Kurs nach der Flut in Dernau Laien können Fachwerkhäuser selbst wieder mit aufbauen

Dernau · Rund 500 Fachwerkhäuser im Ahrtal sind von der Flut betroffen. Mit guter Schulung können sie auch von Laien wieder mit aufgebaut werden. Hierzu gab es in Dernau nun ein Mitmach-Seminar. Viele sollen folgen. Wie läuft es ab?

 Wie man selbst ein Gefach ausmauert, lernten Interessierte am vergangenen Donnerstag bei einem Kurs in Dernau.

Wie man selbst ein Gefach ausmauert, lernten Interessierte am vergangenen Donnerstag bei einem Kurs in Dernau.

Foto: Martin Gausmann

"Holz, Kalk und Lehm. Das sind die Grundfesten des Fachwerks", erklärt Sebastian Wahl vor einem Publikum von etwa fünfzehn Interessierten. Bei fast winterlichen Temperaturen stehen sie an einem brachliegenden Fachwerkhaus aus dem 18. Jahrhundert in der Dernauer Hauptstraße, um zu lernen, wie man zerstörtes Fachwerk wieder saniert – und zwar selbst. Die Gefache des Hauses sind, zumindest auf Erdgeschossebene, leer geräumt. Die Flut hat die Lehmmassen herausgespült, die Balken stehen nur noch.

Wahl sprach am Donnerstag über die Arbeitsmaterialien, die richtige Isolierung und die Bauweise, ging auf technische Fragen ein und das alles, ohne in Fachsimpelei zu verfallen. Er ist gelernter Baubiologe, vertreibt Naturbaustoffe wie Kalk und Holz in der Region.

"So, und jetzt matschen wir ein bisschen rum mit Lehm", sagt er nach einer kurzen Einführung. Erschienen sind verschiedene Interessierte: Architekten, Ingenieure und Privatleute, deren Fachwerkhäuser von der Flut betroffen sind. Einer davon ist Peter Wittko. "Irgendwann sind die Helfer auch weg, und dann ist es gut, was alleine machen zu können", erzählt er.

Architektin aus Aachen ist in Indien zum Lehm gekommen

Gemauert hat er schon selbst, jedoch nicht mit Lehm. Der gelernte Maschinenbauer renoviert und restauriert gerade sein Haus und hilft einem betroffenen Freund in Bad Münstereifel. Die Möglichkeit, am Seminar teilnehmen zu können, begrüßt er sehr. Es mache Spaß, selbst tätig zu sein, und die handwerkliche Arbeit schaffe Zusammenhalt. "Außerdem gehen wir in Deutschland immer mehr in eine ähnliche Richtung wie in den USA, Gebäude schnell abzureißen und neu zu bauen. Hier lernen wir, mit den ursprünglichen, natürlichen Materialien alte Häuser wieder herzurichten."

Diese Arbeitsweise begrüßt auch Susanne Raulf aus Aachen. Die Architektin hat sich vor einem Jahr selbstständig gemacht. Nun hilft sie mehrere Tage in der Woche im Ahrtal als Gutachterin beim Rück- und Wiederaufbau in betroffenen Wohnsiedlungen. Zum Lehm gekommen ist sie 2007 in Indien, als sie dort in einem Projekt damit arbeitete. Der Baustoff ließ sie seitdem nicht mehr los: "Ich will weg vom zementären hin zum natürlichen, wiederverwertbaren Bauen". Holzböden ließen sich deutlich leichter entfernen als Zementestrich, der jetzt in vielen Häusern herausgerissen wird. Auch aus Klimaschutzgründen möchte sie natürliche Materialien lieber verwenden.

Gefache sind vergleichsweise schnell restaurierbar

Dann mauert sie weiter, Stein auf Stein. Die verwendeten Lehmklötze sehen aus wie sandfarbene Backsteine. Vor dem Mauern wird der Lehmmörtel, der mit Holzfasern versetzt ist, angerührt. Die Mischung muss am Spachtel haften bleiben, ähnlich wie Brotteig, veranschaulicht Wahl. Dann werden die leeren Gefache mit dem Mörtel bestrichen, die Lehmklötze darauf geschichtet, dann wieder Mörtel und wieder Lehmklötze. Nach außen bleibt ein zentimeterbreiter Abstand für den Kalkputz, die Lücken werden vorher mit Lehm geschlossen. Die Balken werden mit einem ölhaltigem Anstrich versehen - und der Außenbereich ist schon fertig. Schnell sind die ersten Gefache im Dernauer Haus ausgemauert. Die Experten um Wahl geben Tipps, begutachten die Arbeiten und befinden sie für gut. "Das sieht nicht mal aus, als ob ihr das das erste Mal macht", kommentiert ein erfahrener Architekt die Arbeit eines jungen Mannes.

Die Gefache von Fachwerkhäusern sind selbsttragend, weswegen die Füllungen aus Lehm und Kalk problemlos ausgetauscht werden können. In Walporzheim und Bad Neuenahr-Ahrweiler, so Wahl, seien oft "nur" die Erdgeschosse geflutet worden. Die Obergeschosse der Häuser blieben dann bewohnt, während die Bewohner das Fachwerk im Erdgeschoss erneuern können. In Dernau stand das Wasser höher, bis zum Dachboden, oft fünf Meter hoch. An der engsten Stelle in Altenahr seien zehn Meter gemessen worden.

Geschätzte 500 Fachwerkhäuser bedürfen der Sanierung

Die Zahl der von der Flut betroffenen Häuser im Ahrtal liegt im unteren fünfstelligen Bereich. Darunter befinden sich nach Schätzungen auch etwa 500 Fachwerkhäuser. Die Seminare der Arbeitsgemeinschaft sollen als Multiplikator dienen: Fachleute inspizieren die Gefache, erklären im Seminar, wie man sie wieder mit Lehm befüllt, die Hausbesitzer fangen unter fachlicher Beobachtung mit dem Mauern an und setzen im besten Fall den Prozess dann alleine fort.

Auf das sogenannte Ausfachen folgt dann das Ausputzen, dann das Anstreichen. Auch hierzu will der Verein in nächster Zeit Seminare anbieten. Wichtig ist Mitglied und Architekt Fritz Vennemann aus Bad Neuenahr-Ahrweiler, den Menschen die Angst vor dem "Schreckgespenst Denkmalpflege" zu nehmen. Diese zu betreiben, sei einfacher als gedacht. Ein Aushängeschild der Tourismusregion Ahrtal sei auch das ausgeprägte Fachwerk gewesen. Vennemann fürchtet, dass im Zuge der Katastrophe durch Neubau-Aktionismus viele Fachwerkhäuser von der Bildfläche verschwinden. Dabei lägen bauliche Vorteile – auch im Hinblick auf die Überflutung – auf der Hand: Weniger Technik, die kaputt gehen kann, leichtere Trocknung und primitivere Baustrukturen, die leichter erneuert werden können.

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