Kreis startet Projekt Bezahlbarer Wohnraum ist im Rhein-Sieg-Kreis Mangelware

Rhein-Sieg-Kreis · Bis 2030 müssen 30.000 Wohnungen im Rhein-Sieg-Kreis gebaut werden. Dazu kommen große Aufgaben zur Versorgung einer älter werdenden Bevölkerung. Der Kreis hat Vorschläge erarbeitet und ein umfassendes Papier vorgelegt.

 Bauflächen für Wohnungen in der Innenstadt, wie hier in Siegburg unterhalb des Michaelsberges, sind begehrt und rar

Bauflächen für Wohnungen in der Innenstadt, wie hier in Siegburg unterhalb des Michaelsberges, sind begehrt und rar

Foto: Meike Böschemeyer

Zurückhaltung ist sicherlich eine der Haupteigenschaften von Hermann Tengler. Wenn der Kreiswirtschaftsförderer Alarm schlägt, dann klingt das so: "Bis 2030 müssen 30.000 Wohneinheiten geschaffen werden. Allein von 2016 bis 2020 müssten 2500 Wohnungen gebaut werden. Bislang ist der Bedarf aber nur zu etwa drei Viertel gedeckt. Wer heute durch den Rhein-Sieg-Kreis fährt, hat den Eindruck, als würde an allen Ecken und Enden gebaut. In den vergangenen drei Jahren entstanden 1926 Wohnungen jährlich. Im Vergleich zu den Vorjahren, als im Schnitt 1600 entstanden, ist das zwar eine Steigerung, dennoch reicht das nicht aus."

179-seitiges Kompendium vorgelegt

Tengler hat dem Kreiswirtschaftsausschuss ein 179-seitiges Kompendium vorgelegt, das es in sich hat. "Wir haben uns bemüht, eine Handreichung für Kommunen zu erstellen, das als Steuerinstrument für Bodenpolitik dienen kann", sagt Tengler. Doch das Papier birgt eine Menge Zündstoff. Nüchtern haben Tengler und seine Mitarbeiter den Ist-Zustand analysiert und den Bedarf bis 2040 anhand der zu erwartenden Bevölkerungsentwicklung ermittelt. Dabei haben sie auch die Sozial- und Gesundheitsplanung nicht aus dem Blick verloren. Die Ämter für Soziales, Finanzwesen, Wohnungsbauförderung, Kreisstraßenbau und Gebäudewirtschaft waren ebenfalls an dem Papier beteiligt.

Nicht überraschend also, dass das umfangreiche Papier durch alle Fraktionen hinweg als innovativer, umfangreicher Leitfaden gelobt wurde. Bedenken äußerten Einzelne allein hinsichtlich der Zahlen aus dem Zukunftsatlas, den das Wirtschaftsforschungs- und Beratungsunternehmen Prognos alle drei Jahre erstellt, und warnten davor, sie zu sehr in den Mittelpunkt der Planungen zu stellen, gleichwohl diese natürlich einen Trend benennen. Auch auf die eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten des Kreises wiesen einige hin. "Der Kreis ist nur so potent, wie es die Kommunen auch zulassen", sagte beispielsweise Martin Schenkelberg (CDU). "Wir brauchen eine stärkere Form der Zusammenarbeit." Wie mit dem Papier weiter umgegangen wird, das will der Ausschuss in seiner Sitzung am 19. Mai 2020 beschließen.

Preise für Bauland steigen

Das Problem ist bekannt: Die Preise für Bauland steigen ebenso wie die Kaufpreise für Einfamilienhäuser (durchschnittlich um 29 Prozent) und Eigentumswohnungen. Für eine Neubauwohnung muss man mittlerweile im Schnitt 3500 Euro pro Quadratmeter zahlen. Und da der Wohnungsmarkt in Bonn und Köln immer enger wird, rechnet Tengler damit, dass die sogenannten Überschwappeffekte zunehmen.

Aus seiner Sicht ist das Problem mit Blick auf die zukünftige Bevölkerungsentwicklung weniger der bezahlbare Wohnraum. Vielmehr sind es die Erfordernisse bezogen auf die veränderte Altersstruktur. Die jüngsten Prognos-Zahlen hätten gezeigt, dass die Gruppe der über 65-Jährigen stetig größer wird - von derzeit 126 000 um rund 58 000 bis zum Jahr 2040, was einem Zuwachs von mehr als 45 Prozent entspricht. Und auch die Gruppe der über 80-Jährigen nimmt gewaltig zu. Das bedeutet, dass auch die Nachfrage nach Dienstleistungen im sozialen und pflegerischen Bereich erheblich anwachsen werde. "Auf uns kommen in den nächsten Jahren wichtige versorgungs- und strukturpolitische Aufgaben zu", so Tengler.

