Versammlung für Flutbetroffene Walporzheim bekommt seinen Backes und den Sportplatz zurück
Walporzheim · Das Interesse an den Einwohnerversammlungen zur Flutkatastrophe ist groß. In Walporzheim starteten jetzt die Veranstaltungen für die Stadtteile von Bad Neuenahr-Ahrweiler. Das Versorgungszelt neben der Kapelle war dem Ansturm nicht gewachsen. Viele der rund 300 Besucher mussten im Außenbereich Platz nehmen.
In Einwohnerversammlungen werden den von der Flutkatastrophe betroffenen Menschen im Ahrtal in diesen Tagen die Grundlagen und Beschlüsse zum Wiederaufbau privaten Eigentums dargelegt. Im Grunde wird hier das vermittelt, was von der kommunalen Familie und vielen Entscheidungsträgern auf der zweiten Zukunftskonferenz Ende September in der Grafschaft zu hören war. Dabei haben die Bürger nach drei Fachvorträgen alle Zeit, ihre Anliegen vorzutragen und das Vermittelte zu hinterfragen.
Jetzt ist der Tross der Ansprechpartner in der Kreisstadt angekommen, Auftakt der Versammlungen war am Montagabend in Walporzheim. Dort mussten die Verantwortlichen zunächst einmal zur Kenntnis nehmen, dass das Versorgungszelt neben der Kapelle dem Ansturm nicht gewachsen war. Viele der rund 300 Besucher mussten im Außenbereich Platz nehmen. Allerdings gibt es in Walporzheim und Marienthal derzeit auch keinen anderen Versammlungsort entsprechender Größe. Wer keinen Platz im Zelt fand, verpasste zwar dank Bildschirmen und Lautsprechern keine der Informationen, Fragen stellen konnte man von außerhalb jedoch nicht.
Steingaß: Kein originärer Wiederaufbau wie vor der Flut
Die Stadtspitze war mit Bürgermeister Guido Orthen und dem Ersten Beigeordneten Peter Diewald vertreten, Orthen bekundete noch einmal den Willen zum Wiederaufbau und zollte den Menschen der westlichen Stadtteile seinen Respekt für deren Eigeninitiative nach der Flut. Auch die für den Wiederaufbau verantwortliche Staatssekretärin Nicole Steingaß war gekommen, um nach kurzer Begrüßung die Moderation an Vor-Ort-Koordinator Günter Kern zu übertragen. Dabei machte Steingaß den Menschen klar, dass es keinen originären Wiederaufbau wie vor der Flut geben könne. „Es wird Veränderungen geben müssen", so die Staatssekretärin.
Der Abteilungsleiter Wasserwirtschaft im Umweltministerium, Hans-Hartmann Munk, stellte den Besuchern die vorläufigen neuen Überschwemmungsbereiche im Ahrtal vor, die von den zuletzt im Jahr 2005 festgelegten Bereichen abweichen. Sie basieren auf Pegelständen eines sogenannten 100-jährigen Hochwasserereignisses (HQ100), die weit über denen des Hochwassers von 2016 liegen. Damals waren 240 Kubikmeter Wasser pro Sekunde gemessen worden, der jetzige Bereich geht von Überflutungen bei 410 Kubikmetern aus. Gegen ein Ereignis wie im Juli 2021 werde auch das wenig nutzen, warnte Munk, der über Bauverbote und Ausnahmenkataloge sowie Voraussetzungen zum Bau in Überflutungsbereichen referierte.
Der für die Wasserwirtschaft zuständige Abteilungsleiter der Struktur- und Genehmigungsdirektion (SGD) Nord, Joachim Gehrke, referierte über hochwasserangepasstes Bauen, stellte Maßnahmen und Möglichkeiten für einen verbesserten Schutz beim Wiederaufbau und beim Neubau vor. Gehrke plädierte dabei für ein kommunal übergreifendes Hochwasservorsorgekonzept, das als Ziel auch beinhalte, die Ahr zum Erlebnisraum zu machen. Ein solches Konzept will die Hochwasserpartnerschaft Ahr ab Ende Oktober entwickeln.
Gehrke sprach zudem über die Flächenbewirtschaftung. Schon auf den Höhen über dem Ahrtal müsse Niederschlagswasser angegangen werden, in der Fläche ist das Ziel eine Verlangsamung der Abflussgeschwindigkeit. „Auf jeden Fall müssen die Planungen von allen Kommunen umgesetzt werden", empfahl Gehrke die Bildung eines Gewässerzweckverbands.
Schließlich stellte der Vorstand der Investitions- und Strukturbank (ISB), Ulrich Link, die Fördermöglichkeiten für Private und Gewerbetreibende und die damit verbundenen Antragsstränge vor. Link betonte, dass Förderanträge bis Ende Juni 2023 gestellt werden können. Er erklärte die Möglichkeit der digitalen Antragsstellung.
Häuser erleiden immensen Wertverlust
Groß war das Spektrum der anschließenden Fragerunde. Da ging es um mögliche Spundwände zum Schutz der direkten Ahr-Anlieger mit ihren Voraussetzungen und Vor- und Nachteilen. Ein Problem für die Menschen, die nun erstmals im HQ100-Bereich liegen: Ihre Häuser haben somit einen immensen Wertverlust erlitten. Ein anderer Bürger berichtete, dass er mehr oder weniger aus Entschädigungsgründen zum Wiederaufbau gezwungen sei, obwohl er gar nicht wolle. Mehrfach wurde betont, dass es unbedingt zu einer Bürgerbeteiligung bei den Planungen des Wiederaufbaus kommen müsse, hier wurde die konsensuale Mitarbeit gefordert und kein Workshop-Programm. Schließlich gelte es, Interessenskonflikten zu begegnen.
Können die im besonderen Gefahrenbereich liegenden, für Walporzheim aber so wichtigen Dinge wie Sportplatz, Backes, Sportlerheim oder Altes Wasserwerk wieder aufgebaut werden? Das „Ja" beruhigte viele im Zelt. Die Frage nach einem Neubau der Josefbrücke beantwortete Bürgermeister Orthen angesichts einer Entscheidung, die der Stadtrat zu treffen hat, diplomatisch: „Ich kann mir Walporzheim ohne Josefsbrücke nicht vorstellen."
Der Erste Kreisbeigeordnete Horst Gies verwies bei Fragen nach Ahrtalbahn und Radwegen auf die Arbeit der geplanten Steuerungsgruppe für den Wiederaufbau Ahrtal. Und der Landesbetrieb Mobilität (LBM) erklärte, dass die Hauptverkehrsstraßen bis Jahresende zumindest so wieder hergerichtet werden sollen, dass dort auch ein Winterdienst möglich sei. Großer Klärungsbedarf besteht für die Winzer weiterhin darin, ob Weingärten im besonderen Gefahrenbereich künftig zulässig sind. Hier stehen noch Gespräche aus.