Juden im Rheinland "..in einem anderen Lande"

AHRWEILER · Vielerorts im Rheinland tauchten die Namen Dernauer Juden auf, so in Siegburg, Weilerswist, Köln, Rödingen und Deutz. Dagegen sei die Geschichte der Dernauer Juden wenig untersucht. Matthias Bertram blickt in seinem neuen Buch auf Lebenswege von Juden im Rheinland.

 Die Telegrafenstraße heute: Im Erdgeschoss des früheren Heymann-Haues befindet sich die Metzgerei Albrecht.

Die Telegrafenstraße heute: Im Erdgeschoss des früheren Heymann-Haues befindet sich die Metzgerei Albrecht.

Foto: Martin Gausmann

Vielerorts im Rheinland tauchten die Namen Dernauer Juden auf, so in Siegburg, Weilerswist, Köln, Rödingen und Deutz. Dagegen sei die Geschichte der Dernauer Juden wenig untersucht. Das haben bekannte Forscher der jüdischen Geschichte und Genealogie des Rheinlandes, wie Klaus H. S. Schulte und Gerd Friedt, oft angemerkt. Solche Hinweise, gepaart mit dem eigenen Interesse an rheinischer Geschichte, motivierten den gebürtigen Dernauer Matthias Bertram, " ...in einem anderen Lande" zu schreiben.

Der Titel seiner elften Veröffentlichung ist angelehnt an die Empfehlung eines kurfürstlichen Schiedsgerichtes in Bonn. 1790 warnte es im Streit um die Errichtung eines Bethauses in Ahrweiler davor, die vermögenden Juden könnten, wenn ihrem Wunsch nach einem Bethaus nicht entsprochen werde, wegziehen, um ihren "Gottesdienst im benachbarten Lande zu halten".

Nachkommen der rheinischen Juden in aller Welt

[kein Linktext vorhanden]Jahrelange Recherchen, Archivalien, Grabsteine, Literatur, zahlreiche persönliche Gespräche mit Zeitzeugen und jüdischen Nachkommen befähigten Bertram über "Geschichte, Leben und Lebenswege von Juden im Rheinland" zu berichten, so der Untertitel des Buches. Der Fokus ist ganz wesentlich auf Ahrweiler, Dernau, Neuenahr, Altenahr und Niederzissen gerichtet. Doch zeigt der Autor familiäre Verbindungen weit ins Rheinland auf (vom Ahrtal bis in den Rhein-Sieg-Kreis) und verdeutlicht, wie eng und vielfältig die Beziehungen der Juden über die politischen Grenzen hinweg seit 1800 waren.

Zudem blickt er auf die Nachkommen der rheinischen Juden in aller Welt. Ausgehend von der jüdischen Gemeinde Dernau um 1750, ihrem Bethaus und dem Schulwesen, zeichnet er Lebenswege jüdischer Menschen nach und Stammbäume ganzer Familien auf (Heymann, Behr/Baer/Bär, Schweizer, Stolz, Berg, Meyer und Elkan). Dazu liefert er den historischen Hintergrund von der Französischen Revolution über die Emanzipation der Juden, Antisemitismus bis zu den Restitutionsverfahren.

Zu den raren Dokumenten zählt das Reisetagebuch des Isaac Löwenstein von 1820, in welchem er Land und Bewohner zwischen Bonn und Sinzig ins Visier nimmt. Konkrete Schicksale bringen dem Leser einzelne Personen nahe. Er erfährt von Friedrich Wilhelm Heymann, geboren in Dernau, der sich als Ahrweiler Bürger um den Synagogenbau dort verdient machte. Sohn Moritz sollte später eine abenteuerliche Flucht vor den Nationalsozialisten gelingen: von Siegburg über Moskau, Tokio, San Francisco, Panama, Brasilien nach Argentinien. Die mit Ihrem Ehemann Max Heli in Siegburg lebende Cäcilie, genannt Illa, geborene Heymann, aus Ahrweiler konnte zwar ihre Kinder in Sicherheit bringen, sie und ihr Mann aber wurden ermordet.

Zu lesen ist von Leo Schweitzer aus Altenahr/Dernau, der sich im August 1939 mit seiner Frau gerade noch rechtzeitig nach Venezuela ausschiffte. Bereits 1933 reisten dagegen Malchen, geborene Heymann und ihr Mann Jonas Adler, der in Ahrweiler und Neuenahr Religionslehrer war, nach Palästina aus. Malchen Heymann hat in einem Gedicht festgehalten, wie bitter der Abschied von Deutschland geriet.

Überlebt im KZ Buchenwald, ausgewandert in die USA

In der Nazizeit bestimmte die Angst vor dem gewaltsamen Tod das Leben der Juden. Hilde Mayer aus Dernau überlebte das KZ in Buchenwald und reiste dann nach Amerika aus. Ernst-Joseph Heymann, Sohn von Moses Heymann aus der Ahrweiler Niederhut, kam 1948 nach dem Verteidigungskampf um die jüdische Gemeinde in der Jerusalemer Altstadt als 20-Jähriger in ein jordanisches Lager.

Seine Schwester Lotte Heymann war die letzte jüdische Schülerin vom Kalvarienberg. Sie forschte als Biochemikerin am Weizmann Institut in Israel und in Amerika. Bertrams Nachforschungen haben das Wissen über die ehemaligen Dernauer Juden, deren Nachkommen im Rheinland und im Ausland, von Argentinien bis nach Israel, weiter vertieft. Bemerkenswert am 412-seitigen Buch (ISBN: 978-3-95631-333-2), das bei Shaker-Media erschienen ist, vom Landschaftsverband Rheinland gefördert wurde und 23,90 Euro kostet, sind auch die 300 Abbildungen und Tabellen.

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