Großer Zusammenhalt nach der Flut Menschen in Bad Neuenahr feiern Helferfest

Bad Neuenahr · Viele Menschen haben die Bad Neuenahrer Kreuzstraße verlassen. Die, die geblieben sind, rücken zusammen – und feiern gemeinsam.

 Die Heilpraktikerin Ulrike Uhl (rechts) sitzt beim Helferfest am Eingang ihrer zerstörten Praxis in der Bad Neuenahrer Kreuzstraße.

Die Heilpraktikerin Ulrike Uhl (rechts) sitzt beim Helferfest am Eingang ihrer zerstörten Praxis in der Bad Neuenahrer Kreuzstraße.

Foto: Thomas Weber

Ulrike Uhl sitzt vor der Eingangstür ihrer zerstörten Praxis in der Bad Neuenahrer Kreuzstraße und lässt sich eine Currywurst schmecken. Sie blickt auf das, was einmal eine der Einkaufsstraßen der Kurstadt war.

Davon ist nichts übrig geblieben. Auch mehr als sechs Wochen nach der Flutwelle ist kein Stück Normalität erreicht. Nicht einmal der fortgeschwemmte Straßenbelag ist ersetzt, zwischen dem Platz an der Linde und der Telegrafenstraße ist die Kreuzstraße nicht viel mehr als ein verdreckter Feldweg. Bei trockener Witterung staubt es gewaltig, nach Regenfällen, wie am vergangenen Samstag, ist das Gelände matschig und mit Pfützen übersät.

Dort hält es so gut wie niemanden. „Ich glaube, auf dem ganzen Stück sind noch acht Menschen übrig geblieben, der Rest hat die Stadt verlassen“, vermutet die Heilpraktikerin. Immerhin kennt sie jetzt alle ihre Nachbarn, vor der Flut herrschte in der Kreuzstraße eine große Anonymität. Ulrike Uhl will bleiben. „Bis auf das Inventar war alles versichert“, sagt sie und sieht dem Wiederaufbau ebenso hoffnungsvoll entgegen, wie sie sich über die heiße Currywurst und die Fritten freut.

Die werden ein paar Meter weiter an der Ecke zur Telegrafenstraße gebraten. Dort haben sich mehrere Dutzend Menschen versammelt, dort erschallt sogar Livemusik, dargebracht vom Duo Nightlife. Heike und Stefan Simon haben das Straßenfest organisiert. Für die, die dageblieben sind, für die, die sich dort jeden Tag etwas zu essen und zu trinken holen. Und natürlich für die, die an dem Tag im Quartier eingetrudelt sind, um zu helfen, beispielsweise im Tanzlokal Drei Musketiere gegenüber der Praxis von Ulrike Uhl. Die Helfer packen überall mit an und freuen sich zwischendurch über ein Bier oder einen kleinen Imbiss, über einen Kaffee oder ein Stück Kuchen. Die Menschen, die die Stadt nicht verlassen haben, berichten von ihren Sorgen und Nöten, von der Flutnacht und den Erlebnissen. Trotz vieler bedrückender Themen sind die meisten froh, mal wieder mit jemandem reden zu können. Da kommen hin und wieder auch andere Themen zur Sprache, das aktuelle Fußballgeschehen in der Bundesliga beispielsweise. Man erfreut sich an den Schlagern, die das Duo zum Besten gibt.

Die beiden Musikanten stehen im Eingangsbereich eines Kiosks und eines Maklerbüros. Beides gibt es nicht mehr, die Flut hatte die Schaufensterscheiben und das Inventar mitgenommen und Schlamm zurückgelassen. Den haben viele fleißige Hände bereits abtransportiert. Genau für diese Helfer und für die Anwohner im Quartier sind Heike und Stefan Simon seit dem Beginn der Rettungsmaßnahmen da. Beide betreiben eine kleine Versicherungsagentur an der Ecke Kreuzstraße hin zur Telegrafenstraße. Dort gibt es seit mehr als sechs Wochen morgens Frühstück, mittags eine warme Mahlzeit und den ganzen Tag über Kaffee und auch immer ein offenes Ohr. „Das ist uns eine Herzenssache“, sagt Heike Simon. Aus vielen Teilen der Republik hat sie Essensspenden erhalten, mit denen sie ihre Versorgungsstation aufrechterhalten kann. Am Tag des Helferfestes kamen Menschen aus Süddeutschland und übernahmen spontan die Verpflegung der Festbesucher mit Getränken. Im Laufe des Nachmittags griffen viele zum Mi­krofon, um zu danken.

Auch Thomas Knust aus Köln greift zum Mikro. Er ist Leiter der Bezirksdirektion der Versicherung, deren Büro die Simons in Bad Neuen­ahr betreiben. Knust war nur kurze Zeit nach der Flutwelle in Bad Neuenahr vor Ort, eigentlich ging es um die Regulierung von Schäden. „Ich wollte den Kunden sagen, dass wir ihnen zumindest die finanzielle Last nehmen, damit sie eine Sorge weniger haben“, so Knust. Vor Ort habe er aber erst das Ausmaß der Katastrophe und den tatsächlichen Erstbedarf der Menschen erkannt. „Als Erstes haben wir 5000 Eimer organisiert, als Nächstes die Versorgungsstation aufgebaut“, so der Bezirksleiter. Sein eigentlicher Job wurde zur Nebensache, die direkte Hilfe vor Ort für alle Bürger zählte. Und dazu gehörte auch das Straßenfest am vergangenen Samstag, das zumindest Hilfe für die Seele brachte.

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