Ermittlungen gegen Ex-Landrat Pföhler Neues Flut-Gutachten verweist auf unzureichende Warnungen

Ahrtal/Koblenz · Hätten frühere Warnungen Todesfälle vermieden? Dieser Frage geht die Staatsanwaltschaft Koblenz bei der Flutkatastrophe an der Ahr nach. Jetzt bringt ein Gutachten eines Hydrologen möglicherweise neue Erkenntnisse.

Nicht nur die Kurgartenbrücke in Bad Neuenahr-Ahrweiler ist dem Hochwasser im Juli 2021 zum Opfer gefallen: Im Zuge der Ermittlungen gegen Ex-Landrat Jürgen Pföhler arbeitet die Staatsanwaltschaft Koblenz die Geschehnisse auf und stellt ein neues Gutachten vor.

Nicht nur die Kurgartenbrücke in Bad Neuenahr-Ahrweiler ist dem Hochwasser im Juli 2021 zum Opfer gefallen: Im Zuge der Ermittlungen gegen Ex-Landrat Jürgen Pföhler arbeitet die Staatsanwaltschaft Koblenz die Geschehnisse auf und stellt ein neues Gutachten vor.

Foto: ahr-foto

Die Staatsanwaltschaft Koblenz ermittelt weiter gegen den ehemaligen Landrat des Kreises Ahrweiler. Der Verdacht der fahrlässigen Tötung und Körperverletzung im Amt durch Unterlassen steht im Raum. Anfang August 2021 leitete die Staatsanwaltschaft Koblenz daher die Ermittlungen ein. Seitdem untersucht sie, ob Ex-Landrat Jürgen Pföhler (CDU) und ein Mitglied der technischen Einsatzleitung in der Nacht der Flutkatastrophe vom 14. auf den 15. Juli 2021 zu wenig getan haben, um Menschenleben zu retten. Nun informierte die Staatsanwaltschaft über den aktuellen Stand.

Die Polizei habe demnach die aus den bisherigen Erkenntnisse in wesentlichen Teilen zusammengefasst und mit der Erstellung ihres Abschlussberichts begonnen. Erfolgen solle nun eine Auswertung der Erkenntnisse und der bereits vorliegenden Berichte. Berücksichtigt werden dabei weitere Zeugenvernehmungen sowie Unterlagen aus dem Untersuchungsausschuss „Flutkatastrophe“ des Landtages.

Zudem werde in diesem Zusammenhang das vor wenigen Tagen bei der Staatsanwaltschaft Koblenz eingegangene Gutachten eines hydrologischen Sachverständigen inhaltlich eingeordnet. Der Experte ist laut Staatsanwaltschaft im Wesentlichen zu folgenden Schlüssen gelangt: Bei der Flut im Ahrtal habe es sich „um ein Ereignis von hoher Komplexität“ gehandelt. Das Flut-Ausmaß sei im Vorfeld daher „nicht abzusehen gewesen und habe sich auch nicht durch Modellierungen prognostizieren lassen“. Und weiter: Das Ausmaß der Zerstörung sei „nicht allein auf die extreme Abflussgröße“ zurückzuführen.

Denn zusätzlich seien große Mengen an Treibgut flussabwärts transportiert worden, „was an zahlreichen Brücken zu Verklausungen geführt“ habe. Der Sachverständige verwies auf wesentliche Rückstau- und Verdrängungseffekte, die zur Erhöhung des Wasserstandes beigetragen haben. Er bezog auch den zeitlich variablen „Zufluss aus den Nebenbächen“ ein und erklärte das Phänomen von „schwallartigen Wellen“ als Resultat sich lösender Verklausungen. Die Schlussfolgerung: Das plötzliche Auftreten des Hochwassers, der in Schüben erfolgte, schnelle Anstieg des Wasserstandes sowie die für die Ahr ungewöhnlich hohen Fließgeschwindigkeiten sprächen laut Einschätzung des Sachverständigen „für ein als Sturzflut zu bezeichnendes Ereignis“, obgleich Sturzfluten in Deutschland nur selten vorkämen.

Flut an der Ahr: Begriff Hochwasser ist unzureichend

Des Weiteren hätten die Wetterprognosen des Deutschen Wetterdienstes sowie weiterer meteorologischer Institutionen laut Aussage des Sachverständigen „nahe, teilweise sogar deutlich über den tatsächlich gefallenen Niederschlagsmengen gelegen“. Dennoch seien Warnungen deutlich zu spät und ungenau erfolgt, obwohl die Prognosen mindestens ein Hochwasser der Größenordnung aus dem Jahr 2016 erahnen ließen. Versäumnisse, die der Sachverständige laut Staatsanwaltschaft schonungslos aufdeckt: „Die prognostizierten Pegelstände hätten ab 14.22 Uhr gereicht, um von einem Hochwasser größer als 2016 auszugehen. Ab 20.22 Uhr habe ein nochmals deutlich größeres Hochwasser als 2016 angenommen werden müssen. Das tatsächliche Hochwassergeschehen habe sich insbesondere durch die Warnungen der Hochwassergefahr sowie der Pegelprognosen frühestens um 20.22 Uhr prognostizieren lassen.“

Die Ausführungen des Gutachters bestätigten demnach die „durch die bisherigen Ermittlungen gewonnene Vermutung der Staatsanwaltschaft, dass es sich bei der Flut im Ahrtal am 14./15.Juli 2021 um ein Geschehen handelt, das mit dem Begriff ‚Hochwasser' nur unzureichend beschrieben ist“. Die Staatsanwaltschaft werde die Ergebnisse bei ihren Ermittlungen zur rechtzeitig erfolgten Warnung und möglichen Vermeidung von Todesfällen in der Katastrophennacht berücksichtigen. Geprüft werde weiterhin, ob Anlass besteht, auch gegen andere als die bisher beschuldigten Personen Ermittlungen einzuleiten. Bisher sei dies nicht der Fall.

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