Interview mit Henning Hirsch Ein Buch über Alkoholsucht

BAD NEUENAHR · Viele Jahre war er Partei- und Fraktionsvorsitzender der Liberalen in Rheinbreitbach. Er engagierte sich auf Kreis- und auf Ortsebene, führte ein gesundes Familienleben und eine erfolgreiche Firma. Dann folgte, hervorgerufen durch Alkohol, der Absturz: Henning Hirsch ist nach zahlreichen Entziehungskuren seit zwei Jahren "trocken". In der Klinik Tönisstein las er nun aus seinem Buch "Saufdruck". Mit ihm sprach Victor Francke.

 "Saufdruck" heißt das Buch von Henning Hirsch .

"Saufdruck" heißt das Buch von Henning Hirsch .

Foto: Gausmann

Mit "Saufdruck" haben Sie ein erschütterndes Buch vorgelegt, das von Ihnen selbst erzählt, wenngleich Sie sich dort auch "Tim" nennen. Warum haben Sie das Buch geschrieben. Und für wen?
Henning Hirsch: Das Schreiben des Buchs war für mich die beste Eigentherapie, um von der Droge loszukommen. Das Alter Ego hat mir dazu gedient, Erlebnisse zu schildern, die mir im eigenen Namen peinlich gewesen wären. Die Romanform habe ich gewählt, um das Thema lesefreundlicher zu gestalten. Eine bestimmte Zielgruppe schwebte mir nie vor Augen. Das Buch ist am ehesten für die Menschen geeignet, die vom Saufen loskommen wollen oder Angehörige von Trinkern, die einen Einblick in den Krankheitsverlauf erhalten möchten.

Sie beschreiben Ihre Aufenthalte in den vielen Kliniken, Sie beschreiben Ihre Entziehungskuren, die nie wirklich von Erfolg gekrönt sind. Liegt das an einer im Alkoholkranken vielleicht oftmals verankerten Labilität oder ist eine herkömmliche Entzugsbehandlung grundsätzlich einfach auch aus medizinischer und psychologischer Sicht unzureichend?
Hirsch: Sicher sind Suchtkranke - allerdings in individuell unterschiedlichem Ausmaß - als labil einzustufen. Der Alkohol wird eingesetzt, um gewisse Wirkungen zu erzielen. Sei es euphorisierend, zur Steigerung der Libido oder zur Ausblendung von Problemen. Aus meiner Erfahrung heraus spielen ebenfalls genetische Veranlagungen eine große Rolle. Der bloße Entzug dauert nicht länger als zehn Tage und mildert nur die akuten körperlichen Symptome. Die anschließende Entwöhnungstherapie soll den Alkoholabhängigen in die Lage versetzen, sich mit seiner Erkrankung auseinanderzusetzen. Der eine ist nach der ersten Behandlung kuriert, andere benötigen zahlreiche Klinikaufenthalte, bis sie endlich aufhören, und die dritte Gruppe macht weiter bis zum bitteren Ende.

Wie müsste eine Behandlung aussehen, damit sie auch wirklich erfolgreich ist?
Hirsch: Schwer zu sagen, da sich die Süchtigen stark voneinander unterscheiden. Was bei mir therapeutisch wirkt, muss beim nächsten nicht unbedingt Erfolg zeigen. Die Entwöhnungsbehandlungen in Deutschland sind sehr gut. Wenn ein Alkoholiker im Anschluss an eine Therapie schnell wieder rückfällig wird, dann fehlt ihm zum einen der absolute Wille, abstinent zu leben oder er wiegt sich im Irrglauben, die Droge kontrolliert konsumieren zu können. Das funktioniert aber nicht.

Alkohol hat Ihre Karriere, hat Ihr Familienleben zerstört. Wann läuft man Gefahr, abhängig zu werden.
Hirsch: Die ersten Zeichen einer Abhängigkeit zeigen sich, sobald ich Alkohol nicht mehr zum Genuss trinke, sondern ihn funktional einsetze. Beispielsweise um nach dem Job runterzufahren oder einschlafen zu können. Sobald ich jeden Abend gewohnheitsmäßig zwei Liter Bier, eine Flasche Wein oder mehrere Flachmänner Schnaps trinke, sollte ich mein Trinkverhalten mit einem Arzt besprechen. Die Erfahrung zeigt: Es wird nie von selbst besser.

Neben Alkohol spielt Sex eine große Rolle in Ihrem Buch. Warum? Lenken Sie damit nicht vom Hauptproblem ab?
Hirsch: Eine Sucht kommt selten alleine. Das Hauptproblem Alkoholabhängigkeit wird ja auf dreihundert Seiten sehr plakativ beschrieben und kommt sicher nicht zu kurz. Die vielen Affären, die Tim ohne Emotionen erlebt, zeigen, in welchem Grad die Droge die Fähigkeit zu lieben verdrängt. Im Vordergrund stehen beim Abhängigen immer Beschaffung und Konsum. Bei völliger Vernachlässigung des sozialen Umfelds.

Zu kurz kommt im Buch vielleicht, wie Ihr privates Umfeld mit Ihrem Alkoholismus umgegangen ist. Was war in der Familie los?
Hirsch: Ich habe die Familie im Roman extra ausgeklammert. Bei mir verhielt es sich wie bei den meisten Alkoholikern: Ein Teil der Verwandten kam damit überhaupt nicht klar, die anderen haben lange Zeit versucht, zu helfen. Irgendwann muss jeder Süchtige mit sich und seiner Krankheit alleine zurechtkommen. Sei es, dass er einsam weitersäuft oder beschließt aufzuhören.

Sind Sie heute "trocken"?
Hirsch: Seit zwei Jahren: ja!

Was raten Sie alkoholabhängigen Menschen?
Hirsch: Erkenne dich selbst. Ohne kritische Eigenanalyse des Süchtigen sind alle Einflussversuche von außen zum Scheitern verurteilt. Angehörige sollten deshalb anfangs nur sanften Druck aufbauen, diesen jedoch im Zeitverlauf steigern, bevor man selbst zum Co-Abhängigen wird. Das Netz der Beratungsstellen ist eng gewebt. Man findet immer eine Organisation in der Nähe, die einem zeigen kann, was zu tun ist. Voraussetzung: Der Alkoholiker will sich tatsächlich helfen lassen.

Zur Person

Henning Hirsch ist 51 Jahre alt. Er ist promovierter Marktforscher und Autor. Hirsch lebt in Rheinbreitbach. Viele Jahre war er dort Ratsmitglied, Vorsitzender der FDP, gehörte dem Parteivorstand auch auf Kreisebene als Vorsitzender an. Zudem kandidierte er für den Landtag sowie den Bundestag. Das Buch "Saufdruck" ist im Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf erschienen.

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