Abriss von Winzergaststätte Traditionslokal in Bad Bodendorf muss Wohnungen weichen
Bad Bodendorf · Aus nach 125 Jahren: Die Winzergaststätte an der Hauptstraße in Bad Bodendorf muss Wohnhäusern weichen. Entstehen soll „ein attraktives Mehrfamilienhaus“.
Das einzig Beständige ist der Wandel. Dieser Satz des griechischen Philosophen Heraklit lässt sich in besonderem Maße auf das Gastgewerbe anwenden. Zum Beispiel in Bad Bodendorf, wo die Gastronomie seit Jahjahrzehnten in den Händen der Familien Oberbillig und Cholin sowie der Winzergenossenschaft gelegen hat. Ins ehemalige Gasthaus Oberbillig zog 2007 eine Senioren-Wohngemeinschaft. Auch das Gasthaus Cholin, das Inge und Peter Cholin 1972, im Jahr ihrer Hochzeit, in vierter Generation übernommen hatten, wurde nach seiner Schließung im Jahr 2014 in Wohnraum umgewandelt.
Dasselbe steht jetzt auch dem Nachbargebäude an der Hauptstraße 117 bevor. Ulrike und Wolfgang Wilhelms, die die Traditionsgaststätte im November 2009 übernommen hatten, haben darauf verzichtet, ihre Option auf eine Verlängerung des Pachtvertrags mit dem Eigentümer Ralf Bergmann einzulösen.
Seit 1. Juni ist nun Andreas Ziegler – der geschäftsführende Gesellschafter der Remagener Firmen Zewotherm und Arthomes – Eigentümer der Gaststätte samt Saal, Kelterhaus und Weinkeller. Nach dem Abriss der Immobilie, die in diesem Jahr 125 Jahre alt wird, möchte er dort „ein attraktives Mehrfamilienhaus mit insgesamt neun Wohnungen“ schaffen, wie es auf der Arthomes-Website heißt.
Das Gebäude ist ab 1895 vom Bodendorfer Winzerverein erbaut und im Jahr darauf – vermutlich zur Kirmes – eröffnet worden. Die ersten Wirtsleute, Christian und Katharina Schäfer, stammten aus Geislar, wie Bernhard Knorr, Ehrenvorsitzender des örtlichen Heimat- und Bürgervereins, recherchiert hat. In einem kleinen Raum auf der Südseite der Gastwirtschaft befand sich die Rendantur der Raiffeisenkasse, die Christian Schäfer neben seiner Tätigkeit als Wirt führte.
Sein Sohn Josef („Schäfisch Jö“), Anstreicher von Beruf, fand in seiner Frau Margarete („Schäfisch Jriet“) eine tüchtige Wirtin, die das Haus Mitte der 1930er Jahre übernahm und es durch die Nazi-, Kriegs- und Nachkriegszeit führte. Nachdem ihr Mann im Krieg gefallen war, führte sie die Gaststätte allein, bevor sie Hilfe von ihrer Schwägerin erhielt. Auf alten Fotos ist heute noch die Tankstelle zu sehen, die zu Schäfers Zeiten zur Winzergaststätte gehörte.
1950 übernahm die Familie Pentrop. Clemens Pentrop kam vom Breidenbacher Hof in Düsseldorf und hatte die Kantine des Düsseldorfer Flughafens betrieben. Als die Pentrops fünf Jahre später in das im Bodendorfer Kurviertel neu erbaute Hotel Waldesruh wechselten, trat Josef Klaus ihre Nachfolge an. Neben Bodendorfer Weinen verkaufte er – damals ein Novum – in der Winzergaststätte auch Flaschenbier.
Im Jahr 1961 übernahm Peter Mosell den Betrieb und führte ihn mit seinen Fähigkeiten als Koch in eine Blütezeit. Der Winzerverein als Eigentümer und Verpächter löste sich allerdings 1968 auf, nachdem seine Mitglieder im Jahr zuvor letztmals Trauben gelesen und gekeltert hatten. Die Winzergenossenschaft Dernau übernahm das Anwesen, verkaufte es dann aber später an die Volksbank weiter.
Josef Kochems wurde Pächter-Nachfolger von Pächter Mosell, der im Jahr 1968 hauptamtlich die Volksbank-Zweigstelle nebenan übernommen hatte. Von 1979 bis 1995 führte Egon Bläser die Winzergaststätte, die von den Einheimischen zu seiner Zeit einfach „beim Ejon“ genannt wurde. Im Jahr 1995 verkaufte Bläser das Anwesen, das er während seiner Zeit als Gaststättenbetreiber gekauft hatte, an den Inhaber einer Getränkefirma.
Danach wurde die Winzergaststätte zwei Jahre lang von Knut und Brigitte Kolk geführt, bevor Fred und Edith Twisterling im Jahr 1997 Pächter wurden. 2001 übernahmen der aus England stammende Koch Paul Cocker und der Restaurantfachmann Achim Busenthür. Als Cocker die Gaststätte drei Jahre später verließ, wurde sie noch gut ein Jahr lang von seinem ehemaligen Kompagnon weitergeführt.
Zum 7. Januar 2006 übernahmen die aus Polen stammende Marta und der aus er aus der Nähe von Prag kommende Martin Trnka das Haus, um es unter dem Namen Winzer-Gaststätte Goldenes Prag weiter zu führen. Die Küche war das Reich von Meisterkoch Ratislav Pastrnak, der zuvor im ältesten Prager Bierhaus Zum Hl. Thomas tätig gewesen war. Er sorgte dafür, dass böhmische Spezialitäten wie Srichova na smetane (Rinderbraten mit Rahmsoße, Preiselbeeren, Sahnehäubchen und Semmelknödeln) mit auf die Speisenkarte genommen wurden. Und neben dem Krombacher gab‘s bei den Trnkas Budweiser Bier. Die im Lokal angebotenen Weine stammten aus Mähren. Als Spirituosen waren Slibowitz (Pflaumenbrand) und Trnkovice (Schlehengeist) im Angebot.
Zwei Jahre später ging die Hoheit über Zapfhahn und Kochlöffel in der Gaststätte an Irina und Alexander Hermann über. Die beiden – er gelernter Metzger und Koch, sie Fleischfachverkäuferin – stammten aus Kirgisien und Kasachstan. Die Ära des Paares, das die Gaststättenküche auch für ihren Partyservice nutzen wollte, währte allerdings nur ein Jahr. Damit endet die Geschichte auch dieses Lokals. Die Gründe für die Schließung der Winzergaststätte und der übrigen Traditionsgaststätten seien, so Unternehmer Andreas Ziegler, fast immer die gleichen: Beträchtlicher Modernisierungsbedarf und Mangel an Pächtern wie Personal stünden einer starken Nachfrage an hochwertigem Wohnraum gegenüber.