Berichte aus der Flutnacht in Altenahr „Es kam keiner zur Hilfe, wir waren ganz alleine“

Altenahr · Altenahr war ein beliebter Weinort, jetzt ist der kleine Ort an der Ahr ein Trümmerfeld. Viele Gebäude direkt am Fluss sind komplett zerstört. Anwohner schildern, dass sie vor der Sturzflut nichts retten konnten außer sich selbst.

 Diese Bilder unseres Fotografen zeigen das Ausmaß der Zerstörung in Altenahr.

Diese Bilder unseres Fotografen zeigen das Ausmaß der Zerstörung in Altenahr.

Foto: Benjamin Westhoff

Die Todesangst, die viele der in Altenahr lebenden Menschen in der Hochwassernacht verspürten, ist ihnen noch immer anzusehen. Andrea Mendor-Krasniqi, die das Restaurant Saloon in Altenahr betreibt und eine Wohnung oberhalb des Saloons bewohnt, hat mit ihrem Sohn dort Zuflucht vor den Wassermassen gesucht und beobachtete, wie rasant das Wasser stieg.

„Es ging so schnell, man konnte nichts retten außer sich selbst“, schildert sie. Sie saß bis zum Mittag am darauffolgenden Tag oben in der Wohnung mit ihrem Sohn fest. Rettungskräfte seien zwar am nächsten Tag gekommen, aber geholfen hätte ihnen niemand, schildert sie. „Mein Sohn blickte dann irgendwann in den Himmel und sagte: Mama, ich glaube es fängt bald wieder an zu regnen. Wir müssen hier raus.“

Anschließend habe sie mit ihm die Sachen gepackt und sei raus, obwohl auf dem Parkplatz immer noch das Wasser stand. Bei dem Gedanken an diese Nacht und die hilflosen Stunden in ihrer Wohnung muss die Gastronomin wieder weinen. Seit Montag erst seien Bundeswehr und Polizei vor Ort gewesen. Angehörige und viele freiwillige Helfer seien bereits viel früher gekommen und hätten ihnen beigestanden, berichtet sie. Nicht einmal Schaufeln hätten sie anfangs gehabt, so Mendor-Krasniqi.

„Es ist wie im Krieg“

„Es ist wie im Krieg, nein, das ist schlimmer als Krieg. Das Wasser kam viel zu schnell. Es hat uns alle überrascht“, schildert Aargon Ademaj, der Krieg aus seinem Heimatland Kosovo tatsächlich kennt. Zufahrtswege seien blockiert gewesen. Hilfe sei das ganze Wochenende nicht gekommen. „Es kam keiner. Wir waren ganz alleine“, schildert Tom Heine. Er und seine Frau hätten schon einiges erlebt, seien beim Bundeskriminalamt tätig und wüssten, dass man nie aufgeben solle. Doch was das Ehepaar Mittwochnacht erlebte, wird es nicht mehr vergessen.

Mit Lampen hatte Heine versucht, Hilfesignale nach außen zu senden, jedoch ohne Erfolg. Aus dem Fenster konnte er auf das Haus seines Nachbarn schauen. Er sah den Mann im Fenster stehen und das Wasser an seinem Haus nagen. „Wie eine Walze war das“, erzählt der BKA-Beamte. Um 1.20 Uhr, diese Uhrzeit vergisst Heine niemals mehr, habe das Wasser gesiegt und seinen Nachbarn mitgerissen. „Auf einmal war da ein schwarzes Loch in seiner Hauswand. Das Geräusch des Wassers war so laut, das war so böse.“ Am nächsten Morgen packten Heine und seine Frau mehrere Taschen und verschwanden aus Altenahr. Zum Glück habe seine Frau ihr Auto schon am Abend auf dem Berg geparkt, erzählt Heine.

In den vergangenen Tagen bekamen er und seine Frau viel Hilfe von der befreundeten Polizei-Motorrad-Gruppe Blue Knights und kamen bei Mitgliedern unter. Die nachbarschaftliche Hilfe jetzt vor Ort untereinander und der Zusammenhalt freuen das Ehepaar, trotz dieser Tragödie. „In der letzten Zeit hatte ich das Gefühl, wir leben in einer Ellenbogen-Gesellschaft, aber was wir gerade erleben, dieser enorme Zusammenhalt, das tut gut.“

Das Eintreffen der offiziellen Hilfskräfte kritisiert aber auch er. Erst am nächsten Tag wären Trupps eingetroffen. In der Nacht waren die Leute in Altenahr auf sich gestellt. Kein Rettungshubschrauber, der zu Hilfe eilte, kein Netz, über das man Hilfe anfordern konnte. Inzwischen sind viele offizielle Hilfskräfte vor Ort. Koordiniert scheint die Hilfe jedoch nach Ansicht vieler betroffener Anwohner nicht.

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