Klimapositive Äpfel aus Gelsdorf Vorreiterprojekt für nachhaltige Landwirtschaft in der Grafschaft

Grafschaft · Die Agri-Photovoltaik-Anlage in der Grafschaft gilt als Vorreiterprojekt für nachhaltige Landwirtschaft. Im Projekt sehen die Verantwortlichen einen Durchbruch, obwohl es noch einige Unklarheiten gibt.

 Der Bio-Obsthof Nachtwey aus Gelsorf testet die revolutionäre Agri-PV-Anlage. Die rheinland-pfälzische Klimaministerin Katrin Eder (3.v.l.) informiert sich auf der Plantage über den Fortschritt und die Apfelernte.

Der Bio-Obsthof Nachtwey aus Gelsorf testet die revolutionäre Agri-PV-Anlage. Die rheinland-pfälzische Klimaministerin Katrin Eder (3.v.l.) informiert sich auf der Plantage über den Fortschritt und die Apfelernte.

Foto: Martin Gausmann

Sie habe ihre Mitarbeiter regelrecht gedrängelt, sich die Agri-Photovoltaik-Anlage (Agri-PV) beim Gelsdorfer Bio-Obsthof Nachtwey ansehen zu können, gab die rheinland-pfälzische Ministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie und Mobilität am Donnerstag unumwunden zu. Nun wurde ihr Wunsch erhört, Eder war Gast beim Hoffest anlässlich der ersten Apfelernte unter der Photovoltaikanlange. Die im Mai des vergangenen Jahres gesetzten Apfelbäume mit acht verschiedenen Sorten tragen derzeit erstmals Früchte. Auf die erste Stromernte muss man in Gelsdorf dagegen noch warten, denn noch sind nicht alle Komponenten installiert. In wenigen Monaten soll es so weit sein. „Wir haben uns nach der Flutkatastrophe im Ahrtal erst einmal hintenangestellt, da gab es Wichtigeres für die Stromversorger zu tun, als unsere Anlage ans Netz zu bringen“, erklärte Johannes Nachtwey die Verzögerung.

Doppelnutzung der Anbaufläche mit Solaranlage und Obstbau

Dennoch geht es voran bei Deutschlands erster Agri-PV-Anlage auf einer Obstplantage. Der Betrieb testet auf einem Drittel Hektar die Doppelnutzung der Fläche mit Solaranlage und Obstbau. Dabei müsse die Erzeugung der Äpfel oberste Priorität haben, sagte Christian Nachtwey beim Ortstermin in der Plantage. Erst in zweiter Linie sei die Stromerzeugung zu sehen. So sieht es auch die Gesetzeslage vor, demnach der landwirtschaftliche Ertrag gegenüber einer herkömmlichen Anlage mindestens bei zwei Dritteln liegen muss. Als Referenz wurden gleich neben der Anlage Systeme mit Hagelschutznetzen und mit Folien installiert. Dabei erfüllt die Agri-PV-Anlage neben der Stromgewinnung auch noch andere Zwecke. Auch sie dient dem Schutz vor Hagel, aber auch dem Schutz vor extremer Sonneneinstrahlung und Sonnenbrand bei den Früchten. Die Entwicklung und Bewertung der Agri-PV-Anlage und ihr Einfluss auf die Obsternte erfolgt in einem Forschungsprojekt, bei dem das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) federführend für die Projektkoordination ist. Gefördert wird das Projekt unter anderem vom Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) und dem rheinland-pfälzischen Klimaschutzministerium.

Kreistagsmitglied Wolfgang Schlagwein berichtete der Ministerin und den rund 100 Gästen noch einmal von den Anfängen. Die Idee kam aufgrund eines ähnlichen Forschungsprojekts, einer Anlage über Gemüseanbau am Bodensee, auf. Die Obstregion Grafschaft bot sich da förmlich für ein weiteres Projekt an, Bio-Obstbauer Nachtwey war schnell überzeugt.

Sonnenschäden beim Obst können mit der Anlage minimiert werden

Max Trommsdorff vom Fraunhofer-Institut ISE aus Freiburg berichtete über den Projektaufbau und die Förderungsschwerpunkte von Land und Bund. Während sich die Landesförderung mit den Schwerpunkten Technik, Politik und Ökonomie befasse, konzentriere sich die Förderung des Bundeslandwirtschaftsministeriums auf die Themen Landwirtschaft und Gesellschaft.

Jürgen Zimmer vom Dienstleistungszentrums Ländlicher Raum Rheinpfalz (DLR) blickte auf die landwirtschaftlichen Fragen. So gebe es im Land bereits Sonnenschäden bei Äpfeln von 20 bis 30 Prozent, unter der Anlage liegen diese Zahlen nahe Null. Geprüft werde derzeit, welche anderen Schutzfunktionen die Anlage über ihren eigentlichen Zweck hinaus noch leisten kann. Dass es zu Hagelschäden gekommen sei, wollte Zimmer nicht allzu hoch bewerten, schließlich seien die Bäume noch jung und bei stärkerem Wuchs resistenter. Zudem habe man mit drei Meter langen Solarpanels geplant, der Markt gab jedoch nur zwei Meter lange Panels her. Was Zimmer bereits jetzt sagen kann: Das bis April 2025 ausgelegte Forschungsprojekt bedürfe einer Verlängerung, auf die man hoffe, denn es werden bis 2025 keine drei vollen Ertragsjahre zu realisieren sein. „Man lernt jeden Tag neu dazu und bekommt neue Daten“, betonte Zimmer die Wichtigkeit des Projekts mit spannenden und teilweise nicht erwarteten Ergebnissen.

270 Megawattstunden Strom sollen später ins Netz eingespeist werden

Maximilian Tegtmeyer vom ausführenden Konzern BayWa erläuterte den Gästen den Aufbau der Anlage mit achtreihigen PV-Modulen, von den drei Reihen mit drehbaren PV-Trackern ausgestattet seien. Es werden acht verschiedene Apfelsorten getestet, mit dem Ziel, darzustellen, wie der klima-positive Apfel erzeugt werden kann. Mehr als 1000 Module in drei verschiedenen Ausführungen stehen in gut drei Metern Höhe über 1200 Apfelbäumen. Der erzeugte Strom wird später 270 Megawattstunden Strom ins Netz einspeisen. Genug, um rund 70 Haushalte das ganze Jahr über mit Strom zu versorgen.

Mit der Wahrnehmung und Akzeptanz solcher Anlagen beschäftigt sich Sebastian Gölz von Fraunhofer ISE. In einer ersten Analysephase hatte er diejenigen befragt, die sich direkt mit dem Projekt beschäftigen, nämlich Akteure aus dem Energiesektor, der Landwirtschaft, den Landwirtschaftsverbänden und Umweltverbänden. Dabei sehen alle Akteure die Wirtschaftlichkeit und Mehrfachnutzung der Flächen als positiv an. Probleme sieht man noch in der aktuellen Gesetzgebung, hier gibt es noch viele Fragen und Unklarheiten. Bei den befragten Akteuren aus dem Landwirtschaftssektor wurden keinerlei Faktoren, die die Befürwortung einer Agri-PV hemmen könnten, genannt.

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