Drohungen lösen höchste Alarmstufe aus

Beim Mammutverfahren gegen mutmaßlichen Drogenboss bewachen bewaffnete Polizisten das Bonner Gericht

Bonn. Zahlreiche Polizisten mit Maschinenpistolen stehen an diesem Morgen an jeder Ecke vor dem Landgericht an der Wilhelmstraße. Plötzlich halten Beamte den Verkehr auf der gesamten Kreuzung an; auch die Straßenbahn wird gestoppt und muss warten, bis gepanzerte Wagen hinter dem Landgericht verschwinden. An den Eingangstüren des Gerichts ist der Hinweis zu lesen: "Auf Grund einer aktuellen Bedrohungslage haben sich den Sicherheitskontrollen alle Besucher des Gerichts ohne Ausnahme zu unterziehen." Es ist der 34. Verhandlungstag in dem seit März streng gesicherten Mammutverfahren gegen einen mutmaßlichen kurdischen Drogenboss, laut Anklage ein wichtiges Mitglied einer führenden Mafiafamilie in der Türkei. Doch seit gestern herrscht im Landgericht die allerhöchste Sicherheitsstufe: Es gingen massive Drohungen im Rahmen des Drogenprozesses ein.

Jeder Besucher, ob Anwalt, Zeuge oder Prozessbeobachter, wird an diesem Morgen ganz genau durchsucht, und wer den