Marktplatz Ahrweiler Elf Künstler boten Performances zum Kultursommer

AHRWEILER · Menschen schlendern über den Platz, an den Tischen kühlt Bier die Kehle und auf den Bänken im Schatten von St. Laurentius lässt sich das Treiben mit Muße genießen - also ein ganz normaler Sommersonntag in Ahrweilers Mitte? Nicht ganz.

 "Beschimpfungen" gab es bei der Kunstaktion vom "Stadtschreiber" für vier Euro. Liebestexte waren billiger.

"Beschimpfungen" gab es bei der Kunstaktion vom "Stadtschreiber" für vier Euro. Liebestexte waren billiger.

Foto: Martin Gausmann

Verstreut sind Personen bei ungewöhnlichen Aktivitäten zu beobachten. Ein Mann bewegt sich mit einer ausgewachsenen Maispflanze, um hier und dort minutenlang reglos zu verharren. Zu ihm gesellt sich eine Frau, Klompen an den Füßen und ein trockenes Büschel Glockenblumen mal vor dem Gesicht, mal auf dem Kopf.

Später wird sie mit einem anderen Klompenträger paarweise die Holzschuhe zusammenschlagen. Und wechselnde Positionen einnehmend, wedelt ein weiterer Mann mit einer Zeitung.

Thorsten Müller, Carola Willbrand, Mark Met und Malte Beisenherz sind vier von zehn Künstlern, die mit Karin Meiner aus Burgbrohl-Oberlützingen, Initiatorin des Kunstprojekts "explorativ", zum Kultursommer "Künstlerische Erkundungen im ländlichen Raum" vollziehen und sie in diesem Raum weiterreichen.

Das geschieht in aller Öffentlichkeit, indes völlig unaufdringlich. Ohne Ansage, ohne Moderation kommen die Darbietungen aus. Es sind lebende Bilder, die überwiegend aus dem Ort und dem Moment heraus entwickelt werden.

Zeitungswedler Müller: "Ich gehe mit der Zeitung einmal um die Kirche, sehe dort weinrote Beeren. Die Glocken läuten. Dann läute ich die Beeren und die Zeitung. Es macht mir Freude zu sehen, was wächst, was klingt da, und dann setze ich das um."

Inspiriert haben zuvor Exkursionen in Feld, Wiesen und Steinbrüche, unternommen, um Fühlung mit dem Material der Landschaft aufzunehmen und den Tätigkeiten, die daraus erwachsen. So kommen jahrhundertelange Steinhauertätigkeiten in den Sinn, wenn man Susanne Helmes und Boris Nieslony mit Hämmerchen auf das Marktpflaster klopfen sieht.

Aber auch Nieslony transportiert nicht nur Erfahrungen aus dem Steinbruch auf den Ahrweiler Marktplatz. Er untersucht parallel die dortige Akustik, findet es interessant, "die leichten Abweichungen im Klang der Steine zu hören". Schweißtreibende zwei Stunden hält er dies durch, erfrischt von Marita Bullmann, die sich temporär in einen Wasserspeier verwandelt, ansonsten jedoch mit einem Bambusstab operiert.

Ausdauernd agiert auch Lala Nomada, die zwischen zwei Steinen mit Olivenöl Lavendel vom Platz und Rosmarin zerreibt, "eine uralte, in allen Kulturen verbreitete Technik zum Zerkleinern", wie die Mexikanerin erklärt. Kinder dürfen gelegentlich mittun. Häufig bleiben Passanten stehen, erfahren verwundert, dass Nomada schon drei Stunden zugange ist und zwischendurch Marktbesucher mit der Essenz massiert. Noch erstaunter kommentieren sie "ach, das ist Kunst", als sie hören, dass es nicht um Folklore geht.

Neugier weckt ebenfalls eine barfüßige Frau im langen grünen Satin- und Samtkleid. Steine hat sie sich auf Nacken und Rücken gepackt und derart beschwert kriecht sie über noch mehr Bruchsteine. Eine Gesteinigte? Eine Büßerin? "Es soll ein offenes Bild sein, eine Skulptur, die sich bewegt", sagt Petra Deus.

Zwei Aspekte umfasse ihre Steingang: Die Last, die Menschen zu tragen haben, "aber auch Wege, sich wieder aufzurichten". In der Pfarrkirche hörte sie in der Lesung vom Anhäufen des Reichtums, "auch eine Last", und während ihrer Performance dachte sie an "Hans im Glück, der sich zuletzt von allem Erworbenen befreit".

Deus Aktionskunst gehörte zum Eindrücklichsten, was die Künstler, darunter auch Meiner selbst und Rolf Hinterecker, auf dem großen Platz boten. Obgleich wenige Betrachter das Gesehene vollständig zu ergründen suchten, hielten doch viele inne, um die Impressionen aufzunehmen und sich ihre eigene Gedanken zu machen. Sie erlebten Momente der bewussteren Selbstwahrnehmung in Zeit und Raum. Offenbar wirkten die künstlerischen Handlungen ansteckend.

In Andernach bietet "explorativ °2" mit anderen Künstlern Performances in den Rheinanlagen und auf dem Boot zum Geysir. Termin ist Samstag, 28. September.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort