Bürgermeister von Altenahr „Wir brauchen Lösungen, wie wir die Ahr in den Griff kriegen“
Altenahr · Rüdiger Fuhrmann, Bürgermeister von Altenahr, zieht Bilanz der Flutkatastrophe. Er fordert langfristige Lösungen, um den Menschen eine Perspektive zum Bleiben zu geben.
Er kann die Ärmel hochkrempeln und anpacken. Von seinem Container-Büro an der Altenburger Straße in Altenahr aus regelt Rüdiger Fuhrmann die Belange der von der Flut überaus hart getroffenen Ortsgemeinde Altenahr. „Ich bin zurzeit hauptamtlicher Bürgermeister“, sagt er. Sein Arbeitgeber habe ihn dafür bis Oktober freigestellt. Vieles ist bereits wieder aufgeräumt im Touristenort aber vieles auch noch nicht. Lastwagen und Raupenfahrzeuge bestimmen das Straßenbild, Häuser werden entkernt, Bauschutt häuft sich.
Dort, wo Fuhrmann seinen Büro-Container platziert hat, stand bis zum 15. Juli die Alte Schule als Turnhalle und Treffpunkt für Vereine. „Infopoint Montag bis Freitag“, steht an der Container-Tür. Aber auch am Samstag ist der Bürgermeister dort anzutreffen. Der Altbau ein Stückchen weiter in Richtung Ahr ist als DRK-Rettungswache zu erkennen: fraglich allerdings, ob sie gerettet werden kann.
Bei einer Flut wie dieser nützen auch Retentionsflächen nichts mehr
Altenahr, Altenburg, Kreuzberg und Reimerzhoven machen die Ortsgemeinde Altenahr mit etwa 2000 Einwohnern aus. Schon nach dem Hochwasser 2016 gab es überall große Schäden. In der Zwischenzeit wurden Retentionsflächen geschaffen, in denen sich die Ahr bei Hochwasser ausbreiten kann. Das hat nichts genutzt. „Das war kein Hochwasser, sondern eine Flutkatastrophe, da nutzen keine Retentionsflächen“, sagt Fuhrmann.
Gerade Kreuzberg, wo solch eine Fläche angelegt worden war, ist besonders empfindlich getroffen worden. Allerdings war die Ahr nicht das alleinige Problem. Vielmehr hatten die in Kreuzberg mündenden Bäche riesige Wassermassen mitgebracht. Der Vischelbach war auf drei Meter angestiegen, der Sahrbach hatte eine sechs Meter hohe Welle durchs Dorf geschoben. Fuhrmann hält es für erforderlich, weiter oben im Lauf dieser Bäche Rückhaltebecken zu schaffen.
Am schlimmsten hat es Altenburg getroffen
Glück für den Ortsteil Altenahr: Die eiserne Bahnbrücke am westlichen Ortsausgang hat standgehalten, ist aber umgeschlagen. In ihrem Geländer verfingen sich Treibgut, Holzstämme und Geäst. Das nachfließende Wasser der Ahr wurde gestaut: zum Nachteil von Altenburg, das wie eine Badewanne volllief. Dort sind etwa 95 Prozent der Häuser von der Flut heimgesucht worden, so Fuhrmann. „Es ist der am schlimmsten betroffene Ort an der gesamten Ahr“, stellt er fest.
Etwa 15 Häuser seien bereits abgerissen worden. Das Seniorenheim und die Schulen – etwa 200 Meter vom Fluss entfernt – wurden geflutet. Die vor wenigen Jahren sanierte Turnhalle muss abgerissen werden. Im Seniorenheim stand das Wasser bis in die erste Etage, die Bewohner wurden in höhere Stockwerke gebracht, bis das Haus endlich evakuiert werden konnte. Und Fuhrmann betrachtet es als ein „Wunder“, dass in dem Ort, wo 150 Menschen in der Nacht auf Dächern ausharren mussten, nicht mehr als drei Einwohner ums Leben gekommen sind.
Reimerzhoven ist durch den Schaden der B 267 am östlichen Ausgang des Straßentunnels von den übrigen Orten getrennt. Dort war der Landesbetrieb Mobilität seit Monaten dabei, die Uferbefestigung zu stabilisieren, die Arbeiten sollten im Spätsommer fertig sein. „Die Baustelle ist zusammen mit den Maschinen und der Brücke abgesoffen“, bringt es Fuhrmann auf den Punkt. Auch die Radwegbrücke ist weg – ebenso wie der gesamte Radweg entlang der B 267. In Reimerzhoven sind drei Häuser bereits abgerissen und die meisten übrigen derzeit unbewohnbar. Strom und Wasser fehlen, die Ölheizungen sind nicht mehr brauchbar.
