Flutkatastrophe im Ahrtal Chatprotokolle zur Flutnacht sorgen für Wirbel

Ahrtal/Mainz · Als erste Vertreterin der Landesregierung sagt die frühere Umweltministerin und jetzige Bundesfamilienministerin Spiegel im Untersuchungsausschuss aus. Ihrer Befragung am Freitag wird vom Bekanntwerden nicht-öffentlicher Kurznachrichten überschattet.

 Die Wassermassen zerstörten große Teile der Infrastruktur.

Die Wassermassen zerstörten große Teile der Infrastruktur.

Foto: dpa/Boris Roessler

Wenige Tage vor der geplanten Anhörung von Bundesministerin Anne Spiegel im Landtags-Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe sorgen bekanntgewordene Chat-Protokolle für Kritik. Nach den von der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ) und Focus online veröffentlichten Kurznachrichten ging es zwischen der Grünen-Politikerin sowie ihren Pressesprechern am Morgen nach der Flutkatastrophe Mitte Juli 2021 vor allem darum, ein „Wording“ zu finden, dass sie rechtzeitig gewarnt hätten. Spiegel war damals stellvertretende Ministerpräsidentin und Umweltministerin in Rheinland-Pfalz.

Spiegel schreibt in der veröffentlichten Kommunikation auch, dass sie ihrem Koalitionspartner, Innenminister Roger Lewentz (SPD), zutraue, dass er sage, die Katastrophe habe verhindert werden können oder sei weniger schlimm gewesen, wenn das Umweltministerium früher gewarnt hätte.

Zeugenaussagen im Untersuchungsausschuss

Der Fraktionsvorsitzende der Grünen-Landtagsfraktion Bernhard Braun sprach von einer „bösartigen Kampagne“, um die bisherige Aufklärungsarbeit des Untersuchungsausschusses zu konterkarieren. Die bisherigen Zeugenaussagen im Untersuchungsausschuss hätten eindeutig gezeigt: „Die Warnungen lagen alle vor, auch vor Ort. Auch den für den Katastrophenschutz zuständigen Behörden, die für die Einsatzleitung verantwortlich waren“, sagte Braun, der auch dem Gremium angehört. „In die Zuständigkeiten der Katastrophenschutzbehörden kann das Umweltministerium nicht eingreifen. Es gab aufgrund der Rückmeldungen die Gewissheit, dass alle Informationen vor Ort vorliegen.“

 Anne Spiegel (vorne rechts) macht sich im vergangenen Oktober gemeinsam mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ein Bild von der Situation im flutgeschädigten Weindorf Mayschoß.

Anne Spiegel (vorne rechts) macht sich im vergangenen Oktober gemeinsam mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ein Bild von der Situation im flutgeschädigten Weindorf Mayschoß.

Foto: Martin Gausmann

CDU-Fraktionschef Christian Baldauf kritisierte hingegen: „Spiegel stellt die mediale Performance und machtpolitisches Taktieren über die Not der Menschen im Ahrtal. Das ist beschämend und unwürdig für eine Ministerin.“ Der Obmann der größten Oppositionsfraktion im Untersuchungsausschuss, Dirk Herber (CDU), forderte von Spiegel eine „lückenlose Aufklärung im Hinblick auf ihr Krisenmanagement in der Flutnacht“. Spiegel solle zudem sämtliche Kontakte zum Innenministerium während der Katastrophe offenlegen.

Der Vertreter der Freien Wähler im Untersuchungsausschuss, Stephan Wefelscheid betonte, er könne sich nicht zur Echtheit der Chats äußern. Wenn die Unterlagen aber echt seien, „wirft dies ein erschreckendes Bild auf die moralische Verfasstheit der Ministerin“. „Der erste Gedanke darf nicht dem eigenen Image gelten, sondern der Abwendung der Gefahrenlage.“

Nach Ansicht des AfD-Fraktionsvorsitzenden Michael Frisch, der auch dem Untersuchungsausschuss angehört, bestätigt Spiegels Kommunikation „die schlimmsten Vermutungen über Politiker, die mehr am eigenen Fortkommen interessiert sind als am Wohl der Bürger“.

Noch keine Äußerung aus Ministerium

Spiegels Ministerium in Berlin verwies für eine Reaktion auf das Umweltministerium in Mainz. Dieses äußerte sich zunächst nicht. Die Pressesprecher aus den veröffentlichten Chat-Protokollen waren zunächst auch nicht zu erreichen. Auch Lewentz' Innenministerium äußert sich zu Ermittlungsakten aus laufenden Verfahren nicht. „Das gilt auch für Berichterstattung zu nicht-öffentlichen Akten des Untersuchungsausschusses“, teilte sein Ministerium mit.

Bei der Flutkatastrophe vom 14. auf den 15. Juli 2021 waren im nördlichen Rheinland-Pfalz 135 Menschen ums Leben gekommen, davon 134 im stark verwüsteten Ahrtal. Rund 750 Menschen wurden verletzt. Viele leben noch immer in Not- und Ausweichquartieren. Der Untersuchungsausschuss des Landtags will aufklären, wie es zu der verheerenden Sturzflut kommen konnte. Spiegel wird dazu am kommenden Freitagabend (11. März) in Mainz erwartet.

Die Staatsanwaltschaft Koblenz ermittelt seit August 2021 gegen den CDU-Politiker und Landrat Jürgen Pföhler sowie ein Mitglied seiner früheren Einsatzleitung. Es geht um den Anfangsverdacht der fahrlässigen Tötung und fahrlässigen Körperverletzung durch Unterlassen wegen womöglich zu später Warnungen und Evakuierungen der Flutkatastrophe. Pföhler hat dies zurückgewiesen, und sein Verteidiger hat kürzlich die Staatsanwaltschaft kritisiert, weil der Tatvorwurf nach sechs Monaten noch nicht konkretisiert worden sei.

Der Anwalt des anderen Beschuldigten betonte, sein Mandat sei ausschließlich ehrenamtlich in seiner Freizeit als freiwilliger Feuerwehrmann tätig gewesen. „Nach den Katastrophenschutzregeln des Landes Rheinland-Pfalz hätte zwingend der Landrat die Gesamtleitung persönlich wahrnehmen müssen.“ dpa

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