Den Professor zieht es in den Untergrund

Erdwissenschaftler Manfred Bonatz betreibt in seinem Haus in Odendorf seit elf Jahren ein Geo-Observatorium - Beobachtungsstation liefert ständig Daten über Gezeiten und Beben weltweit

Den Professor zieht es in den Untergrund
Foto: Henry

Swisttal-Odendorf. Adgang forbudt. So steht es ist dicken roten Lettern auf der hölzernen Tür. Das ist norwegisch und heißt "Zugang verboten". Manfred Bonatz hat das Warnschild aus Spitzbergen mitgebracht. In den Tiefen eines Steinkohlestollens fand er es einst. 1970 war das, als der Geowissenschaftler aus dem Rheinland im hohen Norden monatelang das Innenleben der Erde erforschte.

"Adgang forbudt" ist mehr als nur Souvenir. Auch im Keller von Bonsatz´ Haus macht das Schild Sinn. Denn hinter der Holztür befindet sich das Herzstück des Geo-Observatoriums Odendorf: eine hochempfindliche Messstation, die ständig Daten über die Anziehungskraft von Sonne und Mond liefert. Auch über Erdbeben, weltweit.

"Das ist meine extremistische Zelle", berichtet der emeritierte Professor und sperrt die Holztür auf. "Natürlich im wissenschaftlichen, nicht im politischen Sinne." Die Decke in der Messkammer hängt tief, unten kommt der nackte Lössboden zum Vorschein. Hypersensible Sonden, teilweise von dem Professor für Geodynamik selbst entwickelt, ragen mehrere Meter in den Boden.

Sie registrieren Hebungen, Senkungen und Neigungen der oberen Erdschicht, die ständig unter Spannung steht und mal mehr, mal weniger in Bewegung ist. Aufgezeichnet wird in einer Größenordnung, die sich am Rande des überhaupt Messbaren bewegt. Bonatz spricht von "Millionstel Millimetern".

Er kniet sich vorsichtig auf den Boden und kontrolliert eine seiner "Federwaagen". Ende 2004, bei der Tsunami-Katastrophe in Südostasien, habe er in einer Nacht fünf Stunden lang in der Messkammer verbracht, um seine heftig anschlagenden Geräte vor Beschädigungen zu bewahren. "Da war hier der Teufel los."

Die Beobachtungsstation hat Bonatz 1997 in Betrieb genommen, als "Experimentelle Außenstelle des Instituts für Theoretische Geodäsie der Universität Bonn", wie es offiziell heißt. Geodäsie, das ist die Wissenschaft von der Vermessung und Darstellung der Erdoberfläche.

Um die Erdbewegungen richtig einordnen zu können, ist die Beobachtung der Erdgezeiten von Bedeutung. Zumal sich die Erde unter dem Einfluss der Anziehungskräfte von Sonne und Mond ständig verformt. So hebt und senkt sich die Erdoberfläche im Laufe eines Tages; in der Region beträgt diese Spanne laut Bonatz bezogen auf den Erdmittelpunkt maximal einen halben Meter.

"Das, was wir hier machen", berichtet der 76-Jährige, "gehört zu der Vielzahl von Forschungen auf dem Weg, Beben vorherzusagen." Bislang gibt es noch keine wissenschaftlich abgesicherte Methode, Zeit, Ort und Stärke eines Erdbebens exakt zu prognostizieren. Diese zu finden, sei äußerst schwierig, sagt Bonatz, der immer noch an der Universität Bonn lehrt.

Wohl kann aber die Wahrscheinlichkeit des Auftreten eines Erdbebens in einer bestimmten Region eingeschätzt werden, etwa durch ungewöhnliche Neigungen des Erde oder auch die elektromagnetischen Eigenschaften des Gesteins.

Geboren in Siegburg, besuchte Manfred Bonatz das Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasium in Bonn. Inspiriert von einem "tollen Physiklehrer", kam er in der Nachkriegszeit zur Geodäsie und zur Gravimetrie, die Wissenschaft von der Messung der Schwerkraft. Seine Forschungen führten den Wissenschaftler von Brasilien bis nach Russland, von Skandinavien bis in die Antarktis.

Doch seine Heimat blieb immer das Rheinland. Vor gut 25 Jahren zog Bonatz nach Odendorf, mitten in ein Gebiet, das "tektonisch und geodynamisch interessant ist". In der niederrheinischen Bucht, an deren südlichem Rand Swisttal liegt, ist die Erde zerklüftet, mit Brüchen und Verwerfungen durchsetzt.

In den vergangenen Jahrhunderten häuften sich hier kleinere Beben. Als eines der stärksten gilt das vom April 1992 im holländischen Roermond, aber auch zwei Beben 1950/51 in Euskirchen erreichten eine ähnliche Intensität. Das Epizentrum lag jeweils im Billiger Wald, nur zehn Kilometer vom Geo-Observatorium entfernt.

Nur wenige hundert Meter von Bonatz´ Haustür liegt der Rövenicher Sprung, den er selbst genau lokalisierte. "Er lag woanders, als bislang angenommen." Wo im Untergrund Erdschollen aufeinandertreffen, kann es zu Reibungen kommen.

Wenn sich die Blöcke über Jahrtausende absenken, miteinander verkanten und schließlich ruckartig Spannung freigesetzt wird, rumort es: Ein Erdbeben entsteht. So ist die Frage nach Sprüngen besonders dann von Bedeutung, wenn an solch einem Standort beispielsweise ein Kraftwerk gebaut werden soll.

Weitere Verwerfungen liegen weiter in Richtung Bonn, hinter Miel und bei Buschhoven, laut Bonatz ungefähr an den Stellen, wo die Bundesstraße 56 plötzlich ansteigt. Stärkere Beben als das von Roermond vor 16 Jahren erwartet der Forscher in der Region nicht.

Auf der Europäischen Makroseismischen Skala mit Werten von eins bis zwölf, die vergleichbar mit den Windstärken sind, erreichte es damals in Bonn die Intensität "sieben". Bonatz: "Das ist im übertragenen Sinne ein Wind, bei dem Ziegel vom Dach fliegen, mehr nicht."

Neben der Messkammer des Observatoriums, im Registrierraum, schrillt eine Warnglocke. Auf einem der vielen Computerbildschirme steigt eine Kurve sprunghaft nach oben. Schwankt irgendwo auf der Welt die Erdoberfläche?

Nein, in der Messkammer haben sich zu lange Menschen aufgehalten und die Raumtemperatur leicht erhöht - für die Messgeräte schon zu viel. "Die sind so empfindlich", sagt Bonatz und sperrt die Holztür wieder zu, "dass sie schon von Gedanken beeinflusst werden."

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