Pogrom vor 80 Jahren Spur der Verwüstung im Kreis Ahrweiler

KREIS AHRWEILER · In den Tagen vom 9. bis 11. November 1938 zerstören SS- und SA-Leute jüdische Geschäfte im Kreis Ahrweiler und setzen Synagogen in Brand. Die Polizei darf nicht einschreiten.

 Auch die Bad Neuenahrer Synagoge gibt es nicht mehr.

Auch die Bad Neuenahrer Synagoge gibt es nicht mehr.

Foto: Kreis

Donnerstag, 10. November 1938: Heinz Linnerz ist auf dem Weg zur Schule in Bad Neuenahr. Sein Weg führt von der General-Nitzmann-Straße (heute Jesuitenstraße) in Richtung Hindenburgstraße (Poststraße). Es ist eisig kalt, und der damals zehnjährige Pimpf hört das Heulen von Sirenen. Das schilderte Heinz Linnerz, der zunächst in Bad Neuenahr und später in Ahrweiler wohnte, vor 30 Jahren dem General-Anzeiger. Der Zeitzeuge ist mittlerweile leider verstorben, doch seine Aussagen von damals liegen noch vor. Wenig später sieht der Junge in der Uniform der Hitlerjugend den Grund für den Alarm: Heinz steht vor der brennenden Synagoge von Bad Neuenahr an der heutigen Wadenheimerstraße, der früheren Tempelgasse.

„Ich dachte nur, wo bleibt die Feuerwehr?“, erinnerte er sich damals im Gespräch mit dem GA. „Gebetbücher, Schriftstücke und Inventar lagen auf der Straße.“ Der Zeitzeuge wusste auch von Ausschreitungen gegenüber Juden in anderen Straßen zu berichten. „Ich sah Leute in braunen Hemden. Fensterscheiben klirrten.“

Ein Trupp von SS- und SA-Leuten unter Leitung eines SS-Oberführers zertrümmerte die Scheiben des Textilgeschäftes Leiser an der heutigen Poststraße, danach ging es im Haus weiter. Anschließend, so ein weiterer Augenzeuge, kam das Hotel „Stadt London“ an die Reihe. Fenster und Ausleger mit dem Namen des Hauses zerbarsten unter den Schlägen einer Axt. Danach soll das Einsatzkommando zum Hotel „Bismarck“ und zum Lederwarengeschäft Jakobs gefahren sein.

Synagoge aufgebrochen, Bänke umgeworfen

Am selben Tag: Es ist etwa acht Uhr morgens, als ein Lastwagen mit SA-Männern an der Synagoge an der Altenbaustraße in Ahrweiler vorfährt. Die Synagoge wird aufgebrochen, Bänke werden umgeworfen, Teppiche, Schriftstücke, Gebetbücher und die Thorarolle auf die Straße geschleppt und angezündet. Auch die Synagoge brennt, doch der Bruchstein widersteht den Flammen.

Das Pogrom gegen die deutschen Juden markiert schwarze Tage in die Historie des Landes. Vorgeschichte und Verlauf der Ausschreitungen hat der damalige Kreisarchivar Leonhard Janta im Heimatjahrbuch 1988 für den Kreis Ahrweiler nachgezeichnet. Janta beruft sich unter anderem auf Recherchen des verstorbenen Superintendenten Hans Warnecke und eine Facharbeit von Rainer Pfaffenholz aus Bad Neuenahr-Ahrweiler Ende der 70er Jahre: „Am 9. November 1938 wurde etwa ab 23 Uhr von einem SA-Trupp die Wohnung des jüdischen Weinhändlers Herbert Baer in Ahrweiler demoliert. Er wurde gefesselt und misshandelt. Im Weinkeller seines Hauses veranstalteten seine Peiniger ein Zechgelage. Verwüstungen in anderen jüdischen Wohnungen und Geschäften fanden erst am Morgen des 10. November statt.“

An diesem Morgen soll es auch gewesen sein, dass ein Lehrer beim Anblick des zündelnden Trupps an der Synagoge an der Ahrweiler Altenbaustraße laut rief: „Das ist der schönste Tag in meinem Leben.“ Wie mehrere Zeitzeugen unabhängig voneinander bestätigten, handelte es sich bei dem Lehrer um einen aktiven SA-Mann. Dass es in Ahrweiler nicht zu noch größeren Ausschreitungen gegen Juden kam, wird darauf zurückgeführt, dass ehemals aktive Linke unter Führung eines Kommunisten die SA in eine massive Straßenschlacht verwickelten und der nicht gerade großen braunen Truppe kein Freiraum für weitere Verwüstungen blieb. Was aus den Straßenkämpfern auf beiden Seiten wurde, ist nicht überliefert.

Freitod eines Ahrweiler Juden nicht geklärt

Und in welchem Zusammenhang der Freitod eines Ahrweiler Juden mit der Pogromnacht steht, ist nicht mehr zu klären. Zeitzeugen bestätigen, dass sich der Metzger Josef Hertz in seinem Betrieb an der Plätzergasse die Kehle durchschnitten hat.

Die Spur der SS und SA führt von Bad Neuenahr nach Remagen. Das sieht Janta in der Aussage einer Zeitzeugin aus Remagen bestätigt: „Am 10. November 1938 lief sie mit Klassenkameradinnen in der großen Pause zur brennenden Remagener Synagoge. Vorher war Feueralarm gegeben worden, und in Windeseile war bekannt, dass die Synagoge brannte. Auf dem Schulweg hatte die Schülerin allerdings schon Spuren der Verwüstungen an jüdischen Wohnungen und Geschäften gesehen. Auf dem Schulhof stand an diesem Morgen die jüdische Schülerin Inge Faßbender und weinte. Die ehemalige Mitschülerin erinnert sich, dass mehrere Klassenkameradinnen 'mit ihr geheult haben', als die Synagoge an der Grabenstraße in Flammen stand.“

Die Ausschreitungen in Sinzig begannen laut Janta bereits in der Nacht vom 9. auf den 10. November. Vier Wohnungen und der Betsaal in der Alten Burg wurden verwüstet. Die Polizei hatte vom Bürgermeister die Anweisung erhalten, nicht in Erscheinung zu treten. Vier Sinziger und zwölf weitere Juden – es soll sich vermutlich um Männer aus Ahrweiler, Neuenahr und Remagen gehandelt haben – wurden am 10. November mit einem Feuerwehrfahrzeug in das Koblenzer Gestapogefängnis gebracht.

Ob die Demolierung des Autos von Ludwig Schweitzer, eines Juden aus Dernau, ebenfalls auf das Konto eines Stoßtrupps während der Pogromnacht geht, kann nicht mehr entschieden werden. Fest steht, dass der Altenahrer Amtsbürgermeister am 27. Dezember 1938 meldete: „Der Wagen ist nicht betriebsfähig, da die Fenster eingeschlagen sind und die Decke durchlöchert ist.“

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