Psychische Belastungen nach der Flut Wann die Katastrophe zum Trauma werden kann

Bonn · Bei vielen Menschen lässt die psychische Belastung nach einer Katastrophe mit der Zeit wieder nach. Die Erlebnisse können aber auch zum Trauma werden. Wann sich Betroffene Hilfe suchen sollten.

 Bild der Zerstörung in Altenahr.

Bild der Zerstörung in Altenahr.

Foto: Benjamin Westhoff

Viele der Menschen, die in den von der Flutkatastrophe betroffenen Gebieten leben, haben in den vergangenen Tagen furchtbare Szenen erlebt und schreckliche Bilder im Kopf, mit denen sie nun fertig werden müssen. Viele verloren ihr Zuhause, bangten um ihr eigenes Leben oder um das Leben von Nachbarn, Freunden und Angehörigen.

Um den Betroffenen akut dabei zu helfen, die Naturkatastrophe besser verarbeiten zu können, haben unter anderem die Kreisverwaltung Ahrweiler und das Land Rheinland-Pfalz Hotlines bekanntgegeben, über die Betroffene akute psychosoziale Hilfe erhalten. Die entsprechenden Nummern und weitere Anlaufstellen für psychologische Hilfestellungen haben wir hier zusammengefasst.

Ein Ereignis wie dieses geht an niemandem spurlos vorbei. Schlafprobleme, Reizbarkeit, Ängste, Traurigkeit, innere Leere, Albträume und Konzentrationsprobleme seien übliche Reaktionen, heißt es von der Psychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz. Üblicherweise würden diese Symptome nach einer gewissen Zeit - die von Person zu Person unterschiedlich ist - wieder nachlassen.

Unmittelbar nach einem solchen Unglück seien die meisten Menschen zunächst in einer Art „Überlebensmodus“, sagt Andrea Benecke, Vizepräsidentin der Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz. Dieser ermögliche es, trotz der Ausnahmesitutation aktiv zu werden und etwas gegen den Zustand zu tun - so schmerzlich die Situtaion auch ist. Das sei genau richtig, um gegen das Gefühl von Verzweiflung und Hilflosigkeit anzugehen, erklärt Benecke.

Auch Gerd Höhner, Präsident der Psychotherapeutenkammer NRW, betont, dass Aktivismus den Betroffenen unmittelbar nach einem Unglück wie der Flutkatastrophe enorm helfe. Dabei sei besonders wichtig, zu merken, „man ist nicht alleine“, meint Benecke. Gemeinsam anzupacken sei das beste Mittel, sich zunächst einmal aus der belastenden Situation zu befreien. Tatkräftige Unterstützung von Freunden, Nachbarn oder der Familie sei dabei genauso hilfreich wie das Angebot für Gespräche.

Wer nach einer Katastrophe in eine Art Starre verfalle und nicht mehr in der Lage sei, aktiv zu werden, der brauche akute psychologische Unterstützung, macht Höhner deutlich.

Trauma: Je früher interveniert wird, desto besser

Während die Belastung bei vielen Menschen mit der Zeit wieder nachlässt, kann ein solches Erlebnis, das das Leben vieler so radikal verändert hat, auch zum Trauma werden. Besonders nach dem Erleben von Todesangst, massiven Ängsten um Angehörige, starker Ungewissheit und Hilflosigkeit, Alleinsein oder dem Verlust von Angehörigen droht diese Gefahr. Ob ein Erlebnis zu einer Traumatisierung führe, hänge wesentlich von der individuellen psychischen Situation des Einzelnen ab, erklärt Höhner. Die selbe äußere Belastung führe also längst nicht bei allen Menschen zu der selben psychischen Reaktion.

Ein kurzfristiger Schock und Ängste seien normal, sagt Höhner. Bei einem traumatisierten Menschen würden die Ängste aber nicht mehr abklingen, sondern immer wieder in der selben Intensität auftreten und mitunter sogar immer schlimmer werden. Das könne so weit führen, dass man das Haus nicht mehr verlässt und seinen Alltag nicht mehr bewältigen kann. Wer langfristig unter Ängsten leidet und es nicht schafft, diese Reaktionen mit eigenen Strategien zu bewältigen, sollte sich unbedingt psychotherapeutische Hilfe holen, rät Höhner. Grundsätzlich seien ältere und kranke Menschen sowie Kinder stärker gefährdet, ein Trauma zu erleiden.

Je früher bei einer solchen psychischen Belastung interveniert werde, desto besser, macht Höhner deutlich. Denn die Zeit würde eben nicht alle Wunden heilen. Im Gegenteil: Belastungen, die nicht behandelt werden, tendieren zu einer zunehmenden Verschlechterung. Je früher reagiert wird, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit für Langzeitfolgen. Laut Angaben der Psychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz führe das Erleben einer Naturkatastrophe bei 20 bis 30 Prozent der Betroffenen zu einer posttraumatischen Belastungsstörung.

Andrea Benecke weist darauf hin, dass auch freiwillige Helfer sich in der aktuellen Situation nicht überfordern sollten. „Das Erleben der Zerstörung vor Ort kann auch für Helfer sehr überwältigend und belastend sein“, mahnt sie. Durch die Eindrücke und den Austausch mit Betroffenen könnten auch Helfer traumatisiert werden. Wer im Krisengebiet helfen möchte, sollte daher selbst psychisch stabil sein.

Wer einen Psychotherapeuten sucht, kann sich entweder direkt an die niedergelassenen Psychotherapeuten in seiner Umgebung wenden oder die Servicestelle der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein beziehungsweise der Kassenärztlichen Vereinigung Rheinland-Pfalz kontaktieren.

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