Flutkatastrophe Ahrweiler sammeln Spenden mit dem Verkauf von Flutwein

14 Tage nach der verheerenden Flutkatastrophe rollt die Welle der Solidarität auch für die stark betroffenen Ahrwinzer. Kollegen aus allen Regionen Deutschlands packen mit an. Es gibt Spendenaktionen und den Verkauf von schlammbedeckten Flaschen

Flutkatastrophe: Wein an der Ahr - Spenden mit Verkauf von Flutwein
Foto: dpa/Thomas Frey

Dramatisch anschwellende Musik, Stimmengewirr, Rauschen, Sirenen. Dann drängen verschmutzte Flaschen ins Bild, man erkennt das eingerissene Etikett des Weinguts Kriechel. Soweit das Video für die Aktion „#Flutwein“, die Peter Kriechel zusammen mit der Gastronomin Linda Kleber und dem Ahrwein e.V. initiiert hat. Jede der verschlammten Flaschen sei „ein Unikat mit hohem symbolischen Wert“, heißt es im Internet. Während der Kreis Ahrweiler bat, den verschlammten „Flutwein“ noch nicht zu versenden -– der Schlamm könnte kontaminiert sein –, sieht das Landesuntersuchungsamt in Koblenz keine Bedenken, die Weine aus den geretteten Flaschen zu trinken. Eine Sprecherin sagte, grundsätzlich seien verkorkte oder verschraubte Flaschen dicht. 

Bis zum 1. September läuft auf der Crowdfunding-Plattform startnext.com/flutwein die Spendenaktion „#Flutwein“. In den ersten drei Tagen kamen 250 000 Euro von mehr als 3000 privaten Unterstützern zusammen. Am Mittwochnachmittag stand die Aktion bei 671 530 Euro von 78 521 Unterstützern. Als Dankeschön gibt es „#Flutwein“-Flaschen. Nach einer ersten Schätzung konnten rund 500.000 Flaschen im Ahrtal geborgen werden.

Im Weingut Kriechel in Walporzheim wurden am Schwarzen Mittwoch des Ahrtals beide Keller komplett bis zu sechs Meter geflutet. Durch Wasser und Schlamm wurden dort alle Geräte sowie mindestens 40.000 Liter Wein zerstört, bilanziert die Familie auf Facebook, sieht gleichwohl „Licht am Ende des Tunnels“ dank der großen Anteilnahme, Solidarität und Hilfe von Winzerkollegen aus der ganzen Republik. Das Weingut selbst hat gemischte „Flutpakete“ zusammengestellt, die über den Shop vertrieben werden. Mit dem Hinweis: „Die Flaschen sind durch die Flut äußerlich verschmutzt und die Etiketten teils beschädigt, jedoch einwandfrei.“

Aktion „Der Adler hilft“

14 Tage nach dem verheerenden Hochwasser mit mehr als 130 Toten im Ahrtal und unvorstellbaren Zerstörungen läuft die Solidaritätswelle, insbesondere auch für die erheblich betroffenen Ahrwinzer, an. So hat der Verband Deutscher Prädikatsweingüter (VDP), in dem 200 deutsche Weingüter organisiert sind, darunter sieben von der Ahr, die Aktion „Der Adler hilft“ ins Leben gerufen. Laut Geschäftsführerin Hilke Nagel läuft die Spendenaktion, an der sich viele Partner beteiligen, sehr gut. Zahlen will sie nicht nennen. Nur so viel: dass in absehbarer Zeit erste Zahlungen an betroffene Winzer gehen sollen. „Die Lese einzubringen ist unser nächstes Projekt“, sagt sie, „der nächste Jahrgang ist die Zukunft der Ahr“. Nagel ist auch begeistert von der großen Solidarität unter den Winzern. Sie kann sich in 30 Jahren Berufstätigkeit beim VDP an keine ähnliche Aktion erinnern.

Flutkatastrophe: Wein an der Ahr - Spenden mit Verkauf von Flutwein
Foto: dpa/Thomas Frey

Was in den Weinbergen an der Ahr derzeit fehle, sei Manpower, sagt Theresa Olkus, stellvertretende Geschäftsführerin des VDP, in einem Spendenaufruf. Und ergänzt: „Man braucht Leute mit Know-How.“ Man habe es in erster Linie mit Steillagen zu tun. Das habe zwar den Vorteil, dass nahezu die gesamte Anbaufläche von der Flut verschont wurde, Steillagen aber viermal so viel Arbeit machen wie der Anbau in der Ebene. Gerade im Moment „geht es darum, den Jahrgang zu retten“, sagt Olkus und freut sich, dass Weinbauern aus der ganzen Republik mit Notstromaggregaten Staplern, Baggern und vielen Helfern ins Ahrtal gekommen sind.

Im September beginnt die Weinlese

Um die Weinberge könne sich momentan kaum jemand vor Ort kümmern, die Menschen hätten mit ihren Familien und Wohnhäusern zu tun. Von den 65 Weinbaubetrieben seien nahezu alle extrem betroffen, rechnet Olkus vor und spricht die immensen Schäden für den Weintourismus an, ein bedeutender Wirtschaftsfaktor im Ahrtal. Dort beginnt im September die Lese. Und das in einer Situation, „in der alles, was man zur Weinherstellung braucht, nicht mehr vorhanden oder zerstört ist“: Behältnisse, Pressen, Gebäude, ganz zu schweigen von der beschädigten Infrastruktur.

Allein 150 Moselwinzer reisten am vergangenen Wochenende an, um den Geschädigten Arbeit im Weinberg abzunehmen, erzählte Winzer Marc Adeneuer dem Deutschlandfunk am Telefon. Auch für die Lese in acht Wochen hätten die Kollegen aus den anderen Anbaugebieten Hilfe zugesagt. Nur deshalb wird es Ahrwein des Flut-Jahrgangs 2021 geben. „Wir stecken den Kopf nicht in den Schlamm“, ist Adeneuers Devise. Das Online-Portal „Wine-Searcher“ mit Sitz in Neuseeland berichtet von Winzer-Prominenz wie Klaus Keller (Rheinhessen), Nik Weis (Mosel), dem Team von Van Volxem (Saar) und einer Abordnung von Fritz Haag (Mosel), die im Ahrtal die Ärmel hochkrempelten. 

Ahr-Drama in der „Washington Post“

Sogar die „Washington Post“ nimmt Anteil, an dem, was an jenem 14. Juli passierte: Vor wenigen Tagen erschien eine an Dramatik nicht zu überbietende Reportage von Loveday Morris und Julia Ledur, die die Katastrophe aus der Perspektive einiger Bewohner der Seilbahnstraße in Altenahr schildert, die in einer Schleife des Flusses liegt und in kürzester Zeit überflutet wurde. Im Zeitticker wird erzählt, was in jener Horrornacht passierte.

Flutkatastrophe: Wein an der Ahr - Spenden mit Verkauf von Flutwein
Foto: dpa/Thomas Frey

Über die Sozialen Medien und, wenn möglich, über ihre Internetseiten berichten auch Winzer der Region. Wenige Tage nach der Katastrophe schreibt die Winzergenossenschaft Mayschoß auf Facebook: „Die letzten Tage sind nicht in Worte zu fassen, und aktuell wissen wir nicht, wie es weitergehen soll.“ Das gesamte Gebäude der Winzergenossenschaft ist zerstört, „kein Strom, kein Wasser, kein Empfang“.

Die arbeitsintensivste Phase des Jahres

Am 12. Juli, wenige Tage vor dem verheerenden Unwetter, hatten die Genossenschaftler noch gepostet: „Die Weinbergsarbeit läuft auf Hochtouren! Zurzeit befinden sich unsere Winzerinnen & Winzer in einer der arbeitsintensivsten Phasen des Jahres (…) euch allen einen super Start in die neue Woche.“ Dann brachten am 14. Juli die Fluten die meisten Winzer des Ahrtals großteils um ihre Existenz. Der Schaden wird vom Weinbauverband Ahr auf bis zu 50 Millionen Euro geschätzt. Verloren sei ein erheblicher Teil der Jahrgänge 2017 bis 2019 und der komplette Jahrgang 2020. „Die meisten Winzer stehen am Rand ihrer Existenz“, sagt der Geschäftsführer des Weinbauverbands Ahr, Knut Schubert. Ebenso betroffen seien auch die rund 1000 Nebenerwerbswinzer, die ihre Trauben über die drei Winzergenossenschaften an der Ahr in die Kelter bringen.