Kreis hat Projekt ins Leben gerufen

Um diese effektiv erfüllen zu können, "müssen die Strukturen in Kommunalverwaltungen vernetzt werden, sodass eine fachbereichsübergreifende Zusammenarbeit der Verwaltung und ein hohes Maß an Transparenz und Kommunikation entstehen", heißt es daher im Bericht der Kreisverwaltung. Daher hat der Kreis ein Projekt ins Leben gerufen, mit dem er gemeinsam mit den Kommunen und den Fachämtern im Kreishaus eine Sozial- und Gesundheitsplanung entwickelt, "die wirkungsorientiert, integrativ und deshalb kleinräumig konzipiert ist". Sie konzentriert sich zunächst auf den Zuständigkeitsbereich des Sozial- und Gesundheitsamtes sowie des Kommunalen Integrationszentrums des Rhein-Sieg-Kreises. Dafür wurden bereits zwei Stellen geschaffen, die zu 80 Prozent vom Land gefördert werden. Das Projekt soll Ende Februar 2021 abgeschlossen sein.

"Im Jahr 2030 haben wir statistisch gesehen einen Median von 49 Jahren erreicht. Das bedeutet, dass dann 50 Prozent unserer Bevölkerung jünger als 49 Jahren sind und die andere Hälfte älter", so Tengler, der auch eine Begründung für die ungewöhnliche Altersstruktur nannte: Keine Region Deutschlands sei in den 1970er und 1980er Jahren so dynamisch gewachsen wie der Rhein-Sieg-Kreis, darunter besonders stark Meckenheim und Sankt Augustin. "Die Bevölkerungspyramide hatte bei den 30- bis 35-Jährigen eine breite Hüfte, und die ist eben mittlerweile nach oben gewandert", so Tengler.

Zahl der Personen im erwerbsfähigen Alter nimmt zu

Gleichzeitig nimmt die Zahl der Personen im erwerbsfähigen Alter, also von 19 bis 65 Jahren, um rund 24 000 (minus 6,6 Prozent) immer weiter ab. Tengler weist aber auch darauf hin, dass gerade die letztere Gruppe unkalkulierbarer sei, weil sie den Veränderungen am Arbeitsmarkt viel stärker unterworfen sei. Die Wanderungsprozesse richteten sich eben nach den Stellenangeboten.

Zusätzlich gebe es zu viele Hemmnisse, die das Bauen erschwerten, klagte Tengler. Neben vielen Auflagen, die die Baukosten erhöhten, käme aber insbesondere der Widerstand aus der Bevölkerung gegen Neubauprojekte in der Nachbarschaft hinzu, was zunächst von einzelnen Kommunalpolitikern und schließlich von Fraktionen befeuert würde. "Oft gibt es einfach keine Mehrheiten für Bauvorhaben", sagte Tengler.

Bürokratischen Hürden

Und dann käme die sehr lange Abwicklungsdauer hinzu. Selbst bei mehr oder weniger klaren planerischen Bedingungen würde es zu lange dauern - von der Erteilung der Baugenehmigung bis zur Fertigstellung. Die Durchschnittsdauer liegt im Rhein-Sieg-Kreis bei Einfamilienhäusern bei 18 Monaten, bei Mehrfamilienhäusern bei 25 Monaten. Und das habe nicht nur mit den bürokratischen Hürden zu tun. Die Statistiken des Kreises zeigten, dass mehr Genehmigungen erteilt als Bauvorhaben tatsächlich umgesetzt würden: Die Kapazitäten der Bauwirtschaft seien eben ausgelastet.

Deswegen, so Tengler, stehe die Region Bonn/Rhein-Sieg vor der Mammutaufgabe, nicht nur die Wohnraumversorgung zu meistern und dabei die Altersstrukturen im Auge zu behalten, sondern auch für eine Zukunftssicherung zu sorgen, damit die Region für Familien und jungen Menschen attraktiv bleibe. "Wenn wir die Bedürfnisse dieser Gruppen nicht bedienen, dann wird es düster, und der Fachkräftemangel ist dann nur eines unserer künftigen Probleme", so Tengler.

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