Letzte Kriegstage in Ahrweiler Schutz in der "Stadt im Berg"

AHRWEILER · 2500 Ahrweiler Bürger hausten zwischen Dezember 1944 und März 1945 im Tunnel. Heinz Koll erinnert sich.

Mit Kohle zeichnete der Ahrweiler Künstler Hanns Matschulla das Leben in der "Stadt im Berg". Es gibt keine Fotos aus der Zeit.

Mit Kohle zeichnete der Ahrweiler Künstler Hanns Matschulla das Leben in der "Stadt im Berg". Es gibt keine Fotos aus der Zeit.

Foto: Martin Gausmann

So, wie die Brückenpfeiler der "strategischen Eisenbahn" wie mahnende Finger aus dem Ahrweiler Adenbachtal gen Himmel ragen, so ist die Mahnung des Ahrweiler Malermeisters Heinz Koll 70 Jahre nach Kriegsende aktueller denn je: "Bevor es zu einer Auseinandersetzung mit Waffen kommt, möchte ich jedem, der leichtfertig von Krieg spricht, mit auf den Weg geben: Haltet Euch zurück, verhandelt und findet Worte statt Waffen."

Koll (78) weiß wovon er spricht. Mit acht Jahren flieht er mit seiner Mutter Maria und seiner vierjährigen Schwester Gustl vom zerbombten Haus Bachemer Straße 15 in den Silberbergtunnel. Zwischen Dezember 1944 und März 1945 wird die "Stadt im Berg" sein Zuhause. Genauer gesagt das Büdchen mit der Nummer 228. Mehr als 2500 Einwohner von Ahrweiler teilen dieses Schicksal mit den Kolls, 80 Prozent der Zivilbevölkerung suchen in diesen Monaten Zuflucht. In 305 provisorischen Verschlägen auf rund 1000 Metern richten sie sich ein. "Meine Mutter war nicht bang, wir blieben so lange wie möglich unten im Tal. An Heiligabend 1944, als Bomben auf Ahrweiler und Bachem fielen, waren wir bei uns im Keller. Es rieselte Kalk und Putz auf uns herab. Mit den Worten 'Wir wissen nicht, ob wir morgen noch leben', überreichte uns Mutter die Weihnachtsgeschenke. Ich bekam Wollsocken."

Doch die Angst von Maria Koll wächst, auch wenn sie es sich nicht anmerken lässt. Und als sie dann Peter, der Bruder ihres 1943 eingezogenen Mannes, mit Nachdruck auffordert "Ihr kommt hoch", gibt die tapfere Frau nach. "Mit dem Handwagen sind wir die Ademich hochgezogen. Rechts im Tunnel waren die Verschläge, in denen jeweils bis zu 25 Menschen, Alte, Frauen und Kinder hausten, links dann der Gang. Es war dunkel. Alles war kalt, klamm und feucht", so Koll. Aus Sicherheitsgründen durften keine Öfen in den hölzernen Unterkünften stehen. "Die standen alle auf dem Vorplatz. Deswegen liefen die Erwachsenen auch immer schreiend durch die Gänge 'Vorsicht, heißes Wasser'." Aus den ungenutzten anderen Tunneln (siehe Infokästen) der strategischen Bahnlinie, in denen Zwangsarbeiter bis Ende 1944 auch Teile der V2-Rakete herstellten, wird eine notdürftige elektrische Versorgung für die Tunnelstadt aufgebaut.

Um im Chaos des Krieges trotzdem Orientierung durch Ordnung zu haben, hat nicht nur jede Hütte eine Hausnummer, sondern es gibt sogar ein Postamt. Auch der Tunnelarzt muss wissen, wo er seine Patienten findet, denn in der "Stadt im Berg" werden Kinder geboren, es wird auch gestorben. Während die Jungen in Kolls' Alter den ganzen Tag draußen sind, sich wie auf einem Abenteuerspielplatz fühlen, geschultes Gehör haben, wenn es darum geht, am herannahenden Rauschen im Himmel zu erkennen, ob es sich um Zwölfer- oder 24er-Fliegerverbände handelt, gehen die Erwachsenen runter nach Ahrweiler, um nach der Wohnung zu schauen. "Es war eine Solidargemeinschaft, die sich so weit wie möglich geholfen hat. Egoismus ist im Menschen drin, wenn's ums nackte Überleben geht. Aber die Frauen hielten zusammen. Weil sie auf sich allein gestellt waren, ließen sie sich auch nach dem Krieg oft von ihren Männern nichts mehr sagen. Das war für mich die erste Emanzipationswelle."

Von Ungeziefer geplagt - Latrinen prägen das Bild zwischen den Rebstöcken - ist den Menschen jedoch ein sicheres Leben im Berg lieber, als draußen Fliegerangriffen ausgesetzt zu sein. Trotzdem sterben am 29. Januar 1945 bei Bombenangriffen auf die Altstadt 86 Menschen. "An dem Tag war es diesig. Wir gingen um 9.30 Uhr durchs Ahrtor, über die Schützbahn, am Giesemer Bach hoch zum Tunnel. Der Mann, der unterwegs sagte 'Frau Koll, es ist diesig, heute brauchen Sie nicht hoch, es kommen keine Flieger', der war um 13 Uhr tot", erinnert sich Koll. Zwei Tage harrt die Familie aus, dann geht sie runter ins Tal. "Schützbahn und Ahrtor waren völlig zerstört. Fünf Tote gab es in der Nachbarschaft, der Eingang unseres Hauses war verschüttet."

Dem letzten Bombenangriff auf Ahrweiler am 2. März - die kriegswichtige Anlage im zweiten Tunnel und der Umstand, dass das Ahrtal Hauptnachschubstrecke für die Westfront war, waren Anlass zu täglichen Bombenangriffen und Tieffliegerbeschuss - folgt am 7. März die Ankunft der Amerikaner. " Die Soldaten zogen mit Waffen in die Stadt, in der weiße Tücher gehisst waren. Ich aß meine erste Schokolade und meinen ersten Kaugummi", so Koll. Der achtjährige Junge sieht aufgebahrte Leichen am Ahrtor und seine Heimatstadt in Schutt und Asche. Leichtsinnig, so sagt er heute, wurde er eigentlich erst dann. Unendlich viel Munition liegt in den Wäldern, so werden "auf Jäsel" in Bombentrichtern Feuer entzündet, Sprengungen durchgeführt und Granatenzünder zum Explodieren gebracht. Karbid in Flaschen als Sprengstoff in die Ahr geworfen, sorgt dafür, dass Fisch auf dem Tisch der Kolls landet.

Als es unter amerikanischer Besatzung wieder in die Schule geht - 1948 kehrt auch Heinz Kolls Vater aus der Gefangenschaft zurück - liegt vor dem Ahrtor immer noch meterhoher Schutt. "Das alles war eine Zeit des Behelfs. Der normale Alltag mit dem Stillen von Bedürfnissen wie Essen, Kleidung und einer Ausbildung begann erst als junger Mann." In seiner jahrzehntelangen Tätigkeit als Handwerker hatte er in der Nähe von alten, abgerissenen Häusern eines immer in der Nase: Den Geruch von Kriegstrümmern.

Die Stadt im Berg wurde 1947 von französischen Pionieren gesprengt. Der Heimatverein Alt Ahrweiler hat 2004 am Tunneleingang für ein Freilichtmuseum einige Hütten nachgebaut. "Ich habe für diese Gedenkstätte gespendet. Das muss für die Nachwelt erhalten bleiben, damit sich die Menschen erinnern."

Informationen (auch die Liste der 2500 Budenbewohner) gibt es unter www.alt-ahrweiler.de. Mathilde Husten schrieb als Tunnelbewohnerin 1953 den Roman "Die Stadt im Berg".

Champignonzucht

Nach Jahren des Leerstandes wurde 1935 im Silberbergtunnel eine Champignonzucht eingerichtet. Zum einen ließen sich dadurch Devisen sparen, die bislang für den Edelpilz-Import aus Frankreich ausgegeben wurden; zum anderen bot man Langzeitarbeitslosen einen Job. Unter Leitung des Bürgermeisters Eiden und mit Unterstützung der NSDAP wurde die "Ahr-Edel-Pilzzucht GmbH" gegründet. Champignons aus Ahrweiler wurden ab dann in alle Teile des Reiches geliefert. Konstante 13 Grad in feuchter Dunkelheit waren Voraussetzung für den Erfolg. Männer waren mit der Pflege und Ernte beauftragt, Frauen mit Sortieren, Abpacken und Konservieren. Was nämlich nicht verkauft werden konnte, wurde vor Ort in Büchsen konserviert.

Von 1910 bis 1923

Der Silberbergtunnel ist Teil einer strategischen Bahnlinie Köln-Trier, die geplant war von Liblar, um hinter Rech in die Ahrtalbahn einzumünden. Zwischen Grafschaft und Ahrtal mussten 100 Höhenmeter überwunden werden, wozu man fünf Tunnel durch die Berge trieb. Von Ringen aus sollte die Bahn das Viadukt des Adenbachtals überqueren. Die fünf Pfeiler stehen heute noch. Auch während des ersten Weltkrieges wurde weiter gebaut, teilweise mit russischen Kriegsgefangenen. Die amerikanischen Besatzer sahen danach die Linie als wirtschaftlich sinnvoll an. Nach der Besetzung des Ruhrgebietes 1923 lösten die Franzosen die Amerikaner ab und verhängten, obwohl die Linie im Ahrtal fast fertig war, einen sofortigen Baustopp.

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