Das Weingut J.J. Adeneuer in Ahrweiler schickte seinen Fans und Kunden die Botschaft: „Wir sind alle wohlauf.“ Und dass man erst einmal eine Betriebsstruktur aufbauen müsse, „dies wird drei bis vier Wochen in Anspruch nehmen“. „Wir sind glücklicherweise – anders als viele andere – von der Unwetterkatastrophe an der Ahr weitestgehend verschont geblieben“, beruhigt das Team vom Deutzerhof in Mayschoß seine Freunde und Kunden. In einem Update zur Lage berichtet das Team Kreuzberg aus Dernau, die Familien seien wohlauf. Weingut, Straußenwirtschaft, die am 16. Juli öffnen sollte, und Pension seien schwer in Mitleidenschaft gezogen. Auch ein Teil der Mitarbeiter sei schwer betroffen. „Das Weingut wird definitiv weiter bestehen. Wir stecken all unsere Kraft in den Wiederaufbau“.

Rettung aus der Baumkrone

Die Geschichte von Dörte und Meike Näkel vom Premium-Weingut Meyer-Näkel, die sich mit knapper Not retten konnten und Stunden in einer Baumkrone ausharren mussten, ging durch die Presse. „Wir stehen vor dem Nichts“ schreiben sie auf Facebook. Das Hochwasser hat das Weingut in Dernau weitgehend zerstört. Die sechs Meter hohe Flutwelle erfasste Produktion, Barrique- und Tanklager, spülte fast alle Fässer weg, Schlamm begrub Büros, Vinothek und Weinkeller.

Einen Tag vor der Katastrophe postete Meyer Näkel ein Bild von der „Schatzkammer“. Die es jetzt nicht mehr gibt. In einem Newsletter gab das Weingut Nelles Teilentwarnung, zumindest der Familie und den Mitarbeitern gehe es gut. Jedoch wurde der Weinkeller komplett mit Wasser und Schlamm geflutet. Das Flaschenlager sei ebenfalls schwer betroffen. Aber man konnte „einen guten Teil unserer Weine retten!“ Jetzt gibt Nelles eine „Hochwasserkiste“ heraus mit sechs Zufalls-Flaschen großteils ohne Etikett. Preis: 250 Euro pro Kiste, 100 Euro davon fließen in die VDP-Aktion. „Der Adler hilft“. 

Originelle Hilfsprojekte

Ein limitiertes „WG Hochwasser-Überraschungspaket“ hat auch die Winzergenossenschaft Mayschoß im Angebot: Sechs Flaschen, quer durchs Sortiment, die man aus den Trümmern retten konnte, gespült und fest versiegelt für 100 Euro. Gemeinsam mit den Ahrwinzern hat die Winzergenossenschaft Mayschoß zudem die Spendenaktion „AHR – A wine region needs Help for Rebuilding e.V.“ gegründet. Und im Supermarkt Edeka Vogl in Bonn-Endenich gibt es Flaschen mit sichtlichen Schlammspuren im Verkauf. Der Erlös geht direkt an die Winzerfamilie Riske in Dernau.

Sogar das Rheingau treibt für die Ahrwinzer Geld auf. Unter dem schönen Slogan „#solidAHRität. Von Winzern für Winzer“ bietet Dirk Würtz vom Weingut St. Antony nicht etwa Schlammflaschen, sondern ein Überraschungspaket mit sechs Flaschen, die von der internationalen Winzergemeinde gestiftet wurden. 10 000 Kisten à 65 Euro waren binnen 48 Stunden weg. Eine nächste Tranche mit mehr als 10.000 Kisten, wie bei St Antony zu hören ist, soll am kommenden Montag folgen. Der gesamte Erlös geht an „Der Adler hilft“.

Was man sonst noch tun kann? VDP-Frau Olkus hat einen guten Tipp: „Trinken Sie Ahrwein, selten konnte man mit Weintrinken so viel Gutes tun.“

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