Projektarbeit im Ahrweiler Hämmern gegen das Vergessen im Altenheim Sankt Anna

AHRWEILER · Bildhauer Rudolf Schneider entwickelte ein Demenzprojekt speziell für demenziell veränderte Männer. Das Arbeiten mit Werkzeug und Holz bricht die oft öde Tagesstruktur auf.

 Alltagsbegleiterin Susanne Kroll und der Bildhauer Rudolf Schneider helfen dem Demenzerkrankten, mit Eisen und Hammer den Holzstamm zu bearbeiten.

Alltagsbegleiterin Susanne Kroll und der Bildhauer Rudolf Schneider helfen dem Demenzerkrankten, mit Eisen und Hammer den Holzstamm zu bearbeiten.

Foto: Martin Gausmann

Eine ganz besondere Aufgabe wird dem Maibaum von Altenburg zuteil. Er wird nicht einfach verheizt. Zwei Meter des mächtigen Fichtenstamms bilden den Mittelpunkt eines Demenzprojektes, das der Kreuzberger Bildhauer Rudolf Schneider speziell für Männer entwickelt hat. Das Baumstück steht bis Oktober mitten im Garten des Ahrweiler Seniorenzentrums Sankt Anna.

„Da ist noch Musik drin vom Tanz in den Mai“, sagt Hans Peter Frings und lacht. Begeistert greift der Mann, der im zur Waldbreitbacher Marienhaus-Unternehmensgruppe gehörenden Heim zur Tagespflege ist, zu Schnitzeisen und Knüpfel und haut im wahrsten Sinne mächtig rein. Zuvor hatte Schneider mit der Kettensäge quer zur Maserung Schnitte angesetzt, um den zehn Männern, die sich am Projekt beteiligen, das Absprengen der Holzstücke zu erleichtern. Am Ende soll sich der Maibaum zum Mond mit seinen verschiedenen Phasen wandeln.

Es war das vierte von 14 Treffen mit dem Künstler, und die Begeisterung fürs Projekt „Hortus Signorum“, der Garten der Zeichen, ist ungebrochen. „Es gibt für demenziell Erkrankte vielfältige Aktivitäten wie Gymnastik, Arbeiten im Haushalt, musikalische oder künstlerische Beschäftigungen. Doch sie erreichen in der Regel die Männer, die traditionell 'auf die Arbeit' gingen, als Adressaten nicht. Das Warten auf die Mahlzeiten bestimmt deren Tagesstruktur. Diese physische und psychische Inaktivität wirkt sich äußerst negativ auf den Krankheitsverlauf aus. Sie ziehen sich sozial mehr und mehr zurück“, hat Schneider beobachtet. Das bestätigen auch Heimleiterin Dajana Schellmann und die Leiterin der Tagespflege und des Sozialdienstes, Brigitte Nijhuis. Daher waren sie sofort begeistert von Schneiders Idee, mit der er 2011 im Altenburger Maternusstift Premiere feierte, den Förderpreis der Demenz-Leitstelle des Landes erhielt und eine enorme Nachfrage auslöste.

Koordinierte Bewegungsabläufe fördern das Gehirn

„Der Werkstoff Holz ist den meisten Männern bekannt. Die physische Belastung möchte ich gering, aber das kurzfristige Erfolgserlebnis hoch halten. Dieses Wiedereintauchen in ihre Welt motiviert sie. Das Eisen mit dem Hammer ins Holz zu treiben, erfordert das Erlernen neuer koordinierter Bewegungsabläufe, was auch die Gehirnaktivität fördert“, weiß Schneider, dessen Altenburger Erfahrungen von Kathrin Seifert vom Universitätsklinikum Bonn evaluiert und ausgewertet wurden. Ihre Studie wird in Kürze veröffentlicht. Das Projekt stellte sie 2016 beim Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde in Berlin vor.

Schneider: „Die wissenschaftlichen Auswertungen der Projektjahre und die Rückmeldungen des Pflegepersonals wie auch der Angehörigen zeigen, dass männertypische Themen und Tätigkeiten auf die Teilnehmer positiv wirken, wenn Fantasie, Kreativität und haptische Aktivitäten gefördert werden.“ Er glaube, dass den an Demenz erkrankten Menschen ein Teil ihrer Lebensqualität zurückgegeben werden kann. Weil im Sankt Anna einige Projektteilnehmer nicht im Heim leben, sondern zur Tagespflege kommen, kann dort keine wissenschaftliche Auswertung erfolgen. „Da konnten wir Kriterien nicht erfüllen wie zum Beispiel eine Beobachtung sechs Stunden nach dem Projekt, weil dann die Männer schon zu Hause sind“, erklärt Nijhuis.

Erstaunliche Entwicklungen

Doch wichtige Aspekte wie die Förderung des Gemeinschaftsgefühls, die Steigerung des Selbstwertgefühls und die Verbesserung der Kommunikation sieht sie allemal erfüllt. Alltagsbegleiterin Susanne Kroll hat ebenfalls schon erstaunliche Beobachtungen gemacht. „Ein Herr saß am ersten Tag im Rollstuhl und bearbeitete den zentnerschweren Stamm. In der nächsten Woche kam er mit dem Rollator, nun steht er eigenständig davor und formt am Mond mit. Er hat uns gesagt, dass das früher schon sein Hobby war“, berichtet sie.

Während der eine vom Mond als „Säufersonne“ spricht, bleibt ein 100-Jähriger in der Nähe des Bildhauerei-Objekts zwar sitzen, beobachtet aber ganz genau, was seine „Kollegen“ tun. Ein Senior, einst Tüv-Ingenieur, treibt das Eisen mit leichten, schnellen Schlägen ins feuchte Holz. Ein anderer, der im Hochbau tätig war, ist mit derart viel Ehrgeiz und Eifer bei der Sache, dass es ihm schwer fällt, nach zehn Minuten die Werkzeuge weiterzureichen.

„Weil sich das Bild der klassischen Rollenverteilung ändern wird, könnte daraus auch ein Projekt für eine gemischte Gruppe werden“, meint Bildhauer Rudolf Schneider im Gespräch mit der CDU-Bundestagsabgeordneten Mechthild Heil, die dem Seniorenzentrum an diesem Tag einen Besuch abstattet.

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