Historischer Strafprozess Heimersheimer und Sinziger wollten sich das Mailäuten nicht verbieten lassen

Heimersheim / Sinzig · Bürger aus Sinzig und Heimersheim wollten sich Mitte des 18. Jahrhunderts das „Mailäuten“, das Hexenuntaten abhalten sollte, nicht verbieten lassen. Ihr teilweise gewalttätiges Vorgehen führte zur einem langwierigen Prozess von 1752 bis 1757, den unsere Autorin hier nachzeichnet.

 Diese Glocken in St. Peter in Sinzig sorgten im 18. Jahrhundert für einen handfesten Streit zwischen Kirche, Bürgern und Stadt.

Diese Glocken in St. Peter in Sinzig sorgten im 18. Jahrhundert für einen handfesten Streit zwischen Kirche, Bürgern und Stadt.

Foto: Martin Gausmann

Einst war im Erzstift Köln und auch anderswo das „Mailäuten“. üblich. Den ganzen Monat über wurden meist abends die geweihten Glocken geläutet. Man glaubte damit die Hexen bei ihrem Schadenszauber zu stören, der den Feldern, Früchten und Weinbergen galt.

Pfarrer Kurt Butterbach berichtete 1944 in seiner Konferenzarbeit „Das religiöse Brauchtum innerhalb der Pfarrei Heimersheim/Ahr in Vergangenheit und Gegenwart“ über üble Begleitumstände. Sie führten vor 270 Jahren, 1752 bis 1757, zu einem Prozess, der die Gemüter der Pfarreien Heimersheim und Sinzig „nicht wenig erhitzte“. Aus friedlichem Glockenziehen war Radau geworden: „Sothanes Mailäut wurde biß in die späte Nacht fortgesetzt unter allerhand Mutwillen und Insolentien“, so der Text weiter. Dagegen ließ in Heimersheim Pfarrer Laurentius Servatius Radermacher, dessen Onkel Servatius Hoffschläger in Sinzig Pfarrer war, ein neues Schloss zum Glockenturm anbringen.

Die Sinziger verschafften sich mit Gewalt Zugang zu ihrer Kirche und brachen dabei auch Türen auf

Seine Pfarrkinder aber wollten weiter bimmeln. Sie wiegelten gar die Sinziger auf, die das Mailäuten seit Jahren klaglos unterlassen hatten. In Heimersheim beschlossen Schultheis Bertram Möhren, beide Schöffen und 24 „Provisores“, der verwegene Bertram Nelles solle das Schloss entfernen, was er am ersten Maisonntag 1752 auch tat. Noch rebellischer ging es in Sinzig zu: Kaplan Kesseler, Vikar Baum von Heimersheim und der Vizekuratus von Westum wurden in Abwesenheit von Pfarrer Hoffschläger Zeuge, „wie Rottmeister Johann Delvenich mit 24 Soldaten und viel Volk“, aufgestachelt vom Rat, die Kirchenschlüssel forderten. Schreiner Matthias Pesch half ihnen das große Kirchenportal, die „Himmelstür“, gewaltsam zu öffnen, sodann eine weitere Tür. Zuletzt übernahm „das tapfere Schneiderlein“ Jodokus Bloch jene zum Glockenturm. Statt Schlosser Philipp Ramersbach, der sich weigerte, fertigte im Auftrag des Beigeordneten Gulach der Schmied Servatius Rickrath bereitwillig einen Schlüssel für die Gemeinde.

Pfarrer Radermacher und Hoffschläger meldeten die Vorfälle dem erzbischöflichen Generalkonsulat. Das wandte sich am 15. Juni 1752 an Herzog Karl Theodor, Landesherr von Jülich-Berg, zu dem Heimersheim und Sinzig gehörten. Es forderte wegen der Verletzung der erzbischöflichen Rechte und der geistlichen Immunität, zumal unterstützt vom Sinziger Amtsverwalter und Heimersheimer Schultheis, Genugtuung und für die Verunehrung des Gotteshauses die Bestrafung der Täter. Damit begann ein Gerichtsverfahren mit überraschenden Zwischenergebnissen. Jedenfalls sagte Karl Theodor die Genugtuung und Strafen zu und versicherte, dass „eine besondere fiscalische Local-Inquisitions-Commission bereits veranlaßt sei“.

