Stimmen aus dem Flut-Untersuchungsausschuss Kachelmann hätte um 11 Uhr gewarnt

Mainz · Katastrophe Meteorologen, Wasserwissenschaftler und Geografen sagen im Mainzer Flut-Untersuchungsausschuss aus. Ihre Einschätzung soll mithelfen zu klären, ob es Versäumnisse gegeben hat. Eine Erkenntnis ist klar: Die Flut war schon Stunden früher absehbar

 Der Meteorologe Jörg Kachelmann während des Mainzer Flut-Untersuchungsausschuss.

Der Meteorologe Jörg Kachelmann während des Mainzer Flut-Untersuchungsausschuss.

Foto: dpa/Arne Dedert

Als sich der Untersuchungsausschuss des Mainzer Landtags an diesem Freitag zum ersten Mal zu einer Befragung von Sachverständigen trifft, ist es genau ein halbes Jahr her, dass die große Flut das Ahrtal von einem auf den anderen Tag veränderte. 134 Menschen starben, mehr als 750 wurden verletzt, Tausende traumatisiert, rund 8800 Gebäude zerstört oder beschädigt.

Von einem der größten Unglücke der deutschen Nachkriegsgeschichte hat der CDU-Obmann Gordon Schnieder gesprochen. Und er fügte hinzu: „Das aufzuklären, dazu haben wir eine große Verantwortung.“ Zunächst mit Meteorologen, Hydrologen, Geographen, die an diesem Freitag erklären sollen, wie sich die Wetterlage an den Tagen vor und am 14. Juli entwickelt hat. Über allem steht auch an diesem Tag die Frage: Hätten die Menschen im Ahrtal früher gewarnt werden können oder müssen? Bekanntlich hat der Kreis Ahrweiler erst nach 23 Uhr den Katastrophenfall ausgelöst und vor einer Flutwelle gewarnt – als schon viele Menschen gestorben waren.

Evakuierungen hätten früher kommen müssen

Für den Meteorologen Bernhard Mühr ist klar: Allerspätestens gegen 16 Uhr habe es die Gewissheit gegeben, dass das Hochwasser weit über das vom 2. Juni 2016 gehen würde. In Müsch am Oberlauf war da schon der 2016er Pegel von 2,73 Metern erreicht worden. „Es war schon viel Regen gefallen. Über die Radarbilder war zu sehen, dass noch viel unterwegs war, und in den Wettermodellen war erkennbar, dass auch bis Mitternacht noch viel Regen fallen würde“, sagt Mühr.

„Hätten denn schon am Nachmittag der Katastrophenfall ausgelöst und Häuser evakuiert werden müssen?“, fragt der SPD-Abgeordnete Jens Guth. Pauschal das ganze Ahrtal zu evakuieren, das könne man natürlich nicht häufig machen, meint Mühr, „aber um 16 Uhr hätte man was machen müssen“.

Der Hannoveraner Wasserwissenschaftler Jörg Dietrich stimmt zu: „Man hätte am 14. Juli nachmittags sehr eindringliche Warnungen und auch schon Evakuierungen vornehmen müssen.“ Das Landesamt für Umwelt hatte um 11.17 Uhr die zweithöchste Warnstufe ausgerufen, um 17.17 Uhr die höchste. „War das die angemessene Reaktion?“, fragt Michael Frisch (AfD). Die Frage sei, ob man nicht schon vorher hätte höher gehen müssen, meint Dietrich.

Er kritisiert, dass nur ein Bereich von je 50 Metern links und rechts der Ahr evakuiert werden sollte. Das Wohnheim der Lebenshilfe in Sinzig, in dem zwölf Menschen starben, liegt 250 Meter von der Ahr entfernt. Der Wasserexperte fordert, dynamische Karten zu entwickeln, um Überflutungsflächen besser zu kennzeichnen. Schon am Tag zuvor sei klar gewesen, dass es ein besonders starkes Hochwasser geben würde, sagt Dietrich. Am Mittag habe sich eine 74-prozentige Wahrscheinlichkeit einer Sturzflut in einzelnen kleineren Flussgebieten des Mittelrheins und der Mosel gezeigt.

Plöger und Kachelmann sind sich uneinig

Auch für ARD-Wettermoderator Sven Plöger war klar: „Da kommt was auf uns zu.“ Deshalb habe er in seiner Sendung am 13. Juli die Zuschauer aufgefordert, von Flüssen wegzubleiben. Schwierig sei aber gewesen, einzuschätzen, wo es besonders dramatisch werden kann. „Am 13. Juli war die Katastrophe in dieser Dimension nicht erkennbar.“

Plögers Meteorologen-Kollege Jörg Kachelmann sagt, von Ausschuss-Chef Martin Haller auf diese Aussage angesprochen: „Das kann ich nicht nachvollziehen.“ Kachelmann spricht vom Morgen des 14. Juli, an dem klar gewesen sei, dass der starke Regen aus dem Münsterland ein paar Stunden später an der Eifel ankommen und sich dort stauen würde. „Da hätte es noch zwischen sechs und zwölf Stunden Zeit gegeben, eine Evakuierung voranzutreiben.“ Er hätte um 11 Uhr begonnen, „die Talschaft“ zu evakuieren, sagt er. Da sei klar gewesen, dass das Ahrtal überflutet werden würde. Und grundsätzlicher werdend: „Es ist immer genug Zeit, das Richtige zu tun. Niemand muss sterben.“ In den USA würden bei einem Hurrikan Orte entlang der berechneten Zugbahn mitsamt einem Sicherheitskorridor evakuiert. Da klage in der Regel niemand, wenn er deshalb mal einen Film nicht sehen könne.

Von ersten Anzeichen für schwerwiegende Überschwemmungen im Rhein-Einzugsgebiet schon am 10. Juli spricht die britische Hydrologin Hannah Cloke, die das europäische Hochwasserwarnsystem Efas mitentwickelt hat. Zu dem Zeitpunkt sei mit einer 20-prozentigen Wahrscheinlichkeit klar gewesen, dass es erst an kleineren Flüssen zu Überschwemmungen kommen werde, danach am großen Fluss.

25 Einzelwarnungen habe Efas herausgegeben. Deshalb sei sie überrascht gewesen, dass so viele Menschen ums Leben gekommen sind. Offenbar seien die Warnungen bei den Bürgern nicht angekommen. Möglicherweise auch deshalb, weil die deutschen Behörden die Warnungen nicht weitergegeben haben. Es bleibt aber unklar, ob und wie das Hochwassermeldesystem im Land auf die Efas-Warnungen reagiert hat. Das wird Teil einer der nächsten Befragungen sein.

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