Altenahr ein Jahr nach der Flut Zeit für eine stilles Gebet und für Gespräche

Altenahr · Die Pfarreiengemeinschaft Altenahr und Diakonie erhalten gute Resonanz auf ihre Einladung zum Besuch der Kirchen am Jahrestag der Flut unter dem Motto „Gemeinsam durch die Nacht“. Mit der Trauer gehen die Teilnehmer unterschiedlich um. Auch Kritik regt sich mancherorts.

Allgegenwärtige Anteilnahme am ersten Jahrestag: Auch in der Altenahrer Kirche gedenken Betroffene, Familien und Freunde mit Weihbischof Jörg Michael Peters der Flutopfer.

Allgegenwärtige Anteilnahme am ersten Jahrestag: Auch in der Altenahrer Kirche gedenken Betroffene, Familien und Freunde mit Weihbischof Jörg Michael Peters der Flutopfer.

Foto: Martin Gausmann

Es ist halb acht am Donnerstagabend in Altenahr. Unten an der steilen Treppe von der Brückenstraße hoch zur Pfarrkirche Sankt Maria Verkündigung stehen einige Menschen in ruhigem Gespräch. Sie gehören zur Gruppe „Hühnerspaghetti“. Der ironische Name sagt nichts über das, was sie zusammengebracht hat. Es sind Flutbetroffene. Genau ein Jahr ist es her, dass die Ahr mit bis dahin ungekannten Wassermassen große Teile des traditionellen Weinorts zerstört hat.

Betroffene wollen miteinander und füreinander da sein

Der Name „Hühnerspaghetti“ animiert etwas zum Lachen in der großen Misere. „Wir gedenken hier unserer Nachbarn, Freunde und deren Angehörigen, wir wollen miteinander und füreinander da sein“, beschreibt Stefanie Nelles das gemeinsame Anliegen. Jetzt haben sie den Aufgang zur Kirche mit Grün und Blumen geschmückt, oben ein großes Blumengesteck, daneben zehn brennende Kerzen. Zehn Menschen aus der Ortsgemeinde Altenahr, dazu gehören Altenahr, Altenburg, Kreuzberg und Reimerzhoven, hat die Flut in den Tod gerissen.

Betroffen sind alle, die sich versammelt haben. Bei Nelles ist der gesamte Familienbetrieb der Katastrophe zum Opfer gefallen. Das Café an der Einmündung des Roßbergs steht noch. Es soll umgebaut, vergrößert, komplett energetisch saniert werden, Pläne liegen beim Kreis, die Familie wartet auf Genehmigung. Ungewiss ist die Zukunft des Hotels auf der anderen Straßenseite, da es baulich mit dem jetzigen Rathaus zusammenhängt. Bevor über die Zukunft des Rathauses entschieden ist, muss das Hotel warten.

Teelichter sorgen für eine behagliche Atmosphäre

Bei den Versammelten ist Albrecht Kreiten, der frühere Altenahrer Ortsbürgermeister. Sein Haus steht genau gegenüber dem Aufgang zur Kirche. Es ist von der anderen Seite stark beschädigt. Dann kommt Wilfried Schumacher, der frühere Bonner Stadtdechant, er hilft derzeit in der Pfarreiengemeinschaft Altenahr, weil das dortige Seelsorgeteam dezimiert ist. An dem Abend will er „einfach bei den Menschen sein“.

Teelichter versetzen den großen Kirchenraum von Sankt Maria Verkündigung in eine ruhige Atmosphäre, Menschen sitzen oder knien verstreut in Bänken. Zur Meditation spielt leise Musik. Ein Notfallseelsorger des Bistums Trier wartet hinten. „Es geht darum, einfach da zu sein“, beschreibt er seine Aufgabe.

Am Kircheneingang zur Bergseite schart sich eine Gruppe um den Trierer Weihbischof Jörg Michael Peters. Dabei ist auch die Altenahrer Gemeindereferentin Manuela Kremer-Breuer. Im Team mit der Diakonie und der Katastrophenhilfe hat die Pfarreiengemeinschaft die Nacht der offenen Kirchen vorbereitet, berichtet sie. „Wir haben ein Angebot für die Menschen gemacht, wichtig ist, was ihnen gerade guttut“, sagt sie.

Ihre Zukunftsvisionen haben Kinder mit bunten Farben zu Papier gebracht. Ihre Wünsche: „Gemüse in unserem Garten“, „Fische in der Ahr“, „Platz zum Spielen und Toben“, „Wir sammeln Müll“.

Besuch des Weihbischofs in Altenahr wird kritisch gesehen

Ortswechsel nach Altenburg: „Entzünde eine Kerze, ein Licht, das die Dunkelheit erhellt“, steht auf einem kleinen Tisch mit flackernder Lampe an der Brücke zur Sankt-Maternus-Kapelle. Einige Menschen stehen auf der Brücke und unterhalten sich. „Wo soll man sich sonst treffen, in Altenburg wohnt ja kaum noch einer“, sagen sie. In der Kapelle haben sie sich getroffen, wollen noch beieinander bleiben. Die Rolle des Bistums in Zusammenhang mit der Katastrophe sehen sie trotz des Besuchs des Weihbischofs in Altenahr kritisch. Sie wollen sich dem Geschehen nach einem Jahr nicht nur in aller Stille stellen. „Wir brauchen auch Luft, etwas rauszulassen“, sagt einer. „Wir wollen jetzt nicht rosarot sehen. Den Menschen in Ahrbrück blutet das Herz, dass ihre Kirche abgerissen wird.“ Ihrer Meinung nach hat das Bistum das Altenahrer Seelsorgeteam nach der Katastrophe nicht ausreichend unterstützt.

Vor dem Kapelleneingang steht Oliver Serwas vom Seelsorgeteam des Bistums bei einer Gruppe. Mit so vielen Besuchern zum stillen Gebet habe er nicht gerechnet, sagt er, weiß aber, dass auch das Gespräch miteinander wichtig ist. „Kirche ist auch Beisammensein“, sagt er.

Die Menschen wollen Zeit für sich haben

Die kleine alte Kirche Sankt Luzia in Rech gleicht von innen einem Rohbau, die Flut hat sie getroffen. In Kerzenbeleuchtung treffen sich da Mitglieder aller Altersstufen, freuen sich, einander zu begegnen, sprechen miteinander, Kinder malen Hoffnungsbilder.

Beim Besuch in Mayschoß bricht die Dämmerung bereits herein, vor der Kirche Sankt Nikolaus & Rochus herrscht Betrieb. Als „bewegend“ beschreibt Britta Mies vom Seelsorgeteam des Bistums den Abend. „Der Ort hier ist für die Menschen wichtig geworden, nach der Katastrophe war Sankt Nikolaus so etwas wie Kirche im Ursprung, wo alles stattfand: Treffen, Gespräche, Verteilung von Hilfsgütern“, sagt sie. Für sie ist das Gespräch für die Menschen so wichtig wie die Besinnung. Die Menschen wollten Zeit für sich allein haben, wüssten aber auch: „Ich bin hier zusammen mit Menschen, trotz allem was passiert ist, wir sind verbunden untereinander.“ Im Innenraum sitzt ein Pärchen umschlungen, andere knien allein im Gebet.

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