Dürrenmatt in Oberwinter Späte Rache und spätes Schauspielglück

OBERWINTER · Darsteller im Alter von 34 bis 93 inszenierten in Oberwinter Friedrich Dürrenmatts „Der Besuch der alten Dame“.

 Owi Theater Besuch der alten Dame

Owi Theater Besuch der alten Dame

Foto: Martin Gausmann

Nicht nur der Inhalt des Stücks oder die Darstellung zählten beim Theaterspiel auf der Bühne des Oberwinterer Gemeindehauses. Besonders standen auch die Darsteller im Fokus des Publikums. Nicht nur weil zwei Oberwintererinnen unter den ansonsten Bonner Akteuren dabei waren, sondern vor allem, weil deren Durchschnittsalter bei 68 bis 70 Jahren lag, wie die in Oberwinter wohnende Regisseurin und Projektleiterin Sibylle Drenker-Seredszus anmerkte.

Die rund 20 von 34 bis 93 Jahre alten Mitwirkenden der Amateurschauspielergruppe „Stadt ¼ Theater Pennefeld“ inszenierten Friedrich Dürrenmatts „Der Besuch der alten Dame“. Schnell fanden sich rund 60 Zuschauer im Stück zurecht, das nach Bonn verlegt worden war. „Beethoven wurde hier geboren, Robert Schumann hat hier komponiert. Der Eierlikör wurde hier erfunden “, hieß es da auf der Bühne über die Vergangenheit, aber über die Gegenwart vor allem: „Das WCCB zusammengekracht, die Stadtsparkasse bankrott, die Kammerspiele geschossen. Leben von Hartz IV und von der Tafel. Leben? Vegetieren, krepieren, das ganze Städtchen!“

Zwischen Kottenforst und Krämerladen tat sich zunächst scheinbar Wundersames. Die Einwohner von Güllen witterten Aufwind, als mit Claire Zachanassian (gespielt von Gabriele von Carmen), die einstige Bürgerin Klara Wäscher nach 45 Jahren in die Stadt ihrer Jugend zurückkehrt. Weil sie es zur Milliardärin gebracht hat, erhoffen sich die Güllener wieder Geld, in der von Arbeitslosigkeit und Resignation geprägten, einst prosperierenden und heute völlig verarmten und desolaten Kulturstadt.

Wer die Vorlage kennt, weiß, dass daraus nichts wird. Denn die alte Dame, die zu Besuch kommt, will Vergeltung für das Unrecht, das ihr dort als 17-Jähriger angetan wurde. Sie bietet der Stadt eine Milliarde, um sich Gerechtigkeit zu erkaufen. Die Bedingung: Ihr Jugendfreund Alfred Ill (Norbert Hartmann), nunmehr Lebensmittelhändler und angesehener und angehender Bürgermeister, wird umgebracht, weil er damals sie und das gemeinsame ungeborene Kind verleugnete. Klara will Rache, aber die Bürger sind empört über das unmoralische Angebot. Doch die Zeit und die menschliche Korrumpierbarkeit arbeiten für sie. Sie muss nur warten und beobachtete in Oberwinter rauchend vom Rand aus aus das Treiben bis zum bitteren Erfolg der von ihr initiierten Hetzjagd: Haben die Bürger am Anfang noch frohlockt „Jetzt geht es aufwärts, Gottseidank“, sackte am Ende ein sterbender Ill in sich zusammen: „Oh, mein Gott.“ Dazwischen wurde das Publikum zum Teil Güllens, indem es auf Dirigat des Lehrers (Alois Klein) im Chor sang: „Froh zu sein bedarf es wenig.“ Danach grauste es die Zuschauer mitunter bei aller Komik, und das, was gerade noch zum Lachen war, wurde bald bedrohlich.

Dürrenmatts Tragikomödie haben die Laiendarsteller gekürzt, aber viele skurrile Figuren beibehalten: etwa die Gatten Nummer sieben bis neun der Milliardärin (alle und in vielen Verkleidungen gespielt von Klaus Wysiatyki), den ehemaligen Richter, der zum Butler wird (Albert Brenig), lebende Bäume oder die zwei Kastraten Koby und Loby. Koby wurde dargestellt von der 93-jährigen Irene Fleischer, die außerdem als zweifelhafte Bürgerin mit roter Federboa vor den Zuschauerreihen lang stolzierte. Die Bürgermeisterin mimte zudem Christine Crott, die erst vor drei Jahren das Theaterspielen mit dem ersten und selbstgeschriebenen Stück „ Nachbarn“ der Gruppe für sich entdeckt hat. Weil sie sich mit ihren 79 Jahren nicht den ganzen umfangreichen Text ihrer Rolle zutraute, bekam sie im zweiten Teil eine Stellvertreterin (Petra van Groningen).

„Zu Beginn des Projektes mussten erst einmal Hemmungen abgebaut werden und die ersten Schritte in Richtung Spielfreude angeleitet werden. Erst dann haben wir uns langsam dem Text genähert“, erklärte Drenker-Seredszus. Eine Herausforderung für die späten Schauspieltalente ist der stete Bühnenwechsel bei den Aufführungen. Die Oberwinterer Inszenierung war die dritte von fünf. Dort waren die Treppe auf die Bühne und der geringe Platz hinter respektive neben der Bühne eine Gegebenheit, mit der es im Gemeindehaus umzugehen galt. Für das Publikum lief alles „wie geschmiert“, was auch der große Beifall zum Schluss bewies.⋌

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