Von Afrin nach Adenau Wie ein Schneider aus Afrin Erfolg mit maßgeschneiderten Jeans hat

Adenau · Der syrische Flüchtling Kalil Nabo hat sich ein neues Leben in der Eifel aufgebaut und produziert dort Jeans-Unikate. Als Minijobber hatte der Familienvater seinerzeit er in der Schneiderei Terence Holt Couture auf der Adenauer Hauptstraße angefangen.

 Vor der Verarbeitung zur Maßjeans wäscht Kalil Nabo die Stoffe erstmal auf 80 Grad, damit es später keine böse Überraschung gibt. Bunte Garne und Reißverschlüsse können sich seine Kunden vor Ort aussuchen, um ihre Jeans damit einzigartig zu machen.

Vor der Verarbeitung zur Maßjeans wäscht Kalil Nabo die Stoffe erstmal auf 80 Grad, damit es später keine böse Überraschung gibt. Bunte Garne und Reißverschlüsse können sich seine Kunden vor Ort aussuchen, um ihre Jeans damit einzigartig zu machen.

Foto: Martin Gausmann

Schon 2016 ist Kalil Nabo als Flüchtling nach Deutschland gekommen: damals zusammen mit seiner Ehefrau und drei Kindern. Genau in der Silvesternacht habe er seine ersten Einreisepapiere unterzeichnet, erinnert er sich. Mittlerweile ist die Familie um einen weiteren Sohn gewachsen, lebt seit mehreren Jahren in Schuld und Kalil Nabo hat vor zwei Jahren noch ein eigenes Geschäft übernommen.

Als Minijobber hat er in der Schneiderei Terence Holt Couture auf der Adenauer Hauptstraße angefangen. In einem kleinen Zimmer hat er für die Inhaber Reparaturen ausgeführt, Reißverschlüsse ausgetauscht und auch schon die Eifel-Jeans erfunden. Dies alles tut er auch heute noch – doch nun gehört das Geschäft ihm selbst, und er kann seine Ideen rund um die Anfertigung von Maß-Jeans erweitern.

Zuvor lebte die Familie in einem Asylantenheim

Wie es für den heute 33-Jährigen Syrer zu diesen glücklichen Wendungen kam, hat viel mit seiner Eigeninitiative zu tun. Nach einer Station in Trier und im Asylantenheim in Bad Neuenahr-Ahrweiler kam die Familie direkt nach Schuld. Der gelernte Schneider entdeckte das Atelier auf der Adenauer Hauptstraße, und die Hoffnung auf einen Arbeitsplatz wuchs. Doch die erste Enttäuschung folgte unmittelbar: An der Tür hing ein Schild, dass der Laden erst in einigen Monaten öffnen würde: „Jeden Tag bin ich am Fenster vorbeigeschlichen, um zu sehen, ob endlich jemand da ist.“

Mit einer Übersetzungs-App und seinem Können hat Kalil Nabo die Inhaber davon überzeugt, es mit ihm zu versuchen. In dieser Zeit lernte er besser Deutsch, doch mit seinen Aufgaben war er nicht sehr zufrieden. Gerade, als er aufgeben wollte, lag für ihn das Angebot auf dem Tisch, das Änderungs- und Schneideratelier zu übernehmen. Er griff zu – mit Steuerexperten und einem Begleiter vom Ausländeramt zur Unterstützung an seiner Seite.

Dass er etwas von seinem Handwerk versteht, zeigen nicht nur seine Jeans-Kreationen an den Schaufensterpuppen. Innerhalb von nur 30 Minuten kommen an diesem Morgen drei Frauen in den Laden – alles Stammkundinnen, die sich Hosen kürzen oder einen Wintermantel überarbeiten lassen. Solche Änderungsarbeiten sind sein Hauptverdienst, doch viel lieber schneidert er Jeans auf Maß.

Eine Jeans kann innerhalb von zwei Stunden fertig sein

Für 130 Euro ist solch eine maßgeschneiderte Jeans zu haben, inklusive der Materialien. Und diese kann sich der Kunde sogar vor Ort aussuchen: Nicht nur den Jeans-Stoff selbst, von hellblau bis schwarz, sondern auch die Farbe der Garne, des Reißverschlusses oder die Taschenform. Innerhalb von zwei Stunden kann Nabo die Jeans fertig machen: vorausgesetzt, die Maße liegen schon vor. Neukunden sollten für das Maßnehmen beim ersten Termin 15 Minuten Zeit einplanen. Im Anschluss schneidet er die Muster, eine Woche später können Kunden dann zur ersten Anprobe kommen. Manche nehmen für die maßgeschneiderte Jeans eine Anfahrt von 140 Kilometer in Kauf. Und nicht nur Hosen zählen zu seinem Portfolio: Auch Jeansröcke, Blazer und Ballkleider – die jeweils nach Muster – kann er herstellen.

„Ich habe sehr früh angefangen zu arbeiten“, sagt Nabo. Als Kurde habe er wenig Chancen gehabt, auf eine weiterführende Schule zu kommen. Als er elf war, habe ihn sein Vater für ein Jahr zum Schafehüten geschickt, dann habe er als Zwölfjähriger ein Jahr in einer großen Fabrik in Aleppo und später im Libanon gearbeitet, wo er auch das Nähen und Zuschneiden gelernt hat. Als junger Mann schließlich war er Inhaber seiner eigenen Jeansfabrik in Afrin, seiner Heimatstadt, mit 50 Angestellten. Dort haben sie nicht nur Jeans geschneidert, sondern vor allem auch die Jeansstoffe bearbeitet für den Stone-washed oder Used-Look.

Doch das ist lange her: „Meine Fabrik in Afrin ist kaputt. Die gibt es nicht mehr“, sagt Nabo. Bereits im Januar 2018 hatte die Türkei Panzerverbände an die Grenze des Dis­trikts Afrin verlegt und Dörfer um die Stadt mit Artillerie beschossen. Die türkische Militäroffensive begann offiziell am 20. Januar 2018 unter dem Namen „Operation Olivenzweig“ auf Befehl des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan.

Afrin ist ungefähr so groß wie Bad Neunahr

Seine echte Heimat vermisst Kalil Nabo sehr. „Die Heimat ist hier“, sagt er. Dabei schlägt er mit der Faust aufs Herz: „Und sie wird immer hier bleiben.“ Einer seiner vielen Brüder ist in Afrin geblieben und hat ihm Bilder der einstigen Fabrik geschickt. Er findet das Video so schnell nicht auf dem Handy – doch es ist klar: Es wären ohnehin nur Trümmer zu sehen.

Zu Friedenszeiten seien seine Heimat und sein aktueller Lebensort gar nicht so unterschiedlich: Afrin habe etwa die Größe von Bad Neuenahr, sei auch von vielen Dörfern umgeben. Und mit dem kleinen Schrebergarten, den er nun jeden Abend für eine Stunde hegt und pflegt, konnte der junge Mann sich sogar ein Stück landwirtschaftliches Arbeiten ins neue Leben retten. Die Kinder sind zufrieden, sprechen fließend deutsch und seine Frau habe mittlerweile eine Anstellung im Kindergarten.

Und was wünscht sich der kurdische Schneider und Familienvater für die Zukunft? Richtige Pässe für die ganze Familie, damit sie mal in den Urlaub fahren können, mehr maßgeschneiderte Jeans verkaufen und einmal zurück in die Heimat zu können – „aber erst, wenn sich die Türken zurückgezogen haben“.

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