Untersuchung der Bausubstanz Das bedeuten die bunten Markierungen an Häusern an der Ahr

Ahrtal · Nach der Flutkatastrophe untersuchen Sachverständige aktuell die Bausubstanz von beschädigten Häusern an der Ahr. Eine Expertin fordert, genau zu prüfen, ob der Wiederaufbau an allen Stellen sinnvoll ist.

 Am Heimersheimer Bahnhof herrscht Unklarheit. Die linke Seite des Schuppens ist rot gekennzeichnet, die rechte gelb.

Am Heimersheimer Bahnhof herrscht Unklarheit. Die linke Seite des Schuppens ist rot gekennzeichnet, die rechte gelb.

Foto: Thomas Weber

Sie ziehen von Ort zu Ort: Sachverständige, Bauingenieure, Statiker. Ihr Auftrag: die Häuser begutachten, die vom Ahr-Hochwasser betroffen waren. Und dann müssen sie entscheiden, ob die Bauten der Flut Mitte Juli standgehalten haben, ob sie stehen bleiben dürfen. Ein mit grüner Farbe an die Hauswand gesprühter Haken sorgt dabei für Erleichterung bei den Besitzern. Der bedeutet ein weitestgehendes Okay.

Anders schaut es aus, wenn kein Haken an die Wand gesprüht wurde, sondern ein Kreuz. Das weist auf eine Beschädigung hin, die vom Eigentümer noch kontrolliert werden muss. Striche zeigen bereits eine erhebliche Beschädigung an und drei Striche sagen klipp und klar: das Objekt ist einsturzgefährdet. Meist dauert es dann auch nicht lange, bis die Bagger anrollen und für klare Verhältnisse sorgen, also ein Haus umgehend abreißen.

„Die Menschen nehmen solche Entscheidungen ganz unterschiedlich auf, zumeist gefasst, vielleicht aber auch noch traumatisiert von den Erlebnissen jener Nacht“, sagt Constanze Kunkel. Die Baugutachterin aus der Grafschaft war selbst einige Tage zur Prüfung beschädigter Häuser in den Gemeinden an der Ahr unterwegs. In die Menschen vor Ort kann sie sich hineinversetzen. Die Grafschafterin erlebte in den Jahren 2010, 2013 und 2016 am eigenen Hab und Gut Starkregenauswirkungen, war dreimal förmlich „abgesoffen“, wobei die Schäden kein Vergleich zu dem waren, was am 14. und 15. Juli im Ahrtal passierte.

Dass Häuser wegen Baufälligkeit abgerissen werden müssen, ist den Besitzern oftmals schon klar, bevor die Gutachter anrücken. Gerade in den Gemeinden der Mittelahr stand der Pegel der Ahr an vielen Gebäuden bis ans Dach und suchte sich zumeist über zerstörte Fenster den Weg durch die Wohnbereiche. Ausgerissene Wände sind oftmals die klarsten Hinweise: hier ist nichts mehr zu retten. Die Menschen haben ihre Wohnungen und Häuser in aller Regel nach der Flut schnellstens verlassen. Sie wissen, was auf sie zukommt.

Roman Wißmer erlebte die Flut-Nacht in seiner Wohnung

Etwas weiter im Verlauf der Ahr ist das Tal nicht mehr so eng. Gerade in Bad Neuenahr-Ahrweiler, wo der Fluss bis zu 300 Meter weit über die Ufer trat, bieten sich andere Szenarien. Dort sind vielfach die Erdgeschosswohnungen oder -geschäfte schwer beschädigt, die oberen Etagen nicht. Roman Wißmer erlebte die Nacht der Flut in seiner Wohnung in der Kreuzstraße. Das Bett der Ahr liegt in rund 180 Metern Entfernung, in dieser Nacht war es ganz nah. Wißmer hatte letztendlich Glück, denn die Flut kam nicht bis in die erste Etage.

Komplett zerstört aber war die Wohnung im Erdgeschoss. „Und auch im Keller war alles kaputt. Wir sind dann noch ein bis zwei Tage im Haus geblieben, dann ging es nicht mehr“, sagt Wißmer, der seitdem in einem Hotel lebt. Kein Strom, keine Waschgelegenheit, dazu der Gestank nach der Flut ließ ihn Reißaus nehmen. Seitdem wird gependelt, jeden Morgen geht es ins Haus, wo vor allem im Keller klar Schiff gemacht werden muss. Denn eines hat Wißmer schon entschieden: er bleibt in Bad Neuenahr. Viele andere verlassen die Stadt und das Tal dagegen. Vor allem die, die alles verloren haben.

Wieder andere, nicht zuletzt auf den Dörfern, wollen ihr Heim wieder aufbauen. Aber geht das überhaupt? Ist es sinnvoll, dort zu bauen, wo vielleicht in wenigen Jahren ein Hochwasser wieder für Schäden sorgen wird? Dass es weitere 100 Jahre bis zu einem Extrem-Hochwasser dauern wird, kann in Zeiten des Klimawandels niemand vorhersagen.

Viele würden lieber heute als morgen mit dem Wiederaufbau beginnen

Die Bausachverständige Constanze Kunkel richtet sich daher auch mit einer klaren Forderung an die Politik: Sie fordert eine klare Aussage, wo noch gebaut werden darf und wo nicht. „Jetzt ist ein ortsübergreifender Flächennutzungsplan notwendig“, sagt Kunkel. Die Betonung liegt auf „jetzt“, denn die Menschen brauchen Entscheidungen. Solche hatte es nach der Oder-Flut zu Beginn des Jahrtausends nicht sofort gegeben. Als aber die Menschen nördlich der Stadt Meißen ihre Häuser – oftmals mit letzter Kraft – wieder aufgebaut hatten, vergingen nur wenige Monate bis zu Enteignungen und zum Abriss der Bauten in behördlichem Auftrag. Das hat die Menschen nach der Flut erneut traumatisiert.

An der Ahr haben viele Betroffene ihre Häuser bereits ausgeräumt, entkernt und statisch untersuchen lassen. Sie würden lieber heute als morgen mit dem Wiederaufbau beginnen und zurück in geregelte Bahnen kehren. „Alle von der Flut weggerissenen Häuser dicht am Fluss wiederaufzubauen, programmiert die nächste Katastrophe“, glaubt Kunkel. Doch wenn die Menschen erst einmal Fakten geschaffen haben, wird das ganz schwer.

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