Interview mit Juliane Vieregge "Lass uns über den Tod reden"

Kreis Ahrweiler · Juliane Vieregge hat mit 18 prominenten Persönlichkeiten Interviews über den Tod geführt. Aus ihrem Buch über Trauer und Sterben liest sie am 25. Oktober im Hospiz im Ahrtal. GA-Autorin Andrea Simons hat sich mit ihr unterhalten.

Kraft und Trost am Lebensende: Die Hände einer Krankenschwester liegen im Hospiz auf der Hand eines Bewohners.

Kraft und Trost am Lebensende: Die Hände einer Krankenschwester liegen im Hospiz auf der Hand eines Bewohners.

Foto: picture alliance / dpa

Der Tod ist ein Thema, das in unserer Gesellschaft tabu ist. Um das zu ändern, hat Juliane Vieregge ausführliche Interviews mit 18 prominenten Persönlichkeiten geführt: von Schauspieler und Ex-Gefängnisarzt Joe Bausch und den Schauspielerinnen Katrin Sass und Ulrike Bliefert über Kabarettist Jürgen Busse bis hin zu Musiker Dieter Thomas Kuhn und zum Tübinger Bürgermeister Boris Palmer. Mit der mittlerweile verstorbenen Holocaust-Überlebenden Ilse Rübsteck und dem Mediziner Axel Nacke hat sie auch zwei Bad Neuenahrer befragt.

Das Ergebnis ist in ihrem jüngsten Buch "Lass uns über den Tod reden - ein Buch über Tod und Trauer" nachzulesen, das sie am Freitag, 25. Oktober, um 18 Uhr im stationären Hospiz, Dorotheenweg 6, vorstellt.

Sie möchten über den Tod reden, warum?

Juliane Vieregge: Durch die Grunderfahrung einer tiefen Sprachlosigkeit, während ich meinen Vater bis zu seinem Tod begleitet habe. Als er gestorben ist, war ich als Einzige bei ihm. Ich habe das als Auszeichnung verstanden, mich aber gleichzeitig überfordert gefühlt. Nachdem mein Vater dann gestorben und ich mit meiner Sterbebegleitung nicht glücklich war, habe ich Bekannte gefragt, wie sie das gemacht haben. Dabei habe ich unheimlich tolle Geschichten gehört.

Das war der Auslöser, das Buch zu schreiben?

Vieregge: Ja, aber der Verlag sagte, es müssten darin Prominente zu Wort kommen, damit das Buch auch Aufmerksamkeit erlangt. Und ich habe sehr lange Gespräche mit diesen Menschen geführt, die eine Verlusterfahrung gemacht haben, teils aber auch beruflich mit dem Tod zu tun haben. Ich wollte wissen: Wie kann ich die noch verbleibende gemeinsame Zeit nutzen, wenn ein geliebter Mensch unheilbar krank ist? Wie kann ich mit meiner Trauer weiterleben? Es ging aber auch in autobiographische Details, weil mich interessierte, wieso die- oder derjenige den Tod soundso sieht.

Kannten Sie denn alle diese Prominenten?

Vieregge: Nein, ich habe mit dem bekannten Tübinger Psychotherapeuten und Buchautor Hans Jellouschek angefangen, der seine krebskranke Frau über zehn Jahre begleitet hat. Über ihn kam ich an den Trauertherapeuten Roland Kachler, der selbst einen Sohn verloren hat. Danach habe ich wahrscheinlich zehn Mal mehr Persönlichkeiten angeschrieben als in dem Buch nun zu Wort kommen. Es gab Absagen oder auch gar keine Antworten.

Und wie haben Sie sie interviewt?

Vieregge: Ich war fast immer bei ihnen zu Hause. Mit Katrin Saas habe ich mich in der Wohnung meiner Freunde in Berlin-Spandau getroffen. Die Holocaust-Überlebende Ilse Rübsteck habe ich in ihrer Wohnung im Bad Neuenahrer Wohnstift getroffen. Mein Lebensgefährte, der hier als Arzt tätig ist, kannte sie. Das war eine dieser Begegnungen, die mir gezeigt haben, dass Tod und Schuld eng zusammenhängen. Sie hatte Schuldgefühle, weil sie überlebt hat und ihre Eltern als Juden in Dachau umgekommen sind.

Welche Geschichte hat Sie besonders beeindruckt?

Vieregge: Das waren viele. Immer wieder ging es um das "Nicht-Reden-Wollen" und ums Verdrängen oder Verleugnen. So etwa bei Jochen Busse. Oft ging es auch um Hoffnung - teilweise mit absurden Auswüchsen: Gisela Getty hat erzählt, dass ihre Zwillingsschwester nur noch 27 Kilo wog und trotzdem gehungert hat, um ihre Tumore "trocken zu legen". Auch schwierig, das als Begleiter zu akzeptieren. Am schlimmsten war für mich die Geschichte von Arsène Verny. Der Berliner Rechtsanwalt hatte so eine strahlende, tolle und erfolgreiche Familie. Und dann hat sich der jüngste Sohn nach einer Party aufs S-Bahn-Dach gelegt und ist nicht durch den Tunnel gekommen. Die ganze Familie ist daran zerbrochen. Die leben jetzt alle alleine.

Das klingt alles sehr traurig....

Vieregge: Ja, aber Trauer setzt unter anderem auch viel Energie frei. Weil sein Sohn Autor werden wollte, hat Arsène Verny eine Lese- und Schreibstiftung für Kinder- und Jugendliche gegründet und gesagt: Jedes Mal, wenn er über seine Stiftung rede, nehme er den Namen seines Sohnes in den Mund, und das halte diesen ein Stück lebendig. Das ist auch eine Art, mit Trauer umzugehen. Außerdem waren Gespräche wie das mit dem Bad Neuenahrer Onkologen Axel Nacke auch mal witzig. Er ist ein toller Erzähler. Und eine Geschichte wie die von Enno Kalisch ist für mich ein Beispiel, wie Sterbebegleitung wunderbar gelingen kann. So gibt das Buch überraschende, ergreifende und manchmal sogar lustige Antworten.

Was erwarten Sie von der Lesung im Hospiz?

Vieregge: Ich habe vorher noch nie in einem Hospiz gelesen und bin daher sehr gespannt. Ich hatte schon mal eine Lesung vor ehrenamtlich Tätigen in der Hospizarbeit und das war ganz anders als die sonstigen Veranstaltungen. Ich bin immer für alles offen: Fragen, Anmerkungen, die Gestaltung der Lesung. Auch da darf nicht nur zugehört, sondern über den Tod geredet werden.

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