585 Betriebe betroffen Das Handwerk an der Ahr baut nach der Flut neu auf

Kreis Ahrweiler · Schreiner Joachim Hülsmann blieb nach der Flutkatastrophe nur noch ein Schraubenzieher. 585 Betriebe im Ahrtal waren betroffen. Die Handwerkskammer Koblenz hat 50 Unternehmen nach dem Stand beim Wiederaufbau befragt.

 Schreiner Joachim Hülsmann arbeitet nach der Flut von einer mobilen Werkstatt aus.

Schreiner Joachim Hülsmann arbeitet nach der Flut von einer mobilen Werkstatt aus.

Foto: Martin Gausmann

585 Handwerksbetriebe im Ahrtal waren von der Flutkatastrophe massiv betroffen. Einige Unternehmen wurden gar völlig zerstört. Bis auf einen Schraubenzieher blieb dem Bad Neuenahrer Schreinermeister Joachim Hülsmann nichts mehr. Mit einem Leihwagen, gebraucht gekauftem Werkzeug und einer mobilen Werkstatt schaffte er gleich nach der Flutwelle, die seinen Betrieb an der Uhlandstraße überflutete und außer einer Spur der Verwüstung nichts hinterließ, was der 59-jährige Handwerkermeister noch gebrauchen konnte, einen Neuanfang (der GA berichtete). Wie Hülsmann haben auch die Inhaber anderer Betriebe die Arbeit wieder aufgenommen – wenn auch unter schwierigsten Bedingungen.

Hülsmann wird spätestens im Sommer wieder seine Schreinerei eröffnen können. „In wenigen Tagen kommt der neue Boden rein, dann folgen Türeinbauten und Anstreicherarbeiten. Die Maschinen werden gleich danach geliefert“, so der Schreiner, der sich über prall gefüllte Auftragsbücher freut, die er derzeit noch mit seiner mobilen Werkstatt abarbeitet.

Sieben Monate nach der verheerenden Naturkatastrophe ergab nun eine Umfrage bei 50 betroffenen Handwerksunternehmen zum Stand ihres Wiederaufbaus: Auf einer Skala von Null (Situation unmittelbar nach der Flut) und 100 (Stand bis zur Katastrophe) ist bislang ein Durchschnittswert von 20 erreicht. Das entspricht einem Fünftel der ehemals betriebsinternen Wirtschafts- und Fertigungsleistungen. Dies teilte die Handwerkskammer Koblenz mit. Alle befragten Handwerksbetriebe hätten die Arbeit wieder aufgenommen, auch wenn bei einigen aufgrund hoher Schäden bei den Fertigungsmaschinen die Kapazitäten noch weit entfernt seien vom ehemaligen Auslastungsstand.

Handwerk nach der Flut an der Ahr: Wiederaufbau beim Kunden und im eigenen Betrieb

„Für viele betroffene Unternehmen ist es ein Kraftakt, denn sie sind zeitgleich auf drei Großbaustellen unterwegs: die Abwicklung der Kundenaufträge, der eigene betriebliche Wiederaufbau und die private Schadensregulierung samt Sanierung müssen unter einen Hut gebracht werden“, so die Handwerkskammer. „Die große Herausforderung liegt in der Organisation üblicher Arbeitsabläufe und neuer, flutgeschuldeter Herausforderungen wie auch Neubeschaffung ausgefallener Baugeräte“, bestätigten Alfred und Gerd Fuhrmann, die in Dümpelfeld ein Straßenbauunternehmen betreiben. Sechs ihrer Baumaschinen und Bagger hatten die Wassermassen mitgerissen.

Viele Handwerker berichteten derzeit über eine Extrembelastung, führte die Kammer aus. Das seit Monaten laufende Krisenmanagement des Ahr-Handwerks habe deshalb einige wichtige Punkte zunächst hintenangestellt. Das zeigten beispielsweise die aktuellen Zahlen der eingereichten Anträge für Wiederaufbauhilfen: Erst 90 Betriebsinhaber hätten bei der Handwerkskammer eine sogenannte „Kammerbestätigung“ beantragt. Sie ist jedoch Voraussetzung für den Antrag auf Aufbauhilfe für Unternehmen, der von der Investitions- und Strukturbank (ISB) bearbeitet wird. „Dabei stellt weniger das Antragsverfahren ein Problem dar, sondern die zeitliche Belastung der Unternehmen wie auch die Suche von fachlich geeigneten Sachverständigen zur Bewertung der Schäden“, erklärte die Kammer, die auf ein Internetportal hinwies. Unter www.handwerk-baut-auf.de gibt es Hilfestellungen.

Handwerk nach der Flut an der Ahr: Friseurmeister wartet seit Monaten auf Aufbauhilfe

Dass das Antragsverfahren sehr wohl ein Problem darstellt, weiß indes Heinz-Peter Hammer. Der 63-jährige Friseurmeister, dessen im vergangenen Juli gerade acht Monate alter Betrieb an der Bad Neuenahrer Kreuzstraße nach der Flut einen Totalschaden hatte, hat bislang lediglich eine Finanzspritze von seiner Innung sowie vom Kreis bekommen. Von der ISB hat er nach wie vor keinen Bescheid, geschweige denn Geld, obwohl der Antrag auf Hilfe Monate alt ist. Immer wieder habe es Rückfragen zum 45-seitigen Antrag gegeben, der – so Hammer – mit großer Sorgfalt und allen erforderlichen Anlagen und Bescheinigungen ausgefüllt gewesen sei. Dennoch ist der Friseurmeister optimistisch, nicht auf seinem 300.000 Euro hohen Schaden sitzen zu bleiben. Im Mai will er gemeinsam mit seiner Tochter das Friseurgeschäft wieder eröffnen: „Der Laden ist im Aufbau. Die Einrichter stehen in den Startlöchern.“

Versorgungsgewerke wie Bäcker oder Fleischer, gerade im oberen Ahrtal, müssten zudem auf einen radikalen Strukturwandel reagieren, führte die Kammer aus. In vielen Ortschaften sind wegen der laufenden Trocknungs- und Ausbauarbeiten die Häuser nach wie vor unbewohnbar. Heißt: Keine Bewohner, keine Kunden. Seit Sommer 2021 fehlen außerdem Touristen und Wochenendeinkäufer aus angrenzenden Großstädten.

Handwerk nach der Flut an der Ahr: Probleme mit Gratis-Angeboten für Betroffene

Ein Problem für manches Gewerk sind inzwischen auch Hilfsangebote Externer an Flutbetroffene. So beispielsweise im Friseurhandwerk. „Warum soll ein Kunde für eine handwerkliche Leistung zahlen, wenn er die Dienstleistung einige Meter weiter für null Euro angeboten bekommt?“, fragt Daniel Röber, Obermeister der Friseur-Innung Ahrweiler. Der Versorgungsstand am Bad Neuenahrer Nelkenweg wird hin und wieder von einem auswärtigen Figaro angesteuert. Er bietet seine Leistungen kostenlos an. Der Solidargedanke werde so zum Bremsklotz für hochwassergeschädigte Betriebe, sagt Röber.

Die Großzahl der 585 betroffenen Handwerksbetriebe macht nach dem Kenntnisstand der Handwerkskammer weiter. Dennoch: Würde sich die Sommerkatastrophe noch einmal wiederholen, schließen 40 der befragten 50 Handwerksbetriebe einen weiteren Verbleib im Ahrtal für alle Zeiten aus.

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