„Viele sind traumatisiert“ Flutopfer von der Ahr demonstrieren gegen langsamen Wiederaufbau

Bad Neuenahr-Ahrweiler · Die Flut im Ahrtal hat viele Menschen getötet und Tausende Häuser zerstört. Der Wiederaufbau ist langsam. Dagegen regt sich Protest.

 Große Menschenmenge: Die Demonstranten sind vor der Kreisverwaltung in Ahrweiler angekommen.

Große Menschenmenge: Die Demonstranten sind vor der Kreisverwaltung in Ahrweiler angekommen.

Foto: Martin Gausmann

Mehr als 20 Grad auf dem Thermometer, blauer Himmel, Sonnenschein. Auf den ersten Blick könnte es ein idyllischer Frühlingstag sein. Doch seit der verheerenden Flut, die nun fast zehn Monate zurückliegt und im Ahrtal 134 Menschen das Leben kostete, ist es vorbei mit der Idylle im Ahrtal. Viele Menschen bekommen die Auswirkungen der Katastrophe nach wie vor täglich zu spüren.

Laut Schätzung der Polizei ungefähr 225 Menschen machen am Donnerstag in Ahrweiler mit einer Demonstration auf die Situation aufmerksam. Zum Protestzug aufgerufen hat die Gruppe Ahrtal – Wir stehen auf. „Wir wollen aufstehen, wir wollen einfach demonstrieren, dass es uns noch gibt hier im Ahrtal“, sagt Iris Münn-Buschow, eine der Initiatoren beim Start. Die Ahrweilerin, deren Haus nach eigenen Angaben einen Schaden von 285.000 Euro erlitten hat, macht deutlich, dass sie und ihre Mitstreiter nach dem langen Winter nicht mehr einsehen, dass man sie „im Stich lässt“.

Die Teilnehmer der Demo ziehen vom Obertor über Oberhutstraße, Marktplatz, Niederhutstraße und Wilhelmstraße vor die Kreisverwaltung. Sie kritisieren die schleppende Hilfe der Behörden beim Wiederaufbau. Was die finanzielle Unterstützung über die rheinland-pfälzische Investitions- und Infrastrukturbank (ISB) angeht, monieren sie Bürokratie bei den Anträgen und ausbleibende Zahlungen. Zu den Forderungen gehört weiter, dass die Versorgungsstationen und die Abladestellen für Bauschutt geöffnet bleiben sollen.

Auf den Schildern der Demonstranten stehen Sätze wie „Wir leben in Ruinen“, „Vergesst uns nicht“ und eben „Wir stehen auf“. Es wird aber auch gefragt: „Wo bleibt die versprochene unbürokratische Hilfe?“ Als die Protestler durch die Ahrweiler Altstadt ziehen, bekommen sie Applaus von Menschen, die in einem Café sitzen, das wieder geöffnet ist. An einigen Häusern klebt noch der Schmutz, eine Demonstrantin fragt angesichts dessen rhetorisch, ob die Flutnacht wirklich schon fast zehn Monate zurückliegt.

Landrätin kommt raus

Iris Münn-Buschow würde sich freuen, so sagt sie anfangs, wenn die Demonstranten an der Kreisverwaltung mit einem Sachbearbeiter sprechen könnten. Ihr Wunsch wird übererfüllt. Denn kurze Zeit, nach dem der Protestzug angekommen ist, kommt Landrätin Cornelia Weigand (parteilos), die eigens eine Sitzung unterbrochen hat, nach draußen, ergreift das Wort, steht Rede und Antwort.

Zunächst muss sie klarstellen, dass es an diesem Tag nicht um die Corona-Pandemie geht, nachdem jemand gerufen hat, Weigand solle die Maske, die sie gar nicht trug, absetzen solle, damit man sie versteht. Offenbar hat Münn-Buschow am Start mit gutem Grund auf die Gefahr hingewiesen, die Demo könne gekapert werden. So war auf einem T-Shirt auch der Schriftzug „Leider nur gesund“ zu lesen.

Als dann wieder der Umgang mit den Flutfolgen im Mittelpunkt steht, sagt Weigand an die Menge gewandt: „Sie haben viel, viel verloren. Sie investieren viel Kraft und Lebenszeit, um Ihr Zuhause wiederaufzubauen und gleichzeitig damit unsere ganzen Orte wieder aufzubauen.“ Weigand bedankt sich dafür. Dass, was die Menschen seit Monaten durchstünden, sei nicht einfach, schmerzhaft und anstrengend. Sie könne das nachvollziehen. „Weil auch wir zu den Betroffenen zählen und wir selber kein Zuhause und viele aus unserem Freundeskreis, aus unserem Familienkreis, von unseren Nachbarn auch kein Zuhause haben“, erläutert Weigand.

Die Menschen haben viele Fragen, zum Verbleib von Spendengeldern, zum Ende der kostenlosen Essen in den Versorgungszelten etwa. Was das Ende des kostenlosen Essens angeht, so verweist Weigand darauf, dass Millionen von Euro dorthin geflossen seien. Diejenigen, die sich noch immer nicht wieder selbst versorgen können, seien in der Minderheit. Dafür erntet sie deutlichen Widerspruch. Zu den Spenden kann Weigand nicht viel sagen, verweist auf die Wohltätigkeitsorganisation, die sie gesammelt haben, als Ansprechpartner. Demo-Intitiatorin Iris Münn-Buschow bittet um Verständnis, dass Weigand nicht alles beantworten kann.

Am Ende bleiben auch Buhrufe nicht aus. Die Menschen ziehen zurück zum Marktplatz in der Altstadt, wo der Veranstalter die Demo beendet.

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