Schlammschlacht in Bad Neuenahr Bürgermeister und Chef der Aktiengesellschaft streiten

Bad Neuenahr-Ahrweiler · Seit der Bohrung im Jahr 1861 leistet der "Große Sprudel" in Bad Neuenahr zuverlässig seine Dienste. Aus 95 Metern Tiefe wird das Thermalwasser im Kurpark an die Erdoberfläche gepumpt, als Trinkkur lindert es Verdauungsbeschwerden und Harnwegsprobleme.

Der "Große Sprudel" ist der Grundstein für Bad Neuenahrs Entwicklung als Kurort. Seine 170 Millionen Liter Heilwasser im Jahr füllen unter anderem die Flaschen der Mineralwasser-Marke "Apollinaris Selection" - und heute tobt über den "Großen Sprudel" ein erbitterter Streit, zum Teil vor Gericht.

Die Kernfrage des Zwists: Darf die Stadt Bad Neuenahr als Eigentümerin der Quelle mit ihrer Heilbad GmbH das kostbare Nass unter dem Namen Bad Neuenahrer Heilwasser verkaufen oder stehen dem Sprudel-Geschäft unter anderem Leitungsrechte der Bad Neuenahr Aktiengesellschaft (AG) im Wege?

Es geht um "eine Gemengelage, die 150 Jahre alt ist", wie AG-Vorstandschef Christoph Reinicke sagt. Und es geht ums Prinzip. Denn der Sprudel-Streit ist nur eine Baustelle im Dauer-Konflikt der Stadt-Oberen und der Aktiengesellschaft um Geld und um die Deutungshoheit im Bad Neuenahrer Gesundheits-Business.

Beide Seiten gehen hoch gerüstet in die Kur-Schlammschlacht: Der Bad Neuenahr AG gehören den Ort prägende Gebäude wie das 170 Meter lange, im Neobarockstil errichtete Kurhaus, die prächtige Spielbank, das von Steigenberger betriebene Hotel und das allein 5000 Quadratmeter große Thermal-Badehaus, in dem neben diversen Gesundheitsdienstleistern auch Paradiesvogel-Designer Alfredo Pauly "Pelze und Juwelen" feilbietet.

Die AG verfügt damit zwar über prunkvolle Immobilien - aber über so wenig Geld, dass sie sich Ende August unter den Schutzschirm der Insolvenz in Eigenverwaltung retten musste.

Ganz anders die Lage bei der Stadt Bad Neuenahr: Nicht zuletzt der florierende Tourismus und zahlreiche Kliniken bescheren dem Kurort einen vergleichsweise gut gefüllten Stadtsäckel.

Der Haushalt ist solide und ausgeglichen, Feinkostläden und Boutiquen säumen die schmucken Straßen des Weinorts. Doch auf das Geschehen in den prominentesten Gebäuden des Kurviertels hat man im Rathaus nur bedingt Einfluss - mit ihrem Anteil von rund 27 Prozent ist die Stadt Bad Neuenahr nur ein Minderheitsaktionär der AG.

AG-Vorstand griff zu rabiaten Mitteln

Schmerzlich bewusst wurde den Verantwortlichen vor Ort diese Lage Anfang vergangenen Jahres. Die finanziell angeschlagene AG wollte damals ihr tiefrote Zahlen schreibendes Thermalbad, die Ahr Therme, endlich loswerden.

Als die Stadt ihr dabei nicht wie gewünscht entgegenkam, griff AG-Vorstand Reinicke zu rabiaten Mitteln: Er drehte in der Therme kurzerhand Licht und Wasser ab und ließ die Stadtverwaltung wissen, man werde bald mit dem Abriss beginnen. In Bad Neuenahr herrschte blankes Entsetzen.

Fazit: Die Stadt-Oberen kauften im Juli 2014 das Thermalbad zähneknirschend - und zum Missfallen des Bundes der Steuerzahler - für rund drei Millionen Euro und eröffneten es kurz darauf wieder. "Wir rechnen damit, dass wir jedes Jahr rund 350.000 Euro zum Betrieb der Ahr Therme zuschießen müssen", sagt der Erste Beigeordnete Detlev Koch.

Aber das Bad sei nun einmal "Aushängeschild der Tourismusdestination Bad Neuenahr-Ahrweiler", kurz: unverzichtbar. Auch den Kurpark samt "Großen Sprudel" kaufte die Stadt der klammen AG ab, gerade einmal ein Recht auf zehn Prozent der Heilwasser-Fördermenge steht dem Unternehmen noch zu.

Seitdem lassen AG und Rathaus kaum eine Chance ungenutzt, sich gegenseitig Steine in den Weg zu legen. Man streitet über die Nutzung von Wassergräben oder über die Angemessenheit der Geburtstagsfeier von AG-Chef Reinicke, man warf sich Markenpiraterie und Geschäftsschädigung vor. Im Heilbad ist er vorbei mit der Ruhe. Dabei finden sich die Hauptursachen für die Misere der Aktiengesellschaft lange vor den Amtsantritten von Bürgermeister Orthen und AG-Vorstand Reinicke.

1860 wurde die "Actien-Gesellschaft zur Gründung des Bades Neuenahr im Ahrtale" mit einem Grundkapital von 400.000 Talern aus der Taufe gehoben. Das um die Mineralquellen neu angelegte Kurbad florierte, bald entstanden die heute noch den Ort prägenden Villen.

An die Erfolgsgeschichte knüpften der Ort und damit auch die Aktiengesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg nahtlos an. Die Kurgäste brachten das Geld in den Ort. Erst mit der Gesundheitsreform wendete sich das Blatt. Die sicheren Einkünfte aus dem Kurbetrieb gingen ab den 90er Jahren dramatisch zurück.

Jahrelang aus der Einnahme-Flaute gerettet

Heute zahlt die überwiegende Mehrheit der Wellness-Jünger ihren Aufenthalt in Bad Neuenahr selbst. Die Aktiengesellschaft offeriert Fitnesstraining und Fango-Packungen aus Eifelschlamm, aber für die meisten Kurangebote kassieren andere Anbieter.

Jahrelang rettete sich das Unternehmen mit stückweisen Verkäufen von Immobilien und Grundstücken aus der Einnahme-Flaute. Als 2014 nach einem Gerichtsurteil auch Abgaben der Spielbank nicht mehr an die AG flossen, war die Gesellschaft endgültig klamm. Nun wurde offenbar auch der Hauptaktionär, eine süddeutsche Privatinvestoren-Gruppe unruhig. Es hätte schon lange etwas geschehen müssen, heißt es aus diesem Kreis.

Bloß was? Vorstand Reinicke braucht schnell Geld, wenn er die Sonderform der Insolvenz, bei der er selbst weiter die Zügel in der Hand hält, als Überlebenschance für das Traditionsunternehmen nutzen will. Sonst droht eine Zerschlagung.

Der vor zwei Jahren als Sanierer engagierte Vorstand setzt dabei auf eine Mischung aus Althergebrachtem und neuen Wegen. Zum einen soll das Angebot an hochwertigen Seniorenwohnungen ausgebaut und mit technischen Raffinessen wie Sensoren im Fußboden ausgerüstet werden, die Alarm schlagen, wenn ein betagter Bewohner hinfällt. Leerstehende Flächen sollen vermietet werden, sobald die AG Geld für eine Instandsetzung der teils historischen Räume hat.

Zum anderen erhofft sich der Manager frisches Geld aus dem Ausland. Finanziers rund um den chinesischen Gesundheits-Reiseveranstalter Lemen-Group hätten ein Investment von rund 14 Millionen Euro in Aussicht gestellt, sagt Reinecke, räumt aber auch ein: "Eine Absichtserklärung ist noch nicht unterzeichnet."

Die Begeisterung der chinesischen Gesundheitstouristen ist noch verhalten: Rund 40 asiatische Kurgäste hätten 2015 die "30 000 bis 50.000 Euro teure" Luxus-Pauschalreise nach Bad Neuenahr über die Lemen Group angetreten.

Der Börsencrash in China habe der AG einen Strich durch die Rechnung gemacht. Doch Reinicke hofft weiter: Vom Anteil der AG am "Großen Sprudel" will er 0,2-Liter-Flaschen für heilsame Trinkkuren "made in Germany" nach China exportieren.

Doch zumindest beim Heilwasser hat derzeit die Stadt die Nase vorn. Bürgermeister Orthen will die neue Abfüllung aus dem "Großen Sprudel" am Donnerstag im Rahmen der Aufführung der "Klangwelle" im Bad Neuenahrer Kurpark vorstellen - Feststellungsklage hin oder her.

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