Der Tag des Urteils

Kommentar

Lebenslange Haft für Zdenek H.. Mit der Feststellung der besonderen Schwere der Schuld hat das Gericht verhindert, dass er nach 15 Jahren in die Freiheit entlassen werden kann. Polizei und Justiz haben ihre Arbeit getan. Sie haben sie gut getan: Hannahs Mörder wurde wenige Tage nach der Tat gefasst und außerordentlich schnell zur Rechenschaft gezogen. Justiz und Polizei haben alles getan, was sie tun konnten. Dafür gebührt ihnen Respekt.

Und doch: Wie wenig, wie erbärmlich wenig konnten sie tun! Sie konnten Hannahs Familie in ihrem Schmerz und in dem schrecklichen Bewusstsein, unter welchen Qualen sie nach einem nur 14-jährigen Leben gestorben ist, nicht helfen. Niemand kann das.

Obwohl viele es versucht haben. Die Schule, die Hannah besuchte, die Polizei, die ihre Familie vor Neugierigen abschirmte, die nach Tausenden zählende Schar, die sich in Königswinter zu einem Trauerzug formierte, die ehrenamtlichen Betreuer, die Seelsorger - sie alle haben sich um Signale des Mitgefühls bemüht.

Sie wollten zum Trost der Opfer beitragen, was sie vermochten. Es ist eben doch nicht so, dass jeder sich selbst der Nächste ist. Vielmehr ist jeder der Nächste des anderen. Die Königswinterer haben auf eindrucksvolle Weise Mitmenschlichkeit bewiesen.

Die Ermordung Hannahs hat - weit über das Siebengebirge hinaus - die Menschen nicht nur berührt. Viele fühlten sich persönlich getroffen. Es war deshalb mehr als gerechtfertigt, es war (anfangs auch im Interesse der Aufklärung) die Pflicht der Medien zu berichten. Beschämenderweise haben einige unter dem Deckmantel der Chronistenpflicht mit den Gefühlen ihrer Leser oder Zuschauer, vor allem aber mit den Gefühlen der Familie Hannahs ein trauriges Spiel getrieben.

So zwingend es ist, dass die genauen Umstände eines Verbrechens in allen Einzelheiten vor Gericht dargestellt werden, so fragwürdig ist doch ihre gleichermaßen detaillierte Wiedergabe in Zeitung oder Fernsehen. Sie verlängert noch den Schock, sie verstärkt die Bedrückung der Opfer.

Beschämend auch, dass manche Medienvertreter die Familie und Nachbarn Hannahs förmlich belagerten, dass sie dem Wunsch der Eltern, ihre Tochter in Würde und Stille zu bestatten, nur widerwillig folgten. Musste es sein, dass ein großer Privatsender eine Zeichnerin und einen Psychologen in den Verhandlungssaal entsandte - mit dem Auftrag, Hannahs Vater bei seiner Aussage zu zeichnen, zu beobachten und ihn im Nachhinein zu "analysieren"?

Erst nach einem eindringlichen Appell ließen die TV-Leute von ihrem Vorhaben ab. Wer so handelt, darf sich nicht wundern, wenn den Medien nachgesagt wird, das Unglück anderer herbeizusehnen, um es gewinnbringend vermarkten zu können.

Daraus nun die Lehre zu ziehen, man müsse das Presserecht ändern, würde wohl mehr schaden als nutzen. Da ist schlicht und einfach mehr Verantwortungsbewusstsein gefragt, mehr Schamgefühl.

Anders verhält es sich mit dem Opferschutz. Im Gerichtssaal ist er zwar verwirklicht, aber vor dessen Tür hört er praktisch auf. Die vorbildliche Art, in der die Schule und die engagierten Helfer sich um die Familie, die Freunde, die Mitschüler Hannahs bemüht haben, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass dies keine Selbstverständlichkeit ist. Da hat sich nicht zum ersten Mal eine Lücke gezeigt, die der Gesetzgeber schließen muss.

[ zum Bericht ]

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