Hofrat Koch leitete die Kommission. Er entschied am 15. Januar 1754, wie der Amtsverwalter Bachhoven in Sinzig verkündete, die Pfarrer hätten die Hälfte der Verfahrenskosten zu zahlen. Diese fochten das Urteil an. Denn Hofrat Koch habe, so Pfarrer Radermacher gegenüber dem „Hochpreislichen Geheimrats-Diskasterium in Düsseldorf“, sich vom Schultheis, den Schöffen, Vorstehern und dem Amtsverwalter Bachhoven zwei Karren Heidekraut aus den Gemeindewäldern schenken lassen. Heimersheimer Männern, die dagegen protestierten, habe er eine Strafe von einem Goldgulden aufgebrummt. Zudem sei Koch in einem anderen Prozeß, den Radermacher gegen den Schultheis und Gefährten führe, Referent der Gegenpartei.

Leiter der Untersuchungskommission war nicht unparteiisch

Kochs Untersuchungsprotokoll war tatsächlich nicht unparteiisch. Butterbach schreibt: „Eingehend und mit großer Sorgfalt werden alle Umstände angeführt, die die Übeltäter entlasten, belastende Tatsachen aber werden entweder ganz verschwiegen oder – wo sie sich nicht totschweigen lassen – so dargestellt, dass sie mehr entschuldigen als belasten.“ Das brachiale Öffnen der Schlösser und Türen beschönigte der Heidekraut-Nutznießer als Dummejungenstreich. Daher sprach Düsseldorf die Heimersheimer und Sinziger Glockenstürmer von der Verletzung der kirchlichen und kirchenherrlichen Rechte frei. Zwar gab es Geldstrafen: für Bürgermeister und Rat von Sinzig als Auftraggeber 30 Goldgulden, für den Rottmeister und seine Mannschaft 20 Goldgulden. Die Gerichtskosten indes sollten sich Kläger und Beklagte teilen. Der Kirchenschlüssel sei, wie gewohnt, in den Händen des Bürgermeisters zu belassen.

Am 28. Januar 1754 verwahrten sich die Pfarrer gegen die Kosten und forderten die Kirchenschlüssel von der Zivilbehörde. Daraufhin erließ Düsseldorf bis Revisionsende die Zahlungen. Bereits errichtete Gebühren seien zurückzuzahlen. Was aber tat der Sinziger Amtsverwalter Bachhoven? Er schickte den Pfarrern dennoch die Gerichtskosten-Rechnung zu. Als die Kirchenmänner lange nichts von Düsseldorf hörten, wiesen sie am 29. November die Unwahrheiten im Kochschen Protokoll nach und warfen dem Hofrat vor, die Revision zu verhindern. Zudem betonten sie, niemals habe der Magistrat einen Kirchenschlüssel besessen noch einen beansprucht.

Die Gegenpartei wandte sich ihrerseits an das Reichskammergericht, die höchste juristische Instanz. Da sie aber die Appellationssumme nicht aufbrachte, trat Ende 1755 ein Urteil in Kraft, nach dem die zunächst den Pfarrern auferlegten und von diesen bereits gezahlten Gerichtskosten ebenfalls von der Gegenpartei zu tragen waren, diese die widerrechtlich angeeigneten Schlüssel herausgeben und das Schloss ersetzen mussten. Als weder Schlüssel noch Geld kamen, wurden die Sinziger und Heimersheimer mit Geldstrafen belegt, und „im Falle weiterer Renitenz“ drohe eine neue Strafe. Vergeblich. Am 30. Januar 1756 kündigte die Düsseldorfer Verwaltung an, die Rechte durchzusetzen – worauf die Anhänger des Mailäutens „in optima forma“ protestierten. Am 29. Oktober 1757 befahl Karl Theodor persönlich, die immer noch ausstehenden Gelder von Vogt und Rat zu Sinzig einzutreiben, um sie dem Pfarrer Radermacher auszuzahlen. Daraus schloss Butterbach, dass Heimersheim schon eher gezahlt habe, dass Pfarrer Hoffschläger in Sinzig zwischenzeitlich entweder versetzt oder verstorben und sein Neffe in Heimersheim auch sein Erbe war.

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