Innenminister unter Druck Diese offenen Fragen bleiben zu Minister Lewentz und der Flutnacht

Mainz · Innenminister Lewentz steht wegen der Flutkatastrophe im Ahrtal unter Druck. Zuerst tauchten Polizeivideos auf, dann ein Einsatzbericht an sein Lagezentrum. Nun wird sein Verhalten in der Flutnacht zum Thema im Landtag.

 Der Druck auf den rheinland-pfälzischen Innenminister wächst.

Der Druck auf den rheinland-pfälzischen Innenminister wächst.

Foto: dpa/Thomas Frey

Das Handeln von Innenminister Roger Lewentz (SPD) in der Nacht der Flutkatastrophe im Ahrtal im Juli 2021 ist in den vergangenen Tagen zum dominierenden landespolitischen Thema in Rheinland-Pfalz geworden. An diesem Mittwoch beschäftigt sich der Landtag auf Antrag von CDU und Freien Wählern mit der „Rolle und unmittelbaren Verantwortung“ des Ministers. Viele Fragen sind nach Ansicht der Opposition noch offen.

Was ist der Auslöser?

Vor rund drei Wochen wurde öffentlich bekannt, dass die Besatzung eines Polizeihubschraubers am Abend der Flutkatastrophe die bedrohliche Situation im Ahrtal gefilmt hat. Die Aufnahmen wurden am 14. Juli zwischen 22.15 und etwa 22.45 Uhr gemacht - viele der mindestens 134 Todesopfer im Ahrtal starben erst spät in der Nacht.

Im Raum steht der Vorwurf, dass Politik und Behörden bei der Rettung von Opfern teils zu spät und zu wenig abgestimmt gehandelt haben könnten. Die laut Polizei versehentlich vergessenen Filme zeigen Menschen in höchster Not im Hochwasser. Die Aufnahmen waren nach dem Einsatz des Hubschraubers auf einem USB-Stick gesichert worden.

Geht es nur um die Filme?

Am Wochenende wurde außerdem bekannt, dass ein schriftlicher Lagebericht der Polizei über die Situation im überfluteten Ahrtal bereits in der Nacht der Katastrophe im Lagezentrum des Innenministeriums einging. Medienberichten zufolge ist darin unter anderem die Rede davon, dass „das Hochwasser dramatische Auswirkungen hat“. Der Einsatzbericht der Hubschrauberbesatzung traf laut Innenministerium am 15. Juli 2021 per E-Mail um 00.53 Uhr im Lagezentrum ein.

Wie war der zeitliche Ablauf beim Bekanntwerden des Berichts?

Der Einsatzbericht der Polizeihubschrauberstaffel - der nach Angaben des Untersuchungsausschusses aus einer Seite bestand und die Rubriken Besatzung, Passagiere, Startzeit und Einsätze enthielt - wurde dem Gremium nach eigenen Angaben als Bestandteil einer Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Koblenz am 14. Februar 2022 vorgelegt. Unter der Rubrik „Einsätze“ sei dabei der Überflug über das Ahrtal erfasst.

Der Regierungsbeauftragte für den Untersuchungsausschuss habe am vergangenen Freitag im Auftrag des Innenministeriums „ergänzende Unterlagen zu den Polizeihubschrauber-Videos vom 14. Juli 2021“ an das Gremium übersandt, teilte der Untersuchungsausschuss weiter mit. Hierbei handele es sich um den Flugbericht. Dieser bestehe aus vier Seiten und enthalte die Rubriken: „Besatzung, Passagiere, Startzeit, Betankung, Reisekosten, Beanstandungen/Bemerkungen, Leg, Betankungen, Einsätze, Sondererhebungen, Inübunghaltung und Sonderausrüstung/Optionals.“ Auf der zweiten Seite des Flugberichts befinde sich der Eintrag über einen Polizeieinsatz, der nicht zum Untersuchungsgegenstand gehöre und daher „zu schwärzen“ sei.

Was sagt der Minister dazu?

Lewentz lag der Bericht in der Flutnacht laut Ministerium nicht vor. Der Innenminister hatte am 23. September vor dem Untersuchungsausschuss erklärt, er habe in der Flutnacht kein vollständiges Lagebild gehabt. Er habe die nun aufgetauchten Filme erst im Untersuchungsausschuss gesehen.

„Mir lag - wie allen Beteiligten - in der Flutnacht kein vollständiges Lagebild vor“, sagte er bei seiner Vernehmung. „Bis ein Gesamtbild annähernd feststand, dauerte es Tage, was angesichts dieser Katastrophe sicher nicht überraschend ist.“ Die Öffentlichkeit war für die Zeit der Vorführung der beiden Videos ausgesperrt worden. Von dem schriftlichen Einsatzbericht war in der Sitzung nicht die Rede.

Was ist die Haltung der Opposition?

CDU und AfD verlangen den Rücktritt von Lewentz, die Freien Wähler bislang nicht. Die AfD sprach sich für ein Misstrauensvotum im Landtag gegen den Minister aus. Die Fraktion kann mit ihren acht Mandaten aber allein kein Misstrauensvotum auf den Weg bringen, dazu sind laut Geschäftsordnung des Landtags noch mindestens die Stimmen von acht weiteren Abgeordneten notwendig. Die CDU geht - vermutlich wegen der unsicheren Erfolgsaussichten eines solchen Schritts angesichts der Landtagsmehrheit von Rot-Grün-Gelb - bislang noch nicht so weit. CDU und AfD haben außerdem Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) zur Entlassung ihres Innenministers aufgefordert.

Wie verhält sich Dreyer?

Dreyer hat die Forderung nach Entlassung ihres langjährigen politischen Weggefährten, der auch Landesvorsitzender der SPD ist, zurückgewiesen. „Die Ministerpräsidentin vertraut dem Innenminister“, teilte die Staatskanzlei am vergangenen Donnerstag mit. Er habe zu den Vorgängen rund um die besagten Videos gemeinsam mit dem Innenministerium und den zuständigen Polizeipräsidenten ausführlich Stellung genommen. Am Montag sagte Dreyer der Tageszeitung „Die Rheinpfalz“, sie erwarte, „dass die offenen Fragen vom Innenminister geklärt werden“. Sie habe „keine eigenen Erkenntnisse“ zu einem Einsatzbericht von Hubschrauberpiloten der Polizei sowie zu erst kürzlich aufgetauchten Polizeivideos.

Was sagt die Staatsanwaltschaft?

Laut Staatsanwaltschaft wurde der Einsatzbericht Ende August vergangenen Jahres vom Landeskriminalamt gesichert. Er wurde demnach ausgedruckt und zusammen mit weiteren Unterlagen am 9. Dezember 2021 der Staatsanwaltschaft vorgelegt und dort zu den Akten genommen. Die beiden Videos aus dem Polizeihubschrauber erhielt die Behörde dagegen nach eigenen Angaben erst vor Kurzem.

Die Staatsanwaltschaft ist nach eigener Aussage weiter dabei, „sich anhand der vielfältigen bislang erhobenen und weiteren noch auszuwertenden Informationen ein möglichst weitgehendes Bild vom Hergang der Katastrophe zu erschließen“. Für die strafrechtliche Beurteilung sei nach wie vor von zentraler Bedeutung, „wer seinerzeit zu welchem Zeitpunkt welche Kenntnisse hatte und welche Handlungsoptionen mit welchen Erfolgsaussichten gegebenenfalls bestanden“.

Warum ist die Staatsanwaltschaft überhaupt eingeschaltet?

Die Staatsanwaltschaft ermittelt seit mehr als einem Jahr gegen den früheren Landrat des Kreises Ahrweiler, Jürgen Pföhler (CDU), und einen weiteren Verdächtigen wegen womöglich zu später Warnungen und Evakuierungen. Pföhler wies die Vorwürfe zurück.

(dpa)
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