Bürgermeister enthüllt Straßenschild Gudestraße in Sinzig heißt jetzt wieder Judengasse

Sinzig · Etliche Initiativen haben sich seit den 80er-Jahren um eine Rückbenennung der Gudestraße in Judengasse bemüht. Nun endlich wurde in einem Festakt der Beschluß des Stadtrats in die Realität umgesetzt.

 Feierlich wurde die Rückbenennung der Sinziger Gudestraße in Judengasse begangen.

Feierlich wurde die Rückbenennung der Sinziger Gudestraße in Judengasse begangen.

Foto: ahr-foto

Es war schon ein kleiner Festakt, der sich in Sinzig unter freiem Himmel abspielte: Die Gudestraße heißt nun offiziell wieder Judengasse. Die sichtbare Rückbesinnung war Veranlassung, das neue Straßenschild im Herzen der Innenstadt feierlich zu enthüllen. „In den vergangenen Jahrzehnten ist im Zuge einer öffentlichen Auseinandersetzung von verschiedenen Seiten immer wieder angeregt worden, der Gudestraße ihren angestammten Namen Judengasse zurückzugeben“, erinnerte Sinzigs Bürgermeister Andreas Geron. 1951 war die Straße seinerzeit in Gudesstraße umbenannt worden.

Diverse Initiativen haben sich seit 1985 mit einer möglichen Rückbenennung befasst

Die Grünen hatten bereits 1985 die Forderung nach einer Umbenennung der Gudestraße in Judengasse gefordert. Der Stadtrat lehnte damals ab. Begründung: Die Anwohner der Straße seien gegen den alten Namen Judengasse. Geron: „Das Ansinnen wurde in den folgenden Jahren immer wieder durch verschiedene Gremien, Petitionen und Unterschriftenaktionen sowie städtische Initiativen und Veranstaltungen mit Bürgerbeteiligung vorangebracht.“ Allerdings entwickelte die Diskussion nie die Dynamik, die zu einer Umbenennung führte. Karl Friedrich Amendt nahm als Vorsitzender des Denkmalpflegevereins 2015 die Erinnerung an die 750. Wiederkehr des Sinziger Judenpogrom erneut zum Anlass, anzuregen, „der Judengasse ihren alten Namen wiederzugeben.“ Es folgten weitere Initiativen.

Im März 2020 beschäftigte sich der Ortsbeirat mit dem Thema „Gudestraße“. Er votierte mehrheitlich dafür, die Namensänderung des Jahres 1951 rückgängig zu machen. Eine anschließende Befragung der Hauseigentümer und Bewohner der Gudestraße durch die Stadtverwaltung ergab jedoch, dass von diesen eine Umbenennung „grundsätzlich abgelehnt“ werde; Zudem wurde eine Unterschriftenliste gegen eine Umbenennung eingereicht.

Wenige Monate später beriet der Bauausschuss über einen Antrag von SPD, FDP und Grünen, die Gudestraße in Judengasse rückzubenennen. Die Entscheidung wurde in den Stadtrat verwiesen. Dort sollte nach einer historischen Aufarbeitung durch einen Experten eine Entscheidung herbeigeführt werden. Joachim Scholtyseck, Inhaber des Lehrstuhls für Neuere und Neueste Geschichte an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, wurde mit der Erstellung eines Gutachtens zu einer möglichen Straßenumbenennung beauftragt, die abschließend vom Stadtrat entschieden werden sollte. Dieses Gutachten lag im Dezember 2020 vor. Es dauerte dann aber weitere zwei Jahre, ehe der Stadtrat einstimmig beschloss, die Straße umzubenennen.

„Seit den 1980er-Jahren wurde die Geschichte der Sinziger Juden und des Holocaust systematisch wissenschaftlich aufgearbeitet. 1988 begannen Rudolf Menacher und Hans-Ulrich Reiffen umfassende Recherchen, um sich eingehender mit der jüdischen Gemeinde und dem Verhältnis der Religionsgemeinschaften untereinander zu beschäftigen. Im Jahr 1996 erschien ihre umfassende Studie unter dem Titel „Knoblauch und Weihrauch“, so Bürgermeister Geron, der außerdem daran erinnerte: „Im 19. Jahrhundert blühte die kleine jüdische Gemeinde in Sinzig auf. 1867 wurde die Sinziger Synagoge eingeweiht. Die Mitglieder der jüdischen Gemeinde gingen typischen Berufen der ländlichen Diaspora nach: Viehhändler, Metzger und kleine Kaufleute überwogen.“

Die letzten Sinziger Juden überlebten den Holocaust nicht

Eine antisemitische Stimmung sei erst wieder in der Zwischenkriegszeit des 20. Jahrhunderts spürbar gewesen. In einer Kleinstadt wie Sinzig wurde der Judenboykott vom April 1933, von dem unter anderen die Metzgerei Moses in der Judengasse 10 betroffen gewesen war, hautnah erlebt. In den folgenden Jahren ging die Zahl der jüdischen Einwohner zunächst nur leicht zurück. Das reichsweite Novemberpogrom fand in Sinzig am 10. November 1938 statt. Geron: „Die Reaktion der einheimischen Bevölkerung war eine Mischung von Erschrecken und Wegsehen; bezeichnend war eine Zeitzeugenaussage: Die Sinziger Bevölkerung hielt sich fern. Die Leute machten die Gardinen zu.“

1939 lebten in Sinzig und Bodendorf noch 19 Juden. Die letzten 17 noch in Sinzig lebenden jüdischen Einwohner wurden 1942 in zwei Deportationen Richtung Osten gebracht; keiner von ihnen überlebte den Holocaust. Dass sich der Stadtrat einstimmig für die Rückbenennung der Judengasse ausgesprochen hat, zeige, dass die Stadt Sinzig bereit sei, Verantwortung zu übernehmen und falsche Entscheidungen aus der Vergangenheit zu revidieren. Geron: „Wir wollen nicht wegschauen oder gar einen Schlussstrich unter das Thema ziehen. Sondern im Gegenteil: Mit dieser Entscheidung möchten wir die Geschichte lebendig halten, uns erinnern und aktiv dazu beitragen, dass unsere demokratische Gesellschaft am Diskurs wächst und sich nicht vor inhaltlichen Auseinandersetzungen scheut.“

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