Landgericht Aachen "Brummi-Andi" wegen 72 Straftaten vor Gericht

Aachen · Der als „Crash-Kid“ und "Brummi-Andi" bekannt gewordene Mann aus Monheim beschäftigt wegen 72 ihm vorgeworfener Straftaten das Landgericht Aachen.

 Aachen: Der unter anderem wegen der Zwangsprostitution von Frauen und Fahren ohne Fahrerlaubnis in 72 Fällen Angeklagte sitzt vor Beginn der Verhandlung im Landgericht neben seinem Anwalt Marcus Hertel.

Aachen: Der unter anderem wegen der Zwangsprostitution von Frauen und Fahren ohne Fahrerlaubnis in 72 Fällen Angeklagte sitzt vor Beginn der Verhandlung im Landgericht neben seinem Anwalt Marcus Hertel.

Foto: dpa

Andreas B. war ein 14 Jahre alter Junge, als er im März 2000 in den Niederlanden mit einem gestohlenen Sattelschlepper eine Absperrung durchbrach und einen Polizisten überrollte. Der 35-jährige Vater zweier Kinder starb. Und der schmächtige Junge aus Monheim, der als „jüngstes Crash-Kid der Republik“ und „Brummi-Andi“ schon oft in die Schlagzeilen gelangt war, kam nach etlichen Heimaufenthalten erstmals ins Gefängnis. Inzwischen ist das Crash-Kid ein 33 Jahre alter Mann, der sagt: „Ich war mehr als zehn Jahre im Knast.

Die restliche Zeit hab ich meistens zugeknallt auf diesem Planeten verbracht.“ Es ist die Antwort auf die Frage des Vorsitzenden Richters, wie Andreas B. sein bisheriges Leben sieht. Seit Donnerstag sitzt B. wieder einmal auf der Anklagebank. Er muss sich vor der 7. Großen Strafkammer des Landgerichts Aachen wegen insgesamt 72 Straftaten verantworten. Es geht um Zuhälterei, Zwangsprostitution, Körperverletzung, Drogenhandel, Brandstiftung, Unfallflucht – und etliche Fälle von Fahrens ohne Fahrerlaubnis.

Er soll versucht haben, zwei junge Frauen als Prostituierte auszubeuten. Laut Staatsanwaltschaft bedrohte er die Frauen immer wieder nachdrücklich, verletzte eine auch schwer. Zu einer 17-Jährigen soll er gesagt haben: „Ich pass auf dich auf. Weil du noch minderjährig bist, vermittele ich dich nur an ausgewählte Kunden.“

Alkoholkranke Mutter

Eine junge Mutter soll er derart eingeschüchtert haben, dass sie sich 21 Mal mit Freiern traf. B. ließ sich sämtliches Geld von ihr geben, drohte damit, ihrem Sohn „den Kopf abzuschneiden“, ihre „Sippschaft“ werde in einem Säurefass enden. In Whats-App-Sprachnachrichten soll er sie unter anderem mit „Du wirst auf allen Vieren zu mir kriechen“ eingeschüchtert haben, damit sie weiter für ihn anschaffen geht.

Am ersten Prozesstag erzählt Andreas B. dem Gericht die Geschichte seines bisherigen Lebens. Er wirkt selbstsicher, ist eloquent, nicht selbstmitleidig. Etwas wie Verantwortungsgefühl blitzt aber nur selten durch, etwa wenn er über seine kleinen Töchter spricht, zu denen er schon lange keinen Kontakt mehr hat. „Ich wollte, dass ein bisschen Ruhe reinkommt“, sagt er. Deshalb habe er zurzeit keinen Kontakt zu seiner Ex-Frau und den Kindern.

Als Scheidungskind ging er in der Grundschule zum Vater, die Mutter war alkoholkrank, wie er sagt. Der Vater war aber als Lkw-Fahrer immer unterwegs, „der kam sonntags zum Duschen und Schlafen“, sagt B. Mit elf Jahren fing er an, Fahrräder und Mopeds zu stehlen. Vom Vater habe er sich bald „verraten und verkauft“ gefühlt, weil der nicht zu ihm gehalten habe. „Ich bin bestimmt 100 Mal von zu Hause weggelaufen.“

Etwa elf Jahre sei er gewesen, als er das erste Mal einen Lastwagen fuhr. Das Reden mit seinem Vater über Autos sei „der einzige Kanal gewesen, über den wir beide kommuniziert haben.“ B. war zu diesem Zeitpunkt schon in mehreren Heimen, haute ab, lebte auf der Straße, kam wieder nach Hause. „Ich wollte zu meiner Mutter, aber die sagte, das ginge erst, wenn ich bei meinem Vater so richtig Scheiße baue“, sagt B. Also habe er seinem Vater den Lkw geklaut für eine Spritztour. Der gab das Sorgerecht freiwillig ab. B. kiffte mit der Mutter – und fuhr immer wieder mit gestohlenen Lastwagen durch die Gegend. 1999 schickte das Jugendamt den 13-Jährigen nach La Gomera, eine „erlebnispädagogische Maßnahme“. Der Junge klaute das Auto einer Betreuerin und wollte damit nach Teneriffa abhauen.

Urteil im November

An der Fähre schnappten Polizisten ihn. „Ich habe dann ein kleines Boot im Hafen geklaut, bin zwei oder drei Wochen auf Teneriffa untergetaucht.“ Sein Vater habe sich auf die Suche nach ihm gemacht – mitsamt einem Kamerateam eines Privatsenders, das ihm dafür Tausende Euro bezahlt habe. Andreas B. war da längst als „Brummi Andi“ bekannt. Zurück in Deutschland klaute B. das nächste Auto und fuhr mit einem Kumpel nach Frankreich. Die Polizei habe sie an einer Raststätte in Frankreich festhalten wollen. B. setzte sich in das Auto einer Frau, die den Schlüssel während des Bezahlens hatte stecken lassen. Der 13-Jährige fuhr zurück nach Deutschland, zur Mutter nach Düsseldorf.

Mit einem anderen Kumpel nahm B. wenige Monate später das Auto dessen Vaters, es ging nach Holland auf einen Campingplatz. „Das Auto stand im Halteverbot und wurde abgeschleppt“, sagt er. B. nahm sich den nächsten Lastwagen – und verursachte damit den tödlichen Unfall. Vier Jahre sollte der gerade erst strafmündige Junge dafür ins Gefängnis, es wurden sieben Jahre, nachdem er wegen Vergewaltigung eines Mithäftlings schuldig gesprochen wurde.

2016 wurde er zuletzt aus der Haft entlassen, seit Anfang Februar ist er wieder im Gefängnis. Wie eine Zukunft aussehen kann, will der Vorsitzende Richter wissen. B. schweigt. Dann sagt er: „Ich bin ziemlich runtergerockt. Wenn ich träumen darf, dann wäre mein Wunsch, dass ich ein guter Vater sein kann.“ Ein Urteil soll im November verkündet werden.

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