Am östlichen Tunnelausgang von Altenahr hatte das Wasser in der B 267 einen etwa zehn Meter tiefen Trichter aufgerissen, der nicht provisorisch verfüllt werden kann. „Der Schaden muss vernünftig behoben werden.“ sagt Fuhrmann. Vermutlich müsse der Biker-Treff dort fort. Jedenfalls steht das Feuerwehrhaus noch, und es ist sanierbar. Fuhrmann hatte im Obergeschoss gewohnt und hat von dort schon ein paar Sachen in sein Ausweichquartier geholt. Was aus dem alten Haus des Winzervereins an der Tunnelstraße wird, ist offen. Altenahr hat Interesse an seinem Fortbestand, da der Dorfsaal sich im Obergeschoss befindet. Außerdem meint Fuhrmann, dass der Winzerverein als ein das Ortsbild prägendes Gebäude erhalten werden müsse.
Auch das Rathaus wurde geflutet
„Wir brauchen Lösungen, wie wir die Ahr in den Griff kriegen“, sagt der Bürgermeister zum Thema Tourismus. In der Brücken- und der Altenburger Straße geben Hotels und Restaurants mit ihren dunklen, kahlen Fenster- und Türöffnungen ein trauriges Bild ab. Zwar sind sie nicht direkt an die Ahr gebaut und liegen höher, trotzdem fielen sie den Fluten zum Opfer. Denn das Wasser kam hier nicht nur von der Ahr, sondern gleichzeitig über die Brückenstraße, drang in die Häuser ein und verband sich an der Straßeneinmündung des Roßbergs mit dem Wasser des mächtig angewachsenen Roßbachs und des Bodenbachs. Dadurch wurde auch das Rathaus geflutet.
Kaum zu glauben, dass die Jugendherberge im Langfigtal standgehalten hat. Wenn auch beide Straßen dorthin kaputt und derzeit die Versorgung mit Wasser und Strom sowie die Entsorgung nicht möglich sind. Die Furt für große Ver- und Entsorgungsfahrzeuge zur Herberge müsse wieder freigelegt werden, fordert Fuhrmann. Die Gemeinde versuche, die Straßen zu reparieren, damit in der Herberge in vier bis fünf Wochen Bauarbeiter und Handwerker untergebracht werden könnten.
Funktionsfähige Hotels gibt es derzeit nicht. Glücklicherweise wurden die Campingplätze rechtzeitig geräumt. Was die Flut weggeschwemmt hat, sind Anlagen der Dauercamper. Mitgerissen hat die Ahr auch das Betriebsgebäude der Victoria-Station. Der Bau aus Holz war als besonders zukunftsweisend und ökologisch wertvoll gefeiert worden.
Brücken künftig ohne Pfeiler bauen, damit sich Schwemmgut nicht daran verhaken und sie so zum Einsturz bringen kann
Weg ist auch die Brücke im Langfigtal: Sie war freigegeben, aber noch nicht offiziell eingeweiht. 500.000 Euro wurden einfach weggespült – wie auch andere kleine Brücken in der Gemeinde. Eine provisorische Fußgängerbrücke soll bald den Weg von Altenburg zur Kapelle auf der anderen Flussseite ermöglichen. „Brücken“, sagt Fuhrmann, „müssten künftig ohne Pfeiler gebaut werden“, damit sich Schwemmgut nicht daran verhaken und die Brücken zum Einsturz bringen könne.
Die Menschen brauchen eine Perspektive, um zu bleiben
Mit einem Fragezeichen versehen ist die seit Jahren geplante Ansiedlung eines Supermarkts auf dem Seilbahnplatz. Was aus der Radwegbrücke wird, ist ebenfalls ungewiss. Weiter verfolgen will die Gemeinde einige Bauprojekte in höherer Lage in Kreuzberg. Das ist Fuhrmann wichtig, damit Menschen, die ihr Haus verloren haben, eine Perspektive zum Bleiben sehen. Und er drängt auf eine schnelle Aussage von höheren Stellen, was noch genehmigungsfähig sei. „Wir müssen wissen, was wir noch machen können.“
Den Weg durch Altenahr flankieren Hotelruinen. Sie lenken den Blick nach oben, zu den romantischen Ruinen der Burg Are. Nach Corona und der Flut zieht Fuhrmann eine bittere Bilanz: „Es ist verheerend.“
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