"Nach der reinen Lehre ist das FOC tot"

Kurt Schmitz-Temming, Vize-Chef der IHK Bonn/Rhein-Sieg, sieht keine Chance für ein Grafschafter Einkaufscenter.

"Nach der reinen Lehre ist das FOC tot"
Foto: Volker Jost

Gekämpft wird mit harten Bandagen. Während Grafschafts Bürgermeister Achim Juchem Himmel und Hölle in Bewegung setzt, um im bisher nicht zu vermarktenden Innovationspark Grafschaft-Ringen ein Factory Outlet Center (FOC) auf die grüne Wiese bauen zu dürfen, setzen sich Geschäftsleute und Politiker aus der Umgebung zur Wehr, weil sie um die Attraktivität ihrer Innenstädte fürchten.

Jüngst behauptete Juchem, der Zustimmung der Bad Neuenahrer sicher zu sein, die im Ausgleich einen kleineren FOC-Ableger für die eigene Innenstadt erhalten sollten, wurde aber von seinem Amtskollegen aus der Kurstadt sofort berichtigt (der GA berichtete). Mit Kurt Schmitz-Temming, dem Vize-Chef der Industrie- und Handelskammer (IHK) Bonn/Rhein-Sieg sprach Sylvia Binner über den Interessenkonflikt.

General-Anzeiger: Auf welchem Standpunkt steht die Industrie- und Handelskammer Bonn/Rhein-Sieg, was das geplante Factory Outlet Center (FOC) in der Grafschaft angeht?

Kurt Schmitz-Temming: Wir sind für Einzelhandel - aber an der richtigen Stelle. Der klassische Ort dafür ist die Innenstadt. Oder, um es mit Kaufhof-Gründer Leonhard Tietz zu sagen: Geschäfte werden da gemacht, wo es sich knubbelt.

Der Handel hat für die Innenstädte eine Magnetfunktion und zieht reichlich Publikum an. Schließlich wollen wir lebendige Städte und keine Museen. Nehmen Sie Bonn: 60 000 bis 70 000 Menschen kommen an guten Tagen wegen des Einzelhandels in die Stadt. Das können sie mit keiner Volkshochschule erreichen.

GA: Wenn Sie an dieser Stelle Bonn nennen, dann scheinen Sie zu befürchten, dass ein FOC jenseits der rheinland-pfälzischen Landesgrenze auch die Geschäfte in Bonn beeinträchtigt?

Schmitz-Temming: Je nach Zusammensetzung des Sortiments in dem FOC reichen die Auswirkungen bis Bonn. Noch unmittelbarer betroffen wären jedoch die direkten Nachbarn, Wachtberg, Rheinbach als Mittelzentrum und Meckenheim.

GA: Aber jetzt mal Hand aufs Herz: Müsste Ihnen als IHK-Vertreter nicht jeder Ort recht sein, an dem die Wirtschaft blüht? Also auch ein FOC in Grafschaft-Ringen an der Autobahn?

Schmitz-Temming: Stimmt, wir machen da einen Spagat. Denn auf der einen Seite liegt uns als IHK an der Vielfalt der Vertriebstypen. Damit meinen wir, dass es natürlich den Fachhandel ebenso geben soll wie Ketten, Warenhäuser und auch den Handel auf der grünen Wiese. Auf der anderen Seite geht es uns aber auch darum, die Innenstädte nicht ausbluten zu lassen.

GA: Nun hat das Oberverwaltungsgericht in Koblenz den Bebauungsplan für ein FOC in Montabaur entgegen der Einwände aller Kritiker im November 2010 für wirksam erklärt. Ein Urteil, das die Befürworter des FOC Grafschaft als auch für sie hilfreich gefeiert haben. Sie halten dagegen.Warum?

Schmitz-Temming: Weil sämtliche Punkte, mit denen das Gericht für Montabaur grünes Licht gegeben hat, in Grafschaft nicht erfüllt sind. Grundlage für die Bewertung ist das rheinland-pfälzische Landesentwicklungsprogramm IV, das verbindliche Ziele der Raumordnung festschreibt, von denen nur mit Hilfe eines Zielabweichungsverfahrens abgewichen werden darf.

Zu den Kernpunkten gehört beispielsweise das im Landesentwicklungsprogramm verankerte Zentralitätsgebot. Da sagt das Oberverwaltungsgericht in Koblenz, dass dieses Gebot durch den Bau des FOC nicht verletzt werde, weil Montabaur selbst ein Mittelzentrum ist. Das sieht in Grafschaft aber ganz anders aus, da haben wir nämlich ein Unterzentrum. Das ist das erste K.-o.-Kriterium.

Und dann ist in der Nähe null Innenstadt, was dem städtebaulichen Integrationsgebot widerspricht, nach dem großflächiger Einzelhandel mit innenstadtrelevanten Sortimenten nur in zentralen Versorgungsbereichen, insbesondere in Innenstädten, angesiedelt werden darf. Entsprechend des Landesentwicklungsprogramms ein weiteres K.-o.-Kriterium.

Ein Zielabweichungsverfahren setzt voraus, dass sich etwas an den Tatsachen ändert. Das sehe ich nicht. Allerdings gibt es da noch einige schwammige Parameter, mit denen Hintertüren offen gehalten werden.

GA: Und wie kann es kommen, dass Achim Juchem, Bürgermeister der Gemeinde Grafschaft, aus dem Urteil genau den umgekehrten Schluss zieht?

Schmitz-Temming: Es kommt mir ein bisschen wie eine Köpenickiade vor. Da wird einfach mal was behauptet. Aber nach der reinen Lehre ist das FOC so tot, wie es nur tot sein kann.

GA: Juchem hat jüngst versucht, die Konkurrenz aus Bad Neuenahr-Ahrweiler ins Boot zu holen, indem er den Kurstädtern in einem "Huckepack-Verfahren" eine Scheibe vom FOC-Kuchen abgibt. Ein cleverer Schachzug, der die Chancen erhöht, das FOC bauen zu dürfen?

Schmitz-Temming: Eine solche Frage muss mit Nein beantwortet werden: Es handelt sich hierbei um zwei völlig unterschiedliche Standorte, einmal Unterzentrum, zum anderen Mittelzentrum, die bei Ansiedlungsvorhaben auch eine unterschiedliche Beurteilung erfahren.

Bad Neuenahr wird sich mit der Ansiedlung von großflächigem Einzelhandel an einem integrierten Standort sehr viel leichter tun. Durch eine mögliche Kooperation mit Bad Neuenahr wird aus dem Grüne-Wiese-Standort in Grafschaft aber trotzdem kein Innenstadt-Standort.

GA: Für die nach Ihrer Ansicht aussichtslose Lage machen die FOC-Pläne aber einer ganzen Menge von Leuten Kopfzerbrechen.

Schmitz-Temming: Das stimmt, das klingt fast nach Tragikomödie. Selbst den Investor kennt man nicht wirklich. Dennoch sind viele Betroffene in Aufruhr, wollen auf keinen Fall zu spät aufwachen. Auch wir als IHK haben mit dem nordrhein-westfälischen und dem rheinland-pfälzischen Wirtschaftsministerium korrespondiert.

GA: Das klingt so, als würden da auf jeden Fall eine Menge Kosten produziert. Auch wenn hinterher immer noch nichts auf der Fläche in Grafschaft steht, die ursprünglich mit Mitteln aus dem Bonn/Berlin-Ausgleich für die Gewerbeansiedlung erschlossen worden ist.

Schmitz-Temming: Das war schon der erste Sündenfall. Ich kann verstehen, dass man enttäuscht darüber ist, die Gewerbeflächen nicht vermarktet zu haben. Aber die Korrektur dieses Fehlers darf nicht auf Kosten der Allgemeinheit gehen.

GA: Teile dieser Allgemeinheit würden sich über ein FOC in erreichbarer Nähe freuen.

Schmitz-Temming: Die Outlet Center sind eine künstliche Welt, aber sie werden von Kunden angenommen. Wie attraktiv das für den Einzelnen ist, liegt an seinem subjektiven Empfinden.

Ich räume sogar ein, dass die Gemeinde Grafschaft strategisch ein guter Standort dafür wäre, nahe des Ballungsraums Köln. Aber wir haben genug solcher Einkaufszentren in Nordrhein-Westfalen. Und vor allem haben wir jede Menge attraktive Innenstädte.

Zur PersonKurt Schmitz-Temming, geboren am 22. April 1951 in Köln, ist seit 2005 stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Bonn/Rhein-Sieg. Der Volljurist, in der Kammer unter anderem für die Themen Verkehr, Handel, Industrie, Tourismus und Kultur zuständig, ist verheiratet und Vater von zwei Kindern.

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