Pilotprojekt an der BBS Bad Neuenahr Graffiti-Workshop: Kritik durch Kunst
Bad Neuenahr · Schüler sprühen politische Forderungen auf Leinwände und präsentieren sie Bildungsministerin Stefanie Hubig. Was mit dem neuen Bildungsprojekt des Landes Rheinland-Pfalz erreicht werden soll.
Sie sorgen sich um ihr mentale Gesundheit, haben Angst vor Armut und Inflation und beklagen die teils prekären Zustände in ihren Ausbildungsbetrieben: Schülerinnen und Schüler der berufsbildenden Schule (BBS) Bad Neuenahr haben bei einem Graffiti-Workshop ihre Sorgen und politischen Forderungen auf die Leinwand gebracht, um sie anschließend Bildungsministerin Stefanie Hubig, Hendrik Hering, Präsident des rheinland-pfälzischen Landtags und Ahrweilers Kreisbeigeordneten Friedhelm Münch vorzustellen.
„Ich habe im Vorhinein keine Erwartungen an die Schüler“, erklärt Graffiti-Künstler Kai Niederhausen, der den Workshop mit den Jugendlichen und Erwachsenen an der BBS leitet. Es gehe darum, dass die Teilnehmenden sich frei ausdrücken – thematisch und künstlerisch gleichermaßen.
Workshop ist eines von 36 Angeboten
Der Workshop ist nur eines von insgesamt 36 Angeboten des Landes Rheinland-Pfalz an der Berufsschule. In drei Projekttagen soll es darum gehen, Lernende für politische Themen zu begeistern – ihnen Demokratie näherzubringen und ihre Meinung zu stärken. „Der Landtag Rheinland-Pfalz schließt mit dem neuen Berufsschulprogramm eine Lücke in der politischen Bildungsarbeit“, sagt Hering.
Studien zeigten, dass Lernende an berufsbildenenden Schulen im Vergleich zu Gymnasiasten die Demokratie kritischer sähen, sich von der Politik weniger vertreten fühlten und sich seltener als politisch wirksam erlebten. „Dem wollen wir mit unserem Programm entgegenwirken“, so Hering.
Positive Resonanz auf das Projekt
Mit den Angeboten werden laut Oliver Zimon, dem Leiter des Projekts aus dem Landtag, in drei Tagen rund 800 Schülerinnen und Schüler erreicht. „Es gibt eine durchweg positive Resonanz auf das Projekt“, teilt Schulleiter Klaus Müller mit. Die Workshops seien innerhalb kürzester Zeit ausgebucht gewesen. „Das heute ist natürlich das Highlight“, so Müller – und meint damit den Graffiti-Workshop am Donnerstagmorgen.
Um acht Uhr treffen die rund 30 Teilnehmenden mit Zimon und Niederhausen, dessen Künstlername „Semor“ ist. Gemeinsam werden Themen gesammelt: Finanzielle Lage, Rente, Leistungsdruck, Tabaksteuer, Verbotspolitik, Pflegekräfte, psychische Gesundheit und Bildungssystem – kleben nach kurzer Zeit auf roten Zettel an der Eingangstür zum Kunstraum.
Mit weißen Kitteln und Schutzmasken
In Kleingruppen zusammengeschlossen, mit weißen Kitteln und Schutzmasken ausgestattet, sprühen die Teilnehmenden ihre Themen auf die Leinwand. „Wir sind alle Altenpfleger“, sagt Gerrit (39), der mit Janice (21), Paul (16) und Paniz (17) in einer Gruppe ist. Da das Projekt einen geschützten Rahmen bieten soll, werden die Teilnehmenden nur mit Vornamen genannt.
Gerrit und die anderen sprühen einen großen schwarzen Smiley. Er schaut halb freundlich, halb traurig: Denn ihr Beruf mache ihnen zwar Spaß, aber die Bedingungen in der Pflege – Personalmangel und ein hoher Betreuungsschlüssel – machten ihnen den Arbeitsalltag sehr schwer. Für die Augen des Gesichts haben sie etwas zu viel Farbe verwendet. Diese läuft über das Bild herunter und es sieht aus, als würde der Smiley weinen.
Ziel: Diversität abbilden und Demokratie stärken
Einige der Teilnehmenden haben laut Niederhausen bereits Erfahrung mit der Sprühdose – etwa die Hälfte der Gruppe: „Man sieht hier alles vom Grobmotoriker bis zum Künstler.“ Doch das eine sei nicht besser als das andere, betont er. „Ich arbeite mit Fehlern. Das sind Dinge, die etwas auslösen, um danach einen Schritt weiterzugehen.“ Der Graffiti-Sprüher zeigt auf eine Schülerin, die künstlerisch sehr begabt scheint und mit viel Geduld sogenannte Highlights – weiße Akzente – sprüht.
„Ich mache derzeit die Ausbildung zur Erzieherin“, stellt sich Shayla vor. Auf ihrem Bild ist ein großer Peace-Schriftzug zu sehen. Dahinter ein Farbverlauf von Türkis zu Blau. Neben ihr malen ein angehender Maurer und ein künftiger Straßenbauer. „Wir repräsentieren in diesem Projekt die Diversität unserer Schule“, erklärt Pascal Kleve, Studiendirektor der BBS. Müller bestätigt das und ergänzt: „Es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Endlich wieder ein normales schulisches Projekt, das nicht direkt etwas mit der Flut zu tun hat.“ Beide hoffen, dass das Angebot in den kommenden Jahren fortgeführt wird.
Politisches Bildungsangebot
2024 soll das politische Bildungsangebot in den Regelbetrieb übergehen. „Denn unser Land braucht heute mehr denn je junge Menschen, die für Demokratie und für Europa brennen“, begründet Hubig. Die Bildungsministerin sieht Handlungsbedarf. Nach der Vorstellung der Graffiti-Kunstwerke sagt sie: „Was mich am meisten bewegt, ist, dass die Grundlage, um gut zu Lernen nicht mehr richtig funktioniert.“
Die Vorträge der Schüler hätten gezeigt, wie besorgt sie sind und wie viele Herausforderungen sie bewältigen müssen. Auch der Kreisbeigeordnete Münch gesteht den Teilnehmenden am Ende des Workshops: „Ich bin tief beeindruckt von euch. Die Probleme, die ihr heute habt, die hatten wir damals nicht.“