Verwendung des Produktionswassers Zweifel an Haribos Energie-Projekt

Grafschaft · Der Umweltausschuss Grafschaft tauscht sich zu nachhaltigen Nutzungskonzepten des Produktionswassers aus. Die Verwaltung gab unlängst eine Machbarkeitsstudie in Auftrag, die Ergebnisse liegen nun vor.

 Die energetische Weiterverwendung des Abwassers von Haribo beschäftigt den Umweltausschuss in der Gemeinde Grafschaft.

Die energetische Weiterverwendung des Abwassers von Haribo beschäftigt den Umweltausschuss in der Gemeinde Grafschaft.

Foto: Martin Gausmann

Mit der Gummibärchenproduktion entsteht beim Grafschafter Unternehmen Haribo süßes und zugleich warmes Abwasser, das entsorgt werden muss. Entstanden ist im Rathaus die Idee, genau dieses Abwasser in Energie umzuwandeln, um beispielsweise Gebäude der Gemeinde zu versorgen. Und dann gibt es da noch die Tongrube Leimersdorf, deren ausgebeutetes Südfeld als Wärmespeicher dienen und die umliegenden Orte Oeverich, Niederich, Leimersdorf und Nierendorf mit Wärme versorgen könnte. Zukunftsweisende Ideen in Zeiten des Klimawandels. Die Verwaltung gab eine Machbarkeitsstudie in Auftrag, die Ergebnisse liegen jetzt vor. Im Umweltausschuss machte sich erste Ernüchterung breit.

Untersuchung zur technischen Machbarkeit

Denn das, was das Institut für angewandtes Stoffstrommanagement (IfaS) des Umwelt-Campus-Birkenfeld vorlegte, gereichte dem ein oder anderen Ausschussmitglied zur Abkehr von der Idee. Beleuchtet wurden die technische, aber auch die wirtschaftliche Machbarkeit. Das Süßwarenwerk und die ehemalige Grube liegen 2,7 Kilometer voneinander entfernt, da stellt sich zum Beispiel die Frage, wie die Wärme zum Wärmespeicher kommt.

Als eine von drei Möglichkeiten wird der „Biogastransport“ mit produktionsnaher Vorbehandlungsanlage und Biogasleitung zum Blockheizkraftwerk am Standort des Wärmespeichers favorisiert. Die genaue Menge der Produktionswässer lag IfaS nicht vor, wohl eine Datengrundlage, nach der beim heutigen Ausbaustand des Haribo-Werks ein Heizwert von 8,8 Megawattstunden zugrunde gelegt wird, bei einem möglichen Komplettausbau in den kommenden Jahren steigt die Annahme auf 17,7 Megawattstunden.

Kraft-Wärme-Kopplung im Biogas-Blockheizkraftwerk

Betrachtet man die vier umliegenden Ortschaften um die Grube, ist deren Wärmebedarf höher, wobei IfaS nicht mit einer hundertprozentigen Anschlussquote rechnet. Es wird empfohlen, Solarthermie-Freiflächenanlagen in das Versorgungskonzept einzubeziehen, da auch bei einer 70-prozentigen Anschlussquote und voller Haribo-Ausbaustufe nicht genügend Wärme produziert würde. Letztlich definierte IfaS insgesamt acht Untersuchungsvarianten: mit und ohne Solarthermie, mit Heißwasser- oder Kieswasserspeicher, bei Haribo-Aufbaustufe II oder IV.

Zur Umwandlung der Abwässer in Strom und Wärme empfiehlt das Institut Kraft-Wärme-Kopplung in einem Biogas-Blockheizkraftwerk. Im günstigsten Fall könnten am Ende 2500 Haushalte mit Strom und 440 mit Wärme versorgt werden, in der aktuellen Ausbaustufe des Werks liegt das Biogaspotenzial bei der Hälfte. Ergänzt werden soll die Anlage mit einer Freiflächen Solarthermie. Eine derartige Kombination wäre in Deutschland einmalig, wohl aber gibt es ähnliche Anlagen bereits in Dänemark. Die Kombination könnte am Ende 85 Prozent der Haushalte von Oeverich, Niederich, Leimersdorf und Nierendorf mit Wärme versorgen. Ohne Solarthermie könnten bis zu 70 Prozent der Haushalte versorgt werden.

Bleibt die Frage nach der Wirtschaftlichkeit. Schon der Investitionsbedarf ist enorm, geht von rund 800 000 Euro für das BHKW, gut neun Millionen Euro für die Solarthermie und bis zu 11,3 Millionen Euro für den Erdspeicher aus. 360 000 Euro sind für die Mikrogasleitung und mehr als zehn Millionen für die Erschließung der vier Ortschaften samt Hausanschlüssen nötig. Mit allen Nebenkosten stehen bis zu 40 Millionen Euro im Raum. Zum Vergleich: Der gesamte Gemeindehaushalt für 2022 beläuft sich auf 32 Millionen Euro in den Ausgaben.

Freiflächen-Solarthermie im Fokus

Im Umweltausschuss gingen die Meinungen auseinander. Andreas Ackermann (CDU) hinterfragte die Wirtschaftlichkeit des Projekts. Günter Bach (SPD) kann sich nicht vorstellen, genügend Interessenten gewinnen zu können, zumal erst vor Kurzem in Nierendorf eine Kampagne zu neuen Gasanschlüssen führte.

Auch Reinhold Hermann (FWG), der am Ende gegen die Fortführung des Projekts stimmte, sieht die Reduzierung der Treibhausgase zwar als wichtig, die Wirtschaftlichkeit des Projekts aber als nicht gegeben an. Michael Schneider (CDU), der die Sitzung in Vertretung von Bürgermeister Achim Juchem leitete, betonte die Notwendigkeit der Förderung eines solchen Projekts, für dessen Fortführung sich auch Wirtschaftsförderer Klaus Becker aussprach: „Aufgabe der Studie war es, herauszufinden, ob die Idee Spinnerei ist oder tatsächlich umsetzbar, nicht die Wirtschaftlichkeit, zu der man heute noch nichts sagen kann. Wir müssen weitermachen und nachjustieren“, so Becker.

Für die Grünen sprach Manfred Brinkhoff von einer sehr guten Nachnutzung des Tongrubengeländes und empfahl die Wärmespeicherung mittels reinen Wassers. Sein Parteikollege Mathias Heeb betonte, dass man über eine Umsetzung erst in fünf bis acht Jahren rede. „Wenn man jetzt sagt, es rechnet sich nicht, können wir es auch ganz sein lassen“, so Heeb mit Blick auf den Klimaschutz. Claus Hartmann (SPD) empfahl statt der Konzentration auf vier schon versorgte Orte den Anschlusszwang in möglichen Neubaugebieten.

Letztendlich empfahl der Ausschuss mehrheitlich, auf der Grundlage der Machbarkeitsstudie das Bauleitplanverfahren „Sondergebiet Kraft-Wärme-Kopplung/ saisonale Wärmespeicherung“ fortzuführen und sowohl bei der weiteren technischen Ausführungsplanung, als auch bei der weiteren Bauleitplanung die Freiflächen-Solarthermie einzubeziehen.

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