Fesselnder Vortrag am Rhein-Ahr-Campus Menschenfeindlichkeit ist „in den Kern des Bürgertums gerückt“

Remagen · Stefan Sell hat am Rhein-Ahr-Campus in einem fesselnden Vortrag über die Auswüchse von Rechtsextremismus in Deutschland gesprochen und dazu aufgerufen, sich an den Demonstrationen gegen den Neonazi-Aufmarsch am 16. November zu beteiligen.

"Extreme Zeiten? Von Halle über Remagen bis in die Mitte der Gesellschaft?" darüber sprach Professor Stefan Sell am Rhein-Ahr-Campus (RAC).

"Extreme Zeiten? Von Halle über Remagen bis in die Mitte der Gesellschaft?" darüber sprach Professor Stefan Sell am Rhein-Ahr-Campus (RAC).

Foto: Gausmann

"Man muss seine Abscheu zum Ausdruck bringen." Stefan Sell, Professor für Volkswirtschaftslehre und Sozialpolitik am Rhein-Ahr-Campus, forderte dazu auf, Stellung zu beziehen. Sein Vortrag "Extreme Zeiten? Von Halle über Remagen bis in die Mitte der Gesellschaft?" war Teil der Themenwoche, mit der Studenten und Mitarbeiter der Fachhochschule seit fünf Jahren einen Kontrapunkt zu den Aufmärschen rechtsextremer Gruppen in Remagen setzen.

Eingangs nannte Achim Böttcher von der externen Kooperationsstelle des Bundesprogramms als größtes Förderprojekt den "Tag der Demokratie" und erinnerte an extreme Taten schon vor den Anschlägen in Halle und auf Walter Lübcke: Von 2000 bis 2007 war die Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) aktiv. Zu den 2000ern nannte er Orte wie Rostock, Solingen und Mölln. Auch den Identitären Bewegungen sei eine "gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" gemeinsam.

Identitäre Bewegungen und NSU-Morde

Sell begann seinen Vortrag mit einem Hinweis zu den NSU-Morden und der damit verbundenen Bezeichnung "Dönermorde": "Diese Menschen haben alle Namen." Neben punktuellen Fehlern hätten institutionelle und strukturelle Einstellungen die Aufklärung behindert.

Dazu gehörten laut Sell rassistische Denkmuster bei Ermittlern: verklausulierte Einschätzungen, dass solche Morde nicht von Deutschen begangen sein könnten. Weiter nannte er den Mord an Walter Lübcke: "Da wurde ein normaler Verwaltungsbeamter liquidiert." Das sei eine "Kapitulation des Rechtsstaats".

Menschenfeindlichkeit ist "in den Kern des Bürgertums gerückt"

Bezeichnend sei, dass die Polizei in Halle es nicht für nötig gehalten habe, die Synagoge am höchsten jüdischen Feiertag zu schützen. Stefan Sell führte auch an, dass Haftbefehle gegen 467 Rechtsextremisten nicht vollstreckt werden können, da die Beschuldigten unauffindbar seien.

Der Volkswirtschaftler klärte auch mit Hilfe von Zahlen über die Mechanismen pauschalen Denkens auf. Nur zwei bis drei Prozent der Bevölkerung sympathisierten mit rechtsextremen Einstellungen, aber jeder Fünfte mit dem Rechtspopulismus. Der sei mit gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, etwa Islamfeindlichkeit oder Abwertung Homosexueller "in den Kern des Bürgertums gerückt".

Der Spitzenwert: "50 Prozent werten Langzeitarbeitslose ab." Eine ganze Gruppe werde durch Personalisierung und Moralisierung für strukturelle Probleme auf dem Arbeitsmarkt verantwortlich gemacht, erklärte Sell.

In der Nazizeit habe auch die Sprache als Brandzünder gewirkt, fuhr er fort. Und belegte mit Zitaten, dass diese Sprache auch heute noch genutzt wird. Er zitierte aus dem Buch des AfD-Politikers Björn Höcke, der zur "Säuberung Deutschlands" rät, zu der auch "wohltemperierte Grausamkeit" nötig sei. "Sage diesmal keiner 'wir haben es nicht gewusst'", mahnte Sell.

Neonazi-Aufmarsch in Remagen am 16. November

Vor der Fragerunde rief er dazu auf, sich an der Demonstration gegen den Aufmarsch der Neonazis in Remagen am Samstag, 16. November, zu beteiligen. "Das ist ein Schaulaufen der Rechten."

Die Remagener kontern den Aufmarsch der Neonazis seit Jahren mit einem "Tag der Demokratie", an dem sich etliche Gruppen, Kirche und auch der Rhein-Ahr-Campus beteiligen und das Programm gestalten. Hauptrednerin wird in diesem Jahr Ministerpräsidentin Malu Dreyer sein. Ihre Rede beginnt um 12 Uhr.

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