Kita-Plätze in der Region Ausbau der Betreuung für Unter-Dreijährige oft nicht ausreichend
Bonn · Knapp zehn Monate vor Eintritt des Rechtsanspruchs auf Betreuung für ein- oder zweijährige Kinder fehlen weiter Plätze in Kitas und bei Tagesmüttern- und -vätern. Viele Kommunen in der Region rechnen nicht damit, die Nachfrage der Eltern decken zu können. Das ergab eine aktuelle Umfrage des General-Anzeigers. Viele Kommunen klagen vor allem über einen Mangel an Fachpersonal für die Kindertagesstätten.
"Komm zu uns!", brüllen knapp 30 Troisdorfer Kindergartenkinder zwischen Klettergerüst und Sandkasten. Die netten jungen Erzieherinnen winken im Hintergrund freundlich in die Kamera. Sie suchen Kolleginnen und Kollegen. Und zwar dringend. Ein knappes Jahr vor der Einführung des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz für Kinder im Alter unter drei Jahren (U3) läuft der Ausbau der Betreuung in der Region auf Hochtouren.
Erzieherinnen und Erzieher sind mittlerweile so gefragt, dass die Stadt Troisdorf sich zu einem ungewöhnlichen Schritt entschieden hat: Mit einem Werbevideo auf der Internetplattform "Youtube" will die Kommune die gefragten Fachkräfte locken. "Wir haben in den vergangenen Monaten 30 Kita-Stellen besetzt und suchen derzeit sieben weitere Erzieher", sagt Pressesprecherin Bettina Plugge. Mit dem Fachkräftemangel sind die Troisdorfer nicht allein. Zahlreiche Kommunen in der Region suchen dringend Erzieher, sehen den Personalengpass als ernsthaftes Hindernis für den U3-Ausbau. "Es bestehen erhebliche Probleme, qualifiziertes Fachpersonal zu finden", so die Stadt Meckenheim. Für die Stadt Bornheim bedeutet die Suche nach Erziehern ein "wachsendes Problem".
Dabei rückt der Stichtag näher: Ab dem 1. August 2013 müssen Kommunen Eltern einen Betreuungsplatz für Ein- und Zweijährige anbieten. Sonst können die Eltern die Kommunen verklagen. Viele Kommunen räumen schon jetzt ein, dass sie bis zum kommenden Jahr die Nachfrage nicht decken können. "Wir können wie fast alle Städte und Gemeinden das Ziel in der vorgegebenen Zeit nicht erreichen", heißt es aus Bonn. Die Stadt will bis August 2013 für 35 Prozent der Unter-Dreijährigen Betreuungsplätze anbieten. Gleichzeitig räumt die Verwaltung ein, "dass der Bedarf in Bonn und anderswo weit über diesem Wert liegt". Bonn geht langfristig von bis zu 70 Prozent der Kinder unter drei Jahren aus, für die Eltern einen Kita-Platz benötigen. Der Stadtrat habe deshalb beschlossen, bis 2018 für jedes zweite
Youtube-Video der Stadt Troisdorf:
U3-Kind einen Platz zu schaffen, so die Pressestelle. "Dafür müssen ab 2013 noch weitere 770 Plätze geschaffen werden", heißt es bei der Stadt. In Troisdorf gibt man sich dagegen trotz des Erziehermangels optimistisch: "Es wird davon ausgegangen, dass der Bedarf der Eltern entweder in Kitas oder in der Tagespflege gedeckt werden kann", teilt die Stadt mit. Troisdorf liegt allerdings mit seiner Bedarfsschätzung am unteren Ende der Kommunen in der Region. Hier soll für 32 Prozent der Kinder ein U3-Platz angeboten werden.
Im benachbarten Sankt Augustin erwartet man dagegen, dass 39 Prozent der Eltern einen U3-Platz für ihr Kind einfordern. Ein Kraftakt für die Kommune: Noch liegt die Versorgungsquote bei knapp 27 Prozent. Auf 33 Prozent will die Stadt bis August 2013 kommen. Weit vorne liegt Siegburg. Bereits zum ersten Januar erreicht die Stadt nach eigenen Angaben eine Versorgung von 40 Prozent der Unter-Dreijährigen Kinder. Andere Städte wie Meckenheim oder Bad Honnef gaben auf GA-Anfrage an, die Nachfrage der Eltern im kommenden Jahr sei für sie schlicht nicht einschätzbar.
In der Tat: Wie viele Eltern für ihre Kleinkinder wirklich ab August 2013 einen Betreuungsplatz einfordern, ist für die Verwaltungen schwer vorauszusagen. So reichen die Einschätzungen in der Region von einer Betreuung für 32 Prozent der Unter-Dreijährigen in Troisdorf bis zu 43 Prozent in Bornheim. Viele Kommunen orientieren sich an dem Wert von 32 Prozent aller Kinder unter drei Jahren an einem Ort, den ein Forschungsinstitut bereits 2007 als Landesdurchschnitt ermittelt hat. Experten gehen davon aus, dass Eltern in Städten für mehr als jedes dritte Kind unter drei Jahren einen Kita-Platz suchen. Hier arbeiten häufig beide Elternteile. Auf dem Land dürfte die Nachfrage geringer sein, heißt es.
Dazu kommt die Ungewissheit, wie politische Entscheidungen die Planung der Eltern im kommenden Jahr beeinflussen. "Es ist nicht abzusehen, in welcher Weise sich das geplante Betreuungsgeld auswirken wird", heißt es etwa in Meckenheim. Die sogenannte Herdprämie könne einige Eltern davon abhalten, ihr Kind im zweiten Lebensjahr in der Kita anzumelden, mutmaßt die dortige Stadtverwaltung.
Kritisch sehen viele Experten den Trend, Standards für die Betreuung zu senken, um möglichst schnell möglichst viele Plätze zu schaffen. Die Landesjugendämter prüfen neben größeren Gruppen auch eine provisorische Unterbringung von den Kleinsten. In vielen Kindergärten fehlen bisher etwa Ruhe- und Wickelräume, die für U3-Kinder notwendig sind.
Die Stadt Bornheim prüft etwa nach eigenen Angaben "ob in vorhandenen Gruppen die Zahl der Betreuungsplätze erhöht werden kann, sofern dies aufgrund der Raumkapazität möglich ist". Dazu will die Stadt allerdings zusätzliche Erzieher einstellen. Auch in Bonn will man "vielleicht in Einzelfällen" die Gruppen vergrößern, "wenn gleichzeitig mehr Personal zur Verfügung steht". Bornheim fordert mehr Geld vom Land für eine bessere fachliche Begleitung, "damit der U3-Ausbau nicht langfristig zum Qualitätsabbau führt".
Die meisten Kommunen versuchen, über die Vermittlung von Tagesmüttern und -vätern den Nachfragedruck auf die Kitas abzumildern. Für die Kommunen sind solche Plätze in der Regel deutlich billiger als eine Kita-Betreuung. Die Tagesmutter arbeitet im eigenen Haushalt, kein Kita-Träger braucht Räume bereitzustellen. In Sankt Augustin etwa sieht die Stadtverwaltung "wachsende Nachfrage bei den Eltern". Deshalb habe man eine weitere Mitarbeiterin für die Vermittlung und Verwaltung der Tagespflege eingestellt.
Die Tagespflege nutzen fast ausschließlich Kinder unter drei Jahren. Vor allem die Älteren trifft dagegen eine Folge des U3-Ausbaus. Für U3-Gruppen sind mehr Erzieher pro Kind vorgeschrieben als bei der Betreuung von Dreijährigen und Älteren. Werden Plätze umgewandelt, fallen daher ohne Neueinstellungen proportional mehr Plätze für größere Kinder weg. "Es müssten mehr Neubauten mit Plätzen für alle Altersgruppen entstehen", kritisiert die Stadt Sankt Augustin die an U3 gekoppelte Finanzierung durch das Land. Bonn und der Rhein-Sieg-Kreis sind Zuzugsregionen mit vielen jungen Familien. Während bundesweit einige Prognosen davon ausgehen, dass die Zahl der Kinder sinkt, brauchen die Kommunen in der Region weiterhin auch ausreichend Plätze für Kinder über drei Jahren.
Insgesamt lag Nordrhein-Westfalen nach einer im "Spiegel" vorab veröffentlichten Studie des Deutschen Jugendinstituts im vergangenen Jahr im Bundesvergleich beim Kita-Ausbau weit zurück. 17,8 Prozent der Interessenten für einen Platz für Kleinkinder gingen hier leer aus. Schlimmer war die Lage nur in Bremen, hier fanden 21,8 Prozent der Familien keinen Platz.