Bundespräsident im Ahrtal Steinmeier:„Wir haben die Menschen nicht vergessen“
Update | Dernau · Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier besucht zum Flut-Jahrestag Altenahr. Im Gespräch mit Betroffenen, Kommunalpolitikern und Akteuren aus dem Flutgebiet informiert sich das Staatsoberhaupt über den Stand des Wiederaufbaus.

Gottesdienst zum Gedenken der Flutopfer
Zum Jahrestag der verheerenden Flutkatastrophe hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) am Donnerstag in Begleitung der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) zum dritten Mal das Ahrtal besucht. In einer wiederaufgebauten Weinstube im Winzerdorf Altenahr tauschte sich das Staatsoberhaupt mit Betroffenen, Helfern und Kommunalpolitikern aus. „Ich habe bei meinem letzten Besuch im Ahrtal versprochen: Wir werden euch nicht vergessen“, sagte Steinmeier. „Auch deshalb bin ich heute hier, dieses Versprechen einzuhalten, zu sehen, was ist vorangekommen, wo fehlt es noch, und Danke zu sagen.“
Bundespräsident tauscht sich mit Kommunalpolitikern aus
Als Steinmeier (SPD) in Altenahr aus seiner hochglanzpolierten Regierungslimousine steigt, nimmt er zunächst die weniger glanzvoll anmutende Umgebung in der flutgepeinigten Gemeinde in Augenschein. Ringsherum gleicht das Ambiente stellenweise noch einem von Ruinen umgebenen Trümmerfeld. Baustellen und -geräte säumen die Straßen des Weinörtchens. Nach kurzem Innehalten betritt der Bundespräsident die wieder instandgesetzte Weinlounge „Weineck“ von Wilfried Laufer. Dem 57-Jährigen hatte die Flut vor einem Jahr sein Lokal genommen – und seinen Vater. Laufer hat dennoch wiederaufgebaut und wird am 15. Juli eröffnen. Stolz führt er Steinmeier und seine Delegation durch die neuen Räume. Anschließend versammeln sich alle mit Ahr-Landrätin Cornelia Weigand (parteilos), Altenahrs Verbandsgemeindebürgermeister Dominik Gieler (CDU), Ahrweilers Pfarrer Jörg Meyrer sowie weiteren politischen und ehrenamtlichen Akteuren aus dem Flutgebiet um die gedeckte Kaffeetafel auf der chicen Sonnenterrasse. „Ich hoffe, das Beispiel, das wir hier sehen, ist eines, das Mut macht“, sagt Steinmeier.

Bundespräsident Steinmeier zu Besuch im Ahrtal
Ein reger Austausch beginnt. Wo es beim Wiederaufbau klemmt, will der Bundespräsident später wissen. Die Landrätin erklärt es ihm. Weigand macht auf den lähmenden Fachkräftemangel im Handwerk aufmerksam. Sie spricht am Beispiel zerstörter Schulen aus dem Kreis das Spannungsfeld an, das sich aus aufwendig zu planendem Hochwasserschutz, nachhaltigen Bauweisen und rascherem Fortschritt beim Wiederaufbau ergibt. Auch für Privatpersonen sei das ein häufiges Problem. Zudem wird die schleppende Auszahlung von Finanzhilfen thematisiert. „Es ist die größte Baustelle Deutschlands“, sagt Weigand. „Das verlangt den Menschen viel ab. Das macht sie auch mürbe.“ Für sie steht fest. „Wir wollen, aber es ist alles sehr komplex. Und uns fehlt oft die Zeit. Wir haben hier Tabula rasa, aber in dem Tabula rasa müssen wir auch leben.“
Wie Laufer der rasche Wiederaufbau geglückt sei, fragt Steinmeier interessiert. „Mein Erfolgsgeheimnis war, dass ich enorm viel Hilfe und Durchhaltewillen hatte“, sagt der nicht versicherte Gastronom. „Ich hatte Helfer, die 365 Tage lang für mich da waren.“ Die Bauarbeiten seien relativ gut vorangekommen. Knappes Material habe er sich mitunter aus Österreich besorgt, „wenn es hier nichts gab“. Ein Schaden im hohe sechsstelligen Bereich sei bei ihm entstanden, deshalb habe er rechtzeitig Hilfen beantragt. „Ich hoffe nun, 80 Prozent davon zu bekommen.“ Zur Abwicklung des Wiederaufbaus sei bei Laufer zudem nur ein Gutachten notwendig gewesen. „Andere brauchen vier. Da schließt sich schnell das Zeitfenster“, sagt Laufer. Steinmeier nickt.
Kampf gegen Klimawandel verliert nicht an Dringlichkeit
Ein weiteres Problem schneidet Verbandsgemeindebürgermeister Gieler an. „Vielen Leuten wurde große Unterstützung zuteil. Andere, beispielsweise mein Nachbar, wollen sie bisher aber einfach nicht. Er will keinen zu sich ins Haus lassen“, sagt er. Umso sinnvoller seien aufsuchende Konzepte, die Betroffenen Hilfe und Beratung zu den notwendigen Antragsverfahren bieten und die die Landesregierung bereits in petto hat und Dreyer zufolge weiter intensivieren will. Dass die Betroffenen zudem mental „gefestigt genug“ für den Wiederaufbau sein sollten, ergänzt Jörg Meyrer, Pfarrer der Katholischen Pfarrgemeinde „St. Laurentius“ Ahrweiler. „Viele Menschen begehen den Jahrestag der Katastrophe mit großer Angst, weil sie die Bilder wieder einholen.“ Er selbst kümmere sich um Betroffene, die den Wiederaufbau angegangen, mit dem Ergebnis dennoch nicht glücklich geworden seien. „Sie sind eingezogen und sagen dann: Ich bin wieder da, aber es ist nicht mehr mein Zuhause. Denn nach der Flut ist für sie nichts mehr wie vorher.“
Der Bundespräsident hört sich geduldig alles an, hakt nach, überlegt. Er weiß: Die Probleme der Menschen sind handfest. Zudem ist ihm klar: Der Wiederaufbau im flutgeschädigten Ahrtal wird noch lange dauern. Vermutlich wird er noch „die nächsten Jahre“ ein Thema sein, wie er sagt. Dass die katastrophale Flut im Ahrtal als mahnendes Beispiel für globale Trends dient, macht Steinmeier außerdem klar. Denn: „Der Klimawandel hat uns erreicht.“ Das zeigten auch wieder diese Tage mit brennenden Wäldern und sinkendem Grundwasserspiegel. In vielen Regionen drohe nach den Jahren 2018 bis 2020 nun „ein vierter Dürresommer“. Der Kampf gegen den Klimawandel habe nicht an Dringlichkeit verloren. An der Verbesserung von Katastrophenschutz und -vorsorge solle daher weitergearbeitet werden. Mit Blick auf die Flutopfer betont Steinmeier abschließend erneut: „Wir haben die Menschen nicht vergessen.“
Eine Übersicht über sämtliche Inhalte zum Jahrestag der Flutkatastrophe finden Sie hier.