Die Ehefrau gesteht: "Ich habe es getan"

Wende im Prozess um tödlichen Messerstich in Troisdorf - Ihr Mann saß anderthalb Jahre unschuldig im Gefängnis

  In Handschellen  zum Ortstermin auf dem Wilhelm-Hamacher-Platz: Den Gerichtssaal wird der 40 Jahre alte Angeklagte wohl als freier Mann verlassen.

In Handschellen zum Ortstermin auf dem Wilhelm-Hamacher-Platz: Den Gerichtssaal wird der 40 Jahre alte Angeklagte wohl als freier Mann verlassen.

Foto: Holger Arndt

Troisdorf/Bonn. Jeder im Gerichtssaal scheint die Luft anzuhalten, als die Frau im Zeugenstand in Tränen ausbricht und erklärt: "Ich habe es getan. Ich möchte ein Geständnis ablegen. Ich kann es nicht mehr mit meinem Gewissen vereinbaren, dass mein Mann schon so lange unschuldig im Gefängnis sitzt."

Die Sensation ist perfekt, und die Frage, die schon länger im Raum steht, scheint beantwortet: Es war also nicht der Angeklagte, der am 21. Mai vergangenen Jahres einen 22-jährigen Junkie auf dem Wilhelm-Hamacher-Platz in Troisdorf mit einem Stich mitten ins Herz tötete, sondern seine 28 Jahre alte Ehefrau.

Seit fast eineinhalb Jahren sitzt der 40-jährige Andreas W. im Gefängnis, im November verurteilte ihn das Bonner Schwurgericht wegen Totschlags zu sechs Jahren Haft. Der Bundesgerichtshof hob das Urteil auf und ordnete die Neuverhandlung an - jedoch nur wegen starker Bedenken bezüglich des Tötungsvorsatzes. Und nun vor der 1. Großen Strafkammer scheint alles ganz anders zu kommen.

Was geschah damals wirklich? Die Zeugin berichtet: Als sie und ihr Mann mittags gegen ein Uhr auf den Hamacher-Platz zurückkamen - beide sind heroinabhängig und hatten sich bei ihrer Ärztin ihr Methadon abgeholt - kam ihr Freund, der in ihrem Auftrag Heroin an den Kunden brachte, auf sie zu: Ein 22-jähriger Kunde mache Stress und fordere fünf Euro zurück, weil er zu wenig für sein Geld bekommen habe.

Er habe ein Messer und habe ihn bedroht. Tatsächlich kam der 22-Jährige nun auf Andreas W. zu und begann einen Streit. Der 22-Jährige sei sehr aggressiv gewesen, schildert die Zeugin nun, und als er ihren Mann zu Boden geschlagen habe, sei sie auf ihn los.

Doch er habe auch sie umgeschubst, sie sei über ihren Mann gestolpert und habe dabei ihr Handy verloren. Und als sie es auf dem Boden gesucht habe, habe dort das Messer ihres Mannes gelegen. Sie habe es aufgehoben, und als der 22-Jährige auf einmal den Freund attackiert habe, mit ihm in den Blumenkübel gefallen sei, den Freund sogar in den Schwitzkasten genommen habe, sei sie dazwischen gegangen.

Sie habe dem 22-Jährigen das Messer vorgehalten und ihn damit berührt: "Aber doch nur, damit er endlich aufhört." Sie habe Angst um ihren Mann gehabt und um den Freund, sie habe gedacht, der 22-Jährige habe immer noch ein Messer. Aber sie habe auf keinen Fall bewusst zugestochen. "Ich wollte doch nur, dass der aufhört." Und dann habe der plötzlich geblutet und sei auf einmal zusammengebrochen.

Sie seien ganz schnell ins Auto gesprungen - und hätten überhaupt nicht begriffen, was passiert sei. Sie habe weinend gesagt, sie habe den 22-Jährigen angeritzt, aber ihr Mann habe sie beruhigt, sie könne das nicht gewesen sein. Aber jetzt denke sie: "Außer mir kann es keiner gewesen sein, nur ich hatte das Tatmesser."

Im ersten Prozess gegen ihren Mann habe sie noch gedacht, sie könne es nicht gewesen sein, und begreifen könne sie es auch jetzt noch nicht: "Ich gehe doch nicht hin und steche jemanden ab."

Jede Nacht, sagt sie, sehe sie die Bilder und zerbreche sich den Kopf, wie es passiert sein könnte - und was sie verloren habe. Warum sie denn nicht nach dem Urteil gegen ihren Mann etwas unternommen habe, wird sie gefragt. "Leute haben mir gesagt, dir glaubt doch sowieso keiner mehr."

Jetzt schluchzt sie haltlos: "Ich habe ihn nicht mehr im Knast besucht, weil ich ihm nicht in die Augen sehen konnte." Dann springt sie plötzlich auf, und bevor jemand sie hindern kann, läuft sie auf ihren Mann zu. "Ich hoffe, du kannst mir verzeihen", ruft sie und umschlingt ihn über den Tisch hinweg. Er umarmt sie und murmelt: "Ist okay."

Bis zum späten Nachmittag wartet die Frau ab, was passiert, und dann geschieht es: Die Kammer hebt den Haftbefehl gegen den Angeklagten auf - gegen den Willen des Staatsanwalts, der der Ehefrau nicht glaubt.

Doch die Kammer beschließt: Andreas W. ist der Tat nicht mehr dringend verdächtig, denn auf Grund aller Umstände besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass seine Frau den 22-Jährigen tötete. Der Prozess gegen Andreas W. wird nächste Woche fortgesetzt - und wird wohl anders enden als der erste.

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