Fluthelfer wohnt in Tiny House im Ahrtal So lebt es sich auf 33 Quadratmetern

Serie | Dernau · Als Helfer ist Martin Stark vor eineinhalb Jahren ins Flutgebiet gekommen. Sein Haus und sein Leben in Bad Kreuznach hat er zurückgelassen, um im Tiny House zu wohnen. Warum er nun für immer im Ahrtal bleiben will.

Bewohnt ein Tiny House in Dernau und fühlt sich in seinem neuen Domizil im Ahrtal ausgesprochen wohl: Martin Stark aus Bad Kreuznach.

Bewohnt ein Tiny House in Dernau und fühlt sich in seinem neuen Domizil im Ahrtal ausgesprochen wohl: Martin Stark aus Bad Kreuznach.

Foto: AHR-FOTO

Vor eineinhalb Jahren ist Martin Stark ins Ahrtal gekommen, um nach der Flutkatastrophe als Helfer mit anzupacken. Nach ein paar Wochen in seinem Campingbus ist er in eines der zahlreichen Tiny Houses an der Ahr gezogen, die hauptsächlich Flutopfern ohne Domizil als Übergangsbleibe zu Verfügung gestellt wurden. „Dass ich auch die Möglichkeit bekommen habe, war für mich das große Los“, sagt der 56-Jährige, der sich auch langfristig ein Leben auf rund 33 Quadratmetern vorstellen kann.

Die gute Stube wird zum kleinen Platzwunder

Direkt an der Bundesstraße in Dernau hat Stark seit etwa 14 Monaten sein Quartier bezogen. „Den Stellplatz habe ich gewählt, weil ich dort auch arbeiten kann“, sagt der 56-Jährige. Denn Stark hat sich mit einer Trockeneis-Reinigung selbstständig gemacht. „Mit Trockeneis ist es möglich, alle Arten von Verschmutzungen wie zum Beispiel Öl, Fett, organische Anhaftungen und Keime gründlich und ohne Wasser oder aggressive Chemie von nahezu allen Oberflächen zu entfernen“, erklärt er. Somit sei das Flutgebiet für ihn das prädestinierte Pflaster. „Vor Arbeit kann ich mich kaum retten“, sagt Stark. Gereinigt habe er seither zahlreiche Elektrogeräte, Maschinen, Autos oder Motorräder. „Neuerdings liegen auch Treppen oder Möbelstücke in meinem Aufgabenfeld. Allgemein kenne ich mich mittlerweile mit der Beseitigung von Rückständen des hartnäckigen Flutschlamms bestens aus.“ Doch nicht nur seine Reinigungspraxis ist außergewöhnlich.

Um im Flutgebiet dauerhaft im Einsatz sein zu können, hat Stark nämlich auch sämtliche Verbindungen zu seinem früheren Leben gekappt. Der gelernte Veranstaltungsfachmann kehrte seiner vormaligen Heimat in Bad Kreuznach den Rücken, ließ sein Leben in den eigenen vier Wänden hinter sich. „Dafür bin ich nun in einem kleinen Tiny House im Ahrtal gelandet. Und ich kann mir kaum etwas Schöneres vorstellen.“ Die zwei Stufen zu seinem Hauseingang nimmt der großgewachsene gebürtige Franke mit einem Schritt. Schon steht er in seiner „guten Stube“. Eine Couch steht rechts neben dem Eingang, davor ein kleiner Tisch mit zwei Barhockern. Links davon verläuft die kleine Küchenzeile mit Backofen, Spüle und Kühlschrank. Gegenüber sind platzsparend Einbauschränke montiert. In einer abgetrennten Parzelle dahinter liegt das kleine Bad mit Dusche und WC. Auf einer Empore, die das halbe Dachgeschoss des rund vier Meter hohen Häuschens einnimmt und zu der eine kleine Treppe über der Schrankzeile führt, steht Starks großes Bett. Davor hängt an einem schwenkbaren Arm ein Fernsehgerät. „Vom Interieur her ist es wie in einer kleinen Wohnung. Das ist genial. Alles hat auf engstem Raum einen Platz gefunden“, sagt der Hausherr lächelnd, während sein Blick durch den Raum schweift.

Dass ein Leben im trendigen Tiny House seine Tücken hat und „sicher nicht für jeden“ etwas ist, weiß Stark genau. „Das verhältnismäßig geringe Platzangebot trägt dazu bei, sich darauf zu besinnen, was wirklich wichtig ist“, sagt der 56-Jährige, der vor seinem Umzug mit eisernem Besen in seinem Besitz gekehrt hat. Ob Kleidung, Gebrauchsgegenstände oder Erinnerungsstücke: „Man muss sich von vielen Dingen trennen können, sonst wird’s problematisch.“ Auch er habe das erst lernen müssen. „Dann habe ich aussortiert, was ich ein oder zwei Jahre nicht mehr in der Hand hatte. Das Prinzip funktioniert“, sagt Stark. „Weil ich aber zuvor beruflich oft wochenlang unterwegs gewesen bin, kannte ich bereits das Leben im Camper. Deshalb fiel mir der Umstieg auf das Tiny House vermutlich leichter.“

Mini-Haus-Konzept setzt auf Nachhaltigkeit

Dass die Mini-Häuser auch Vorzüge haben, betont Stark ebenso. Weil sein Haus auf Achsen gelagert ist, seien Ortswechsel kein Problem, solange notwendige Standgenehmigungen vorlägen. Auch Nachhaltigkeit spiele eine Rolle. „Denn es ist eine Photovoltaikanlage auf dem Dach angebracht worden, über die sich etwa die Klimaanlage im Sommer betreiben lässt“, sagt der Mini-Haus-Fan. Im Vergleich zum Camping-Alltag habe das Tiny House weitere Vorzüge. „Denn bei Regen prasseln die Tropfen laut auf die Metalldecke des Wohnmobils oder Caravans. Davon höre ich hier nichts. Zudem ist die Atmosphäre durch die Holzvertäfelungen an den Hauswänden viel gemütlicher.“

Stark ist rundum glücklich in seinen kompakten vier Wänden. „Für mich ist es ein kleines Paradies“, sagt er. Das liege einerseits an seinem Stellplatz. „Denn zwischen den Weinbergen fühle ich mich zu Hause.“ Andererseits sei ihm auch seine neue Nachbarschaft ans Herz gewachsen. „Sicherlich war es eine Katastrophe, was die Flut angerichtet hat. Allerdings ist das, was daraus entstanden ist, mindestens genauso beachtenswert.“ Stark meint den Zusammenhalt und die Aufbruchsstimmung, die sich nach der Zerstörung im Ahrtal Bahn bricht. „Ich bin der Meinung, das ist etwas Einmaliges. Und ich möchte ein Teil davon sein. Deswegen werde ich bleiben – wenn es gut läuft, auch gerne für immer.“

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