Hirten in der Weihnachtsgeschichte "Keine kriminellen Kleintierzüchter"

Oberwinter · Für Pfarrer Michael Schankweiler sind die Hirten in der Weihnachtsgeschichte nicht etwa Pappkameraden in einem Rührstück.

 Michael Schankweiler ist evangelischer Pfarrer in Oberwinter und Mitglied der Landessynode.

Michael Schankweiler ist evangelischer Pfarrer in Oberwinter und Mitglied der Landessynode.

Foto: Evangelische Kirche

Der Evangelist Lukas hat jedes Wort seiner Weihnachtsbotschaft genau ausgesucht. Jedes Wort hat einen großen eigenen Hintergrund. Nachdem das Kind von Maria geboren wurde und in Windeln in einer Krippe, in einem Futtertrog liegt, verlässt Lukas in seiner Erzählung das Städtchen Bethlehem und lenkt die Aufmerksamkeit auf eine besondere Menschengruppe vor den Toren der Stadt: die Hirten mit ihren Schafherden und Ziegen.

Die Hirten in der Weihnachtsgeschichte sind in ihrer Bedeutung mehr als ihnen landläufig zugemessen wird. Sie werden in fast allen Krippenspielen als naive Kleintierzüchter dargestellt oder als halbe Verbrecher, mit denen man normalerweise nichts zu tun haben will. Pappkameraden in einem Rührstück. Aber das sind sie nicht.

Denn wer das Alte Testament nur ein bisschen kennt, weiß, die Hirten sind nämlich die Führer ihres Volkes, so wie Moses zunächst ein Hirte am Sinai war, nach der Flucht aus Ägypten und bevor er zum Befreier und Anführer seines Volkes wurde. Er war ein Hirte.

Und eine schöne Auslegung sagt: Und Gott prüfte den Moses, ob er die Befähigung hatte, sein Volk gut und weise zu leiten und verantwortlich mit Macht umzugehen. Darum wurde er ein Hirte und Gott sah ihn in seinem Hirtenamt. Und wer gut mit Tieren umgeht, der geht auch gut mit Menschen um.

Hirten, das klingt nun für mich in der Weihnachtsgeschichte durch, sind die Hüter, die Regierenden des Volkes. Ihnen soll ein Licht aufgehen, ihnen soll Maßstab und Orientierung zufließen, in der Orientierung an Christus, dem Messias in Armut in einem Stall geboren. Die Bezeichnung Hirte war im alten Orient ein Ehrentitel: Die mesopotamischen Großkönige nannten sich in ihren Prunkschriften: Hirten der Länder. Und dann lese man nur einmal den Propheten Jeremia, wie Gott stöhnt über die Könige Israels, über diese falschen Hirten, wie sie das Volk ausbeuten, wie sie es belügen, wie sie sich finanzielle Vorteile verschaffen und Falsches vortäuschen, wie sie Finsternis, Dunkelheit und Armut über die Menschen bringen.

Gott sagt: "Wehe euch, Hirten, die ihr die Herde meiner Weide umkommen lasst und zerstreut!" (Jer.23,4) Also? Warum treten die Hirten auf, die des Nachts ihre Herden weiden? Rührselige Weihnachtsgeschichten stellen sie gerne als die Armen und die Rechtlosen dar, gerne auch als Menschen, die aus eigener Schuld an den Rand der Gesellschaft geraten sind. Vielleicht. Aber eigentlich sind sie das nicht.

Sie sind die geistigen, geistlichen und weltlichen Führer ihres Volkes. Sie sind das, was die Weisen, die späteren Heiligen Drei Könige bei Matthäus sind. Sie, die Hirten, werden die ersten Zeugen der Geburt im Stall von Bethlehem sein. Hirten - Pastores - Pastor. Pastor, lateinisch der Hirte. Immer mal wieder werde ich gefragt, welches denn die korrekte Bezeichnung für meinen Beruf sei. Pfarrer oder Pastor oder Pastoor wie die Oberwinterer sagen.

Das ist regional sehr unterschiedlich. In Norddeutschland ist der evangelische Pfarrer der Pastor und in Süddeutschland der Pfarrer oder Parrer. Hirte sein, so oder so, ist ein sehr anspruchsvoller und schöner Beruf: Sich zu sorgen, dem Verlorenen nachzugehen, niemanden verloren zu geben, Hoffnung zu stiften, Lebensquellen erschließen. "Und weidet mich auf grüner Aue und führet mich zum frischen Wasser!" (Ps.23) Das Ganze einer Herde im Auge zu behalten und doch den Einzelnen nicht aus dem Blick zu verlieren. Papst Johannes XXIII. sagte einmal: "Ein guter Hirte zählt seine Schafe einzeln."

Nur einmal lag ich in der Erklärung meines Berufes daneben. Ich wollte einem Italiener erklären, was ich sei. Ich sagte: "Io pastore tedesco." Das hatte ich mir so zusammengereimt. Mein Gegenüber bog sich vor Lachen. Ich hatte sagen wollen: Ich bin ein deutscher Pastor. Statt dessen verstand er aber, ich sei ein Schäferhund, denn das heißen wohl auch die Worte pastore tedesco im Italienischen. Ein Missverständnis, aber warum soll Weihnachten nicht auch mal geschmunzelt werden.

Zur Person

Michael Schankweiler, Jahrgang 1960, ist seit 1998 im Amt des Pfarrers der Evangelischen Kirchengemeinde Oberwinter. Der Vater von drei Kindern, seit 2013 geschieden, ist seit 2005 als Vertreter des Evangelischen Kirchenkreises Koblenz Mitglied der Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland. Michael Schankweiler unterrichtet Neuere Kirchengeschichte an der Evangelischen Fachhochschule Rheinland-Westfalen-Lippe in Bochum.

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