"Grau ist bunt"in der Rheinhalle Henning Scherf spricht über das Altern als Chance
REMAGEN · "Das Altern ist kein Exotenthema mehr" - davon ist der lebensfrohe, ehemalige Bremer Bürgermeister Henning Scherf überzeugt. Der 77-Jährige, der den Abend mit dem Titel "Grau ist bunt - Von den vielen Facetten des Älterwerdens" im Foyer der Remagener Rheinhalle mit Handschlag für jeden einzelnen der 140 Besucher begann, kann sich durch den Andrang bestätigt sehen.
Mit Witz und Wissen, manchmal auch schon mit überschlagender Stimme, lag dem redegewandten Scherf viel daran, den im Durchschnitt nur wenig jüngeren Zuhörern die Sorge vor den Gebrechen des Alters zu nehmen und ihnen ihre Potenziale zu verdeutlichen - für ihr eigenes Wohlbefinden und für die Gesellschaft.
Immer unter Leuten sein und "bis ins hohe Alter etwas zu tun haben" sind Scherfs Orientierungslinien, die er sich von einer Studie über Über-Hundertjährige aus aller Welt - seine Vorbilder - abgeguckt hat. Es gebe eine "große Zahl an gut Versorgten" in Deutschland. Für sie stehe nicht das finanzielle Auskommen im Mittelpunkt, sondern das, "was das Leben spannend macht."
Eines seiner ersten Engagements des Ruhestands war für Scherf das wöchentliche Lesen mit Grundschülern mit Migrationshintergrund. Überhaupt haben Kinder in Scherfs Augen eine therapeutische Wirkung auf Ältere. Einrichtungen für Senioren sollten im Idealfall immer auch eine Einrichtung für Kinder oder Jugendliche unterm Dach beherbergen. Wenn der 13-Jährige der 70-Jährigen das "Skypen" beibringt, so dass sie über das Internet mit den Enkeln in den USA sprechen kann, mache das beide stolz.
Aber auch das Singen spielt für den Präsidenten des deutschen Chorverbands, der gerade seiner Frau beweisen will, dass er das Weihnachtsoratorium auswendig singen kann, nicht nur persönlich eine große Rolle. Demenzkranke zum Beispiel fänden beim Singen plötzlich Bedeutung und Erinnerung wieder.
Mit Augenzwinkern und Begeisterung erzählt Scherf von menschlichen Begegnungen, die von der Emotionalität und Anlehnungsbedürftigkeit älterer Menschen zeugen, nicht anders als bei jüngeren. Oder auch von dem Projekt, in dem Demenzkranke Tandem fahren: Einer lenkt das Fahrrad, einer tritt - jeder das, was er kann, ganz simpel, ohne große Anträge. "Überlegen Sie, ob Sie nicht auch so etwas machen wollen", ermutigt der 77-Jährige. "In dieser älter werdenden Gesellschaft stecken sehr viele Leute, die gerne noch eine wertgeschätzte Aufgabe machen wollen. Das ist richtiges Potenzial."
Ein besonderes Anliegen ist Scherf die Wohnsituation von Älteren. Vereinsamung und nicht altersgerechter Bauweise vieler Häuser könne man entgegentreten, indem Gleichgesinnte gemeinsam ein Haus umbauten, um anschießend zusammen darin zu wohnen. Die rheinland-pfälzische Landesregierung habe sich die finanzielle Förderung solcher Projekte vorgenommen. Man müsse sie nur beim Wort nehmen, so der ehemalige Bremer Bürgermeister. Er selbst lebt mit seiner Frau und acht anderen seit 28 Jahren in einer Wohngemeinschaft (WG). Mehrere Jahre lang, nur mit Hilfe eines Palliativarztes, pflegte die Gruppe zwei Freunde aus ihren Reihen, die schwer erkrankt waren. Eine WG-Betreuung für Pflegebedürftige kann grundsätzlich je nach Pflegestufe von Angehörigen allein, zusammen mit einem ambulanten Dienst oder rund um die Uhr professionell gestaltet sein.
Keine Angst vor dem Alter, vielmehr sich einbringen in die Gesellschaft und voneinander lernen - dazu ermutigt Henning Scherf.
Informationen zu gemeinschaftlichen Wohnprojekten unter:www.fgw-ev.de (Forum gemeinschaftliches Wohnen e.V.) und www.zweig-ev-aw.com (Zusammen Wohnen Eigenständig in Gemeinschaft e.V.) für den Kreis Ahrweiler.
KURZ GEFRAGT: Interview mit Henning Scherf
Am Rande der Veranstaltung sprach der ehemalige Bremer Bürgermeister Henning Scherf mit Constanze Lieberenz.
Warum liegt Ihnen das Thema "Alternative Wohnformen für Senioren" so am Herzen?
Henning Scherf: Ich kenne viele, die verzweifelt sind, weil sie vom Krankenhaus in große Häuser vermittelt wurden. Dort fühlen sie sich verlassen und einsam. Es wäre besser gewesen, hätten sie rechtzeitig Alternativen kennengelernt.
Warum ist eine Wohngemeinschaft (WG) auch für Pflegebedürftige interessant?
Scherf: Weil sie größtmögliche Selbstständigkeit eröffnet - trotz der Beeinträchtigung. Eine WG ist übersichtlich und für den Behinderten noch erfassbar: Wo bin ich gelandet? Wer ist für mich zuständig? Auch wollen alte Leute weiterhin gefragt werden. Das "all inclusive" aus der Werbung wollen sie gar nicht.
Warum empfehlen Sie auch jungen Familien, mit Älteren zusammenzuziehen?
Scherf: Ich kenne jede Menge junge, berufstätige Eltern, die glücklich sind, wenn wir ihre Kinder zur Kita bringen, mit ihnen Mittag essen und vieles mehr.