Die Scheune in Gratzfeld ist seine Schatzkammer

Karl-Heinz Bluhm hortet auf der grünen Wiese Gebrauchsgegenstände aus vergangenen Zeiten - Der Rundgang führt von Omas Waschbottich zum Pionier-PC aus dem Jahr 1975

Gratzfeld. Gratzfeld ist ein idyllisches Dörfchen im Oberhau, wo es noch richtig Landwirtschaft mit Kühen auf grünen Wiesen gibt. Auf einer dieser Wiesen steht eine ganz besondere Scheune: Dort findet sich fast alles, was die Landbevölkerung Anfang des vergangenen Jahrhunderts zum Leben brauchte.

Die dort von Karl-Heinz Bluhm liebevoll gesammelten und aufbewahrten Gegenstände künden von einer Zeit, in der das Leben noch geruhsam, aber auch um ein Vielfaches beschwerlicher war als heute.

Ein Blick in die Schusterwerkstatt belegt, dass Schuhe in jener Zeit durch die Bank von Hand gefertigt wurden. Ein Döschen mit Holzpinnchen gibt es da, damit wurden die Sohlen an den Schuhen befestigt und weil sich diese Holzstifte mitunter durchtraten und dem Träger arge Pein an den Füßen verursachten, hat Bluhm auch eine Raspel verwahrt, mit der der Schuster die Störenfriede wieder abschleifen konnte.

In der Küche daneben wundert man sich, mit welch einfachen Mitteln die Bauersfrau Geschirr zu spülen pflegte. Ein Spülstein, daneben ein Abtropfbrett, das war's. Auf dem Herd mit dem typischen Metallring drumherum steht ein Waffeleisen im Feuerloch, elektrischen Strom gab es nicht und wer Waffeln am Sonntag zum Nachmittagskaffee wollte, musste eben kräftig Holz nachlegen.

Müde von des Tages Last betteten sich die Oberhauer, nicht ohne zuvor in kalten Nächten die metallene Wärmflasche mit warmem Wasser gefüllt zu haben. Und wenn sie des Nächtens ein menschliches Bedürfnis verspürten, tat der Nachttopf aus Emaille gute Dienste. In Zeiten schwerer Landarbeit fiel ein Haufen schmutziger Kleidung an. Sie kam in einen Holzbottich mit heißem Wasser, eine Ladung "Persil" dazu und anschließend ab damit aufs Waschbrett.

Aus verschiedenen Handwerken hat der passionierte Sammler Bluhm seine Erinnerungsstücke zusammengetragen. Da gibt es Hobel aus der Schreinerei, vom Barbier den Riemen, mit dem dieser seine Messer schliff und auch der typische blankpolierte Metallteller, der früher vor jedem Frisörladen hing, fehlt nicht. Zeitsprung: Wir schreiben das Jahr 1975 und die elektronische Datenverarbeitung hält Einzug.

Aus einem Siegburger Büro für Baustatik und Tragwerksplanung stammt ein Computer der Marke "Wang 2200 S 2", der wahre Wunderdinge vollbrachte und zum Preis von 52 000 D-Mark zu haben war. Ohne Software, die kostete noch einmal 40 000 DM extra. Doch es muss sich gerechnet haben, denn sonst hätte der Statiker dieses Vermögen wahrscheinlich nicht investiert.

Voll gepackt sind in dieser Abteilung die Regale mit alten Radios und Tonbandgeräten, sogar ein Pioniergerät der Tonaufzeichnung hat Bluhm aufgetrieben, ein Tondrahtgerät aus dem Jahr 1886. Nebenan steht ein original Fernschreiber von Siemens, und man meint, im nächsten Moment müsste er losrattern.

Bluhms große Leidenschaft ist in einem anderen Raum zu bestaunen. Motorräder, soweit das Auge reicht. Die meisten davon fahrbereit und zugelassen, Marken wie NSU, Ardie, BMW, Heinkel lassen die Erinnerung an die Massenmotorisierung der 1950er Jahre aufleben, als es bei vielen nicht für ein Auto reichte. Noch heute holt Bluhm regelmäßig die BMW 25/2 aus der Scheune und fährt durch die Lande.

Wussten Sie, dass Paul Lemmerz die Speichenfelge für Autos entwickelte? Ein Exemplar davon neben dem Porträt des Industriellen kündet von der epochalen Erfindung, die in den 1960er/70er Jahren zum Non-plus-Ultra sportlicher Flitzer gehörte.

Warum diese Schätzchen auf der grünen Wiese? "Ich kann einfach nichts wegwerfen", bekennt Bluhm. Vor rund fünf Jahren begann er damit, seine Zeitzeugnisse zu systematisieren und aufzuarbeiten. Ein Ende der Sammelleidenschaft ist bei dem agilen Rentner, der fast 40 Jahre bei den Kölner Ford-Werken im Logistikbereich seine Brötchen verdiente, nicht in Sicht.

Immer noch nimmt er Sachen an, die ihm aus dem Oberhau zugetragen werden. So wie er die 20 Telefonapparate vergangener Jahrzehnte gesammelt hat, weiße aus Bakelit, grüne aus Kunststoff mit Textilbezug, andere mit Kurbel und alles stilecht drapiert in einer gelben Telefonzelle der ehemaligen Deutschen Bundespost.

Einmal im Jahr öffnet Bluhm seine Schatzkammer für die Öffentlichkeit, ansonsten kann man nach Terminabsprache nach Herzenslust stöbern. Bluhm's Wunsch: Schulklassen sollten ihn mehr besuchen als bisher, damit die Kinder einen realen Eindruck bekommen von den Lebens- und Arbeitsverhältnissen ihrer Vorfahren.

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