Industrie oder Landwirtschaft? Eine Solaranlage sorgt für Wirbel in Grafschaft

Grafschaft · Werden die Kommunen bei wichtigen Bauvorhaben übergangen? Diese Frage stellt sich aktuell wegen beantragter Solaranlagen entlang der A61

 Freie Flächen entlang der A61 können auf der Grafschaft für Solaranlagen genutzt werden

Freie Flächen entlang der A61 können auf der Grafschaft für Solaranlagen genutzt werden

Foto: ahr-foto

Hebelt das vom Bundestag beschlossene „Gesetz zur sofortigen Verbesserung der Rahmenbedingungen für die erneuerbaren Energien im Städtebaurecht“ die kommunale Planungshoheit aus? Diese Frage muss wohl letztlich das Bundesverfassungsgericht entscheiden, vermutet der Grafschafter Bürgermeister Achim Juchem (CDU).

„Es wäre eine absolute Katastrophe“

Doch für die Entscheidungsfreiheit des Grafschafter Gemeinderates hat das Gesetz schon wenige Wochen nach seinem Inkrafttreten schwerwiegende Folgen: In einem 200 Meter breiten Streifen entlang der Autobahn A 61 könnten auf bis zu 245 Hektar Freiflächen-Fotovoltaikanlagen entstehen, ohne dass Rat oder Verwaltung etwas dagegen ausrichten könnten. „Es wäre eine absolute Katastrophe, diese höchstwertigen landwirtschaftlichen Flächen mit Fotovoltaik zuzubauen“, konnte nicht nur Agraringenieurin Margret Nelles-Lawnik (CDU) die neue Entwicklung kaum fassen.

Eigentlich stand auf der Tagesordnung des Gemeinderates die Frage, wie mit einem Antrag auf Errichtung einer Freiflächen-Fotovoltaikanlage auf einer 6,6 Hektar großen Parzelle „Hinter den sechs Morgen“ direkt am Autobahndreieck Bad Neuenahr-Ahrweiler umgegangen werden soll. Ein Investor aus Euskirchen hatte die Einleitung eines Bauleitplanverfahrens für einen geplanten Solarpark nördlich der A 61 beantragt, wo etwa 7,75 Megawatt Solarenergie pro Jahr erzeugt werden sollen. Das Projekt ermögliche nach Angaben des Investors die Produktion grüner Energie für mehr als 2150 Dreipersonenhaushalte und könne so zu einem wichtigen Baustein der regionalen Energiewende werden.

Die ins Auge gefasste Fläche sei einerseits wegen ihrer Nähe zur Autobahn im Erneuerbare-Energien-Gesetz als vorrangige Fläche für Freiflächen-Fotovoltaikanlagen ausgewiesen, bestätigte Juchem. Doch auf der anderen Seite handele es sich hier um besonders hochwertigen landwirtschaftlichen Boden, der im regionalen Raumordnungsplan Mittelrhein-Westerwald sogar als landwirtschaftliche Vorrangfläche dargestellt werde. Und auf solchen landwirtschaftlichen Vorrangflächen sollten Fotovoltaik-Anlagen eigentlich vermieden werden und stattdessen Flächen mit geringerer Wertigkeit den Vorzug erhalten.

Deshalb wollten Rat und Verwaltung den Antrag zurückstellen, weil sie ein enormes Konfliktpotenzial mit Naturschutz und Landwirtschaft sehen. Zunächst sollten Kriterien zur Standortbeurteilung festgelegt und darauf aufbauend eine Flächensteuerung hin zu weniger wertvollen Parzellen vorgenommen werden. So hätte die Grafschaft noch selbst das Heft des Handelns in Sachen Fotovoltaik in der Hand gehabt.

Doch mit dem neuen Gesetz, das zum 1. Januar in Kraft trat, ändert sich alles. Darin wird nämlich sogar eine Privilegierung für Freiflächen-Fotovoltaikanlagen im 200-Meter-Streifen entlang von Autobahnen verkündet. „Damit braucht es in diesen Bereichen gar keine Bauleitplanung mehr“, informierte Juchem den Gemeinderat. Ähnlich wie landwirtschaftliche Vorhaben im Außenbereich seien solche Anlagen nur noch baugenehmigungspflichtig.

Wird die Landwirtschaft verdrängt?

Dennoch bleibe der Konflikt zwischen Fotovoltaik und Landwirtschaft auf diesen Flächen bestehen, und es stelle sich die Frage, welche Schutz- und Steuerungsmöglichkeiten der Gemeinde überhaupt noch habe.

Die SPD habe schon frühzeitig auf dieses Konfliktpotential hingewiesen, kommentierte SPD-Fraktionschef Hubert Münch. Doch erstaunlicherweise teile der Vorsitzende des Kreisbauern- und Winzerverbandes, der Grafschafter Franz Josef Schäfer, diese Bedenken nicht. Stattdessen habe Schäfer in einer Stellungnahme auf die Pachteinnahmen verwiesen, die solche Anlagen für die Landwirte finanziell sehr attraktiv machten.

Die Solar-Nutzung ist für manchen profitabel

„Natürlich gibt es in der Landwirtschaft Leute, die sich darüber freuen, diese Äcker verkaufen zu können und einen Reibach zu machen“, wusste auch Nelles-Lawnik. Doch man könne nicht einerseits mehr Unabhängigkeit von Getreide-Importen aus dem Ausland verlangen, wie im vergangenen Jahr zu Beginn des Ukraine-Krieges, und andererseits immer mehr einheimische hochwertige Landwirtschaftsflächen versiegeln. Selbst Grünen-Fraktionschef Mathias Heeb gab zu, dass seine Fraktion zwar die Förderung der Erneuerbaren Energien grundsätzlich unterstütze, doch in diesem Falle müssten die Interessen der Landwirtschaft höher bewertet werden. „Sonst kann es passieren, dass wir irgendwann der Solarpark für ganz Rheinland-Pfalz werden“, befürchtete er.

Eine Chance in der Erzeugung von Strom aus Freiflächen-Fotovoltaik-Anlagen sah hingegen Münch. Deshalb solle die Gemeinde überlegen, ob der Einstieg in die Stromproduktion aus solchen Anlagen nicht auch, eventuell über die Gemeindewerke, als Geschäftsmodell infrage komme, schlug er vor. „Damit kämen wenigstens die Erlöse den Bürgern der Grafschaft zugute.“ Viele andere Gemeinden seien in diesem Bereich schon erfolgreich tätig.

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