmte Klavier? Das steht da hinten in der Altenbaustraße.“ Auf dem Weg bis zum Weißen Turm stapeln sich rechts und links die Schutthaufen vor den Häusern, aber ein altes Klavier ist nicht zu sehen, geschweige denn zu hören. Ein älterer Herr, Peter Schröder, kann aber von der Aktion berichten. Das Klavier hätte die letzten Tage auf der gegenüberliegenden Straße gestanden, zwischen der alten Synagoge und dem Fachwerkhaus mit den grünen Fensterläden. Schröder habe selber gesehen und gehört, wie Helfer und Anwohner hier kleine Stücke gespielt haben. Mit Schlamm hatte jemand „spiel mich“ darauf geschrieben.

Eine Situation ist dem älteren Herrn besonders im Kopf geblieben: „Der Jan von gegenüber hat sich einfach drangesetzt und eine kleine Melodie gespielt. Ich kannte sie nicht, vielleicht hat er sie selber komponiert, aber ich werde sie immer wieder erkennen.“ In einem Radiobeitrag über das „Spiel-mich-Klavier“ von der Ahr, habe er die Melodie an diesem Morgen nochmal gehört. „Das war ergreifend und bezaubernd“, sagt er.

Das Erdgeschoss des Fachwerkhauses ist komplett leer. Zwei junge Männer und eine Frau schieben noch den letzten Schlamm in die Ecke. Einer von Ihnen ist der Klavierspielende Jan, aber die drei wollen nicht über ihre neue mediale Bekanntheit reden – einfach nur eine Zigarettenpause machen. Das Klavier gäbe es noch, aber sie hätten es mittlerweile in Sicherheit gebracht.  

Als Dank und Hoffnungsschimmer für die vielen freiwilligen Helfer und die vielen betroffenen Menschen in Lohrsdorf, Heimersheim und Heppingen, hat auch Chorleiter Hagen Anselm-Fritzsche am Sonntagabend kleine Trompeten-Konzerte in den drei Stadtteilen gegeben. Gemeinsam mit der Vorsitzenden Ruth Kantorek sei der neue Chorleiter der Cäcilienchöre 1863/1985 zu diesen Orten gefahren, wo viele der eigenen Chormitglieder wohnen. Im Repertoire: kölsches Liedgut oder auch ein „Großer Gott wir loben Dich“. Über die Reaktionen auf die Spontan-Konzerte sagt Kantorek: „Viele waren sehr gerührt – denen liefen die Tränen runter. Teilweise sind die Leute aber einfach noch mit ganz anderen Dingen beschäftigt“. Die Unterstützung vor Ort für die Mitglieder geht weiter, die musikalischen Einlagen seien aber eine einmalige Aktion gewesen.  

Zum absoluten Click-Hit in den sozialen Netzwerken ist die spontane Gesangseinlage der Accapella Formation „Rondo Vocal“ geworden. Eine Million digitale Zuhörer hat ihr Helfer-Ständchen schon. Das Männer-Quintett hat dabei nicht nur mit seiner Songauswahl „En unserem Veedel“ von den Bläck Fööss einen Nerv getroffen. Die meisten von Ihnen sind im Video selbst noch in schlammverschmierter Helferbekleidung zu sehen und sie stammen aus der Region. Das sieht man nicht, aber man spürt es.

Ihre Prominenz nutzen sie nun und machen auf der Webseite einen Spendenaufruf für die Katastrophenregion. Mit den lyrischen Fragen der Blääck Föös treffen sie das Gefühl vor Ort: „Wie soll dat nur wigger jonn, Wat bliev dann hück noch stonn?“ Und im Refrain fasst die Kölner Mundart Band zusammen, was gerade die ganze Bundesrepublik erstaunen lässt: „He hällt m'r zesamme“.

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