Lied der Ahrweiler Band Sinuz "Flut"-Song fasst die Tragik in Worte

Sinzig · Nach Wochen voller Anstrengung, Leid, aber auch ungeahnter kameradschaftlicher Hilfe, schreibt Sänger Kay Michelt ein Lied über die Flutkatastrophe. Das Musikvideo seiner Band Sinuz kleidet ein kollektives Trauma in Worte und Bilder.

 In der Schlussszene des Musikvideos seiner Band "Sinuz" sitzt Sänger Kay Michelt vor einem verwüsteten Wohnhaus.

In der Schlussszene des Musikvideos seiner Band "Sinuz" sitzt Sänger Kay Michelt vor einem verwüsteten Wohnhaus.

Foto: Sinuz

„Eimer, Schaufel, Stemmer“ – wie ein düsteres Mantra wiederholt Kay Michelt die Worte gebetsmühlenartig in dem neu erschienenen Musikvideo seiner Band. Das Basisinventar für den Kampf der vergangenen Wochen. Den Kampf gegen den Schlamm, wie Michelt eindrücklich berichtet. „Wenn man die Augen schloss, sah man immer nur Schlamm. Immer.“ Von der Flut gezeichnet, leer und ermattet erscheint das Gesicht des Frontmanns im Video. In dem neuen Song „Flut“ seiner Band „Sinuz“ verarbeitet der Sänger die Flutkatastrophe.

Die Schnittbilder des Videos zeigen verdreckte Eimer und Schaufeln, Blechberge, zerfetzte Wohnwägen und Spanplatten, die in einem mittlerweile seichten Ahr-Kanal treiben. Mitten in den Überbleibseln seiner Heimat posiert Michelt, gießt die Eindrücke der letzten anderthalb Monate in musikalische Form. Konkreter gesagt, in eine Mischung aus melancholischen, repetitiven Gitarrenfragmenten von Gitarrist Christopher Jehle und seinem Sprechgesang. „Kunst ist immer der Versuch, ein Gefühl zu destillieren“, sagt Michelt.

Song war in wenigen Tagen fertig

In diesem Fall destillierte sehr schnell, was sich in den vergangenen Wochen angestaut hatte. Es musste raus. Den Text schrieb Michelt innerhalb einer Stunde. Ein paar Tage später besuchte er Jehle, der bereits E-Gitarren eingespielt hatte, und sprach den Text ein. Wenige Tage danach drehten Michelt und Bassist Tom Kündgen das Video in Sinzig und Bad Neuenahr-Ahrweiler. So schnell hätten sie noch nie produziert, sagt Michelt.

Die Premiere auf YouTube fand am vergangenen Donnerstag statt. Die schlimmsten Orte habe man dabei ausgelassen, so Michelt. Aus Pietätsgründen. „Da ist nur Angst, da bist nur du und deine Besten bis zu den Knien im Schlamm. Und jede Schaufel schweißt euch zusammen“, textet Michelt bildreich. Das Video habe eine Welle an Zuschriften nach sich gezogen. Die Hörer schrieben, endlich sage jemand etwas, das sie selbst fühlten aber nicht in Worte fassen könnten. Auch HipHop-Journalistin Charlotte Mellahn alias Visa Vie teilte das Video in ihrer Instagram-Story.

Gitarrist Jehle fühlt sich seiner Heimat nun verbundener denn je. Der Grafschafter ist als Anwalt in Mayen tätig. Er entschloss sich bewusst, in der Region zu bleiben. „Ich habe das erste Mal erlebt, was Heimatliebe bedeutet“, kommentiert er den Zusammenhalt der Helfer.

Mit bis zu 60 Menschen räumte Sänger Michelt wochenlang Keller und Erdgeschosse auf

Teile der sechsköpfigen Band mit Wurzeln aus Bad Breisig, Sinzig, Ahrweiler und der Grafschaft waren selbst betroffen, manche Eltern der Bandmitglieder massiv. Michelt brachte in der Katastrophennacht seine Kinder und seine Freundin zu seinem Bruder, der in der Sinziger Innenstadt wohnt. Nur die wichtigsten Gegenstände aus dem Keller konnte er retten. Dort suchten jedoch Dutzende Menschen aus dem Familien- und Bekanntenkreis Obdach. Am nächsten Morgen habe er sich, so Michelt mit dem Fahrrad auf den Weg gemacht, um die Katastrophe zu überblicken.

Beim Ausräumen seines und der Keller von Freunden und Familie seien mit der Zeit immer mehr Menschen zusammengekommen. In den folgenden Wochen wuchs die Gruppe auf etwa 60 Helfer an. Kontinuierlich räumten diese Keller und Erdgeschosse in Sinzig und Bad Neuenahr-Ahrweiler aus. Anfangs dachten sie, die Ersthilfe würde schon den Großteil ihrer Welt wieder herstellen. Nach zwei Wochen seien Feuerwehr, Bundeswehr und THW gekommen und es sei immer klarer geworden, dass der Wiederaufbau Jahre dauern würde, so Michelt.

Syrische Freiwillige helfen immer noch täglich beim Wiederaufbau

Abends saßen die Helfer im CoWorking Space in Sinzig zusammen, unter anderem mit der Gruppe „Syrische Freiwillige in Deutschland“. Dort entluden sich immer wieder Emotionen, berichtet Michelt. Menschen fingen an zu weinen. Ihre Heimat hatten sie noch nie in einem solchen Zustand erlebt. Der Proberaum der Band in Walporzheim ist immer noch nicht am Stromnetz, und auch sonst nicht mehr nutzbar.

Wochen nach der Flut müssen auch die Bandmitglieder wieder arbeiten, es bleibt also nicht mehr so viel Zeit, um aufzuräumen. Die Flüchtlinge arbeiteten hingegen immer noch jeden Tag weiter. Um auf andere Weise zu helfen - beim Verstehen, beim Einordnen, beim Verkraften - habe er den Text von „Flut“ geschrieben. Und, um CoWorking Sinzig zu unterstützten. Von hier aus werden Dutzende Helfer täglich koordiniert, warmes Essen ausgeteilt und Informationen gebündelt. Hier sei die Spende am besten aufgehoben, sagt Michelt, weil sie die Helfer und damit die Betroffenen direkt erreiche. Am Ende des Videos sowie in der Videobeschreibung gibt es einen Spendenaufruf.

Er habe eigentlich damit gerechnet, dass von staatlicher Hilfe schnellere Hilfe kommen würde. „Wir sind dankbar und sehr beeindruckt, dass so viele Menschen so schnell geholfen haben: Private wie Unternehmen von überall. Wenn es darauf ankommt, Herz zu zeigen und der Staat die Kraft nicht aufzubringen vermag, die es braucht, schaffen das die Menschen vor Ort zusammen.“ Weitere Infos: https://www.sinuz.org/

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort