Kriegsende im Rheinland Das Grauen an der Goldenen Meile

REGION · Vor den Ruinen des Universitäts-Hauptgebäudes entsteht 1945 ein Entlassungs-Lager für Kriegsgefangene. Viele sind zuvor am Rhein zwischen Remagen und Sinzig interniert gewesen, wo katastrophale Verhältnisse herrschten.

Mehr als elf Millionen deutsche Soldaten gerieten bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs in Gefangenschaft. Davon befanden sich 7,7 Millionen in der Hand der Westmächte, 3,3 Millionen verschlug es in die Sowjetunion.

Zuvor waren allein rund fünf Millionen sowjetische Soldaten in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten. Kein Wunder also, dass das Schicksal der Gefangenen die Angehörigen aus allen kriegsbeteiligten Ländern noch lange Zeit beschäftigte.

Das verdeutlicht nicht nur der Erfolg des berühmten Sechsteilers "So weit die Füße tragen", der 1959 zum ersten "Straßenfeger" der deutschen Fernsehgeschichte wurde. Doch nicht nur um die Angehörigen in den Bleibergwerken Sibiriens wurde nach Kriegsende gebangt und auf Heimkehr gehofft.

Assoziationen mit der Bonner Region liefert das Rheinwiesenlager an der "Goldenen Meile" zwischen Remagen und Sinzig. Dass die Bonner Hofgartenwiese einst ein Durchgangslager war, ist hingegen weniger bekannt.

Zum "verminten Gelände" wird das Rheinwiesenlager auch sieben Jahrzehnte nach seiner Existenz alljährlich immer dann, wenn Neonazis das frühere Lager nahe Remagen als Resonanzraum für ihr Geschichtsbild nutzen.

Meist kommt es zu Gegendemonstrationen, und im Hintergrund entbrennen heftige Debatten. Über die historische Gesamteinordnung etwa, oder die genaue Dimension des Schreckens - über den als durchaus Konsens besteht. Denn "Lager" bezeichnet in diesem Fall einen von Stacheldraht umzäunten Acker, sonst nichts.

Als verlässlich gilt gemeinhin die Zahl von bis zu 300.000 zwischen April und Juli 1945 dort internierten deutschen Soldaten. Unstrittig ist auch, dass auf dem nahen Soldatenfriedhof am Rande von Bad Bodendorf mehr als 1000 Todesopfer des berüchtigten Lagers ihre letzte Ruhestätte fanden. Ansonsten sprechen neben Augenzeugenberichten vor allem die wenigen erhaltenen Bilder für sich.

Wie in weiteren fünf provisorischen amerikanischen Lagern am Rhein war auch die "Goldene Meile" notorisch überfüllt. Das größte Problem aber war das Fehlen von Baracken oder Zelten und ausreichender Nahrung.

Die Gefangenen hausten in Erdlöchern, die sich bestenfalls mit Planen abdecken ließen, viele campierten unter freiem Himmel oder gruben sich zum Schutz gegen Kälte und Wind notdürftig im Erdreich ein, wobei die Löcher bei jedem Regenguss voll Wasser liefen.

Die hygienischen Verhältnisse waren katastrophal. Krankheiten wie die Ruhr breiteten sich aus und führten zum Tod. Und wer zu fliehen versuchte, auf den wurde geschossen. Die Bewohner der Umgebung sahen das Elend hilflos mit an.

Waren womöglich Verwandte unter den Männern? Nur hier und da gelang es unter größter Gefahr, eine Botschaft oder sogar ein Stück Brot über den Zaun zu werfen.

An die Opfer erinnern heute die Kapelle Schwarze Madonna in Remagen, ein Gedenkstein in Sinzig, die Kriegsgräberstätte Bad Bodendorf sowie ein Raum im Friedensmuseum Brücke von Remagen. Ein Teil des früheren Lagers dient heute als Campingplatz.

Weitaus weniger dramatisch als 20 Kilometer flussaufwärts gestaltete sich die Lage in der Bonner Innenstadt. Auf der Hofgartenwiese hatten die Besatzungsmächte im Mai 1945 ein Durchgangs- und Entlassungslager für vorwiegend deutsche Kriegsgefangene eingerichtet. Bis Dezember führte für mehr als 100.000 Gefangene der Weg in die Freiheit über die Hofgartenwiese.

Im Frühjahr 1946 ebbte der Strom ab, bis zur Auflösung des Lagers im Mai 1947 wurden vor dem zerbombten Hauptgebäude der Universität insgesamt rund 146.000 Personen durchgeschleust.

Dabei ging es durchaus international zu: Zwischen den deutschen befanden sich auch italienische, französische und russische Kriegsgefangene, die vor ihrem Eintritt in die Freiheit ebenfalls registriert wurden.

Gerade Russen und Polen, bei denen zunächst nicht klar war, was ihnen in ihrer Heimat blühte, wurden erst einmal als Arbeitskräfte in der Landwirtschaft eingesetzt. Als Unterkunft für sie dienten ein Jugendheim an der Nordstraße, Baracken an der Kölnstraße und verschiedene Bunker.

Bei manch einem, der im Hofgarten entlassen wurde, handelte es sich um einen Bonner. Bis Ende 1946 kehrten etwa 7500 Bonner Kriegsgefangene zurück in ihre Vaterstadt, hinzu kamen 1400 Männer aus ehemaligen deutschen Ostgebieten, die nach ihrer Entlassung einfach hier blieben.

Später erinnerte sich die Zeitzeugin Ingeborg Hüttenbach daran, wie in den Jahren 1945 und 1946 beinahe täglich Frauen aus Bonn und der Region an der Hofgartenwiese standen und darauf hofften, ihre Männer, Väter, Söhne oder Brüder in Empfang nehmen zu können.

Viele warteten vergeblich. Andere wurden bei ihrer Ankunft sofort erkannt: So erfuhren etwa die Eltern von Anton Linnarz bereits von der anstehenden Heimkehr ihres Sohnes, bevor es so weit war: Bonn ist klein, und eine Freundin seiner Schwester hatte Anton schon auf einem der Lastwagen entdeckt, die regelmäßig vom Rheinwiesenlager nach Bonn fuhren.

Mit den Entlassungspapieren trat Linnarz den Heimweg an: "Als ich nach Hause kam, war die Freude groß. Alle waren über mein Aussehen entsetzt, aber meine Familie hat mich wieder aufgepäppelt", berichtete er später.

Bis zum 12. November 1947 musste der Beueler Johannes Bücher auf seine Freilassung warten. Aus amerikanischer Gefangenschaft in Frankreich hatte er am 10. Juni 1945 nach Hause geschrieben: "Liebe Eltern, seit dem 13.4.1945 bin ich in amerikanischer Gefangenschaft. Es geht mir gut, auch in gesundheitlicher Hinsicht. Guten Appetit habe ich ebenso. Benachrichtigt bitte Anni und auch das Amt, wo ich bin. Lasst euch alles Gute wünschen so wie ich mir eine baldige Heimkehr erhoffe und seid mit allen Verwandten und Bekannten gegrüßt von eurem Johannes."

Zunächst aber wurde er in französische Gefangenschaft übergeben, aus der er am 26. Juli 1945 schrieb: "Liebe Anni, liebe Kinder! Aus französischer Kriegsgefangenschaft sende ich euch herzlichste Grüße (...) Mit besonderer Sehnsucht brenne ich darauf, einmal etwas von euch zu erfahren."

Zu Weihnachten schrieb seine Frau mit den beiden Kindern zurück: "Nun warst du schon über ein Jahr nicht mehr hier. Auf den Knien habe ich gestern Abend das Kindlein in der Krippe gebeten, dass es dir doch endlich die Heimkehr schenken möge." Erst 1947 erfüllte sich die Hoffnung. Bücher wurde später Sozialdezernent und Heimatautor, ein Teil der Beueler Rheinpromenade trägt später seinen Namen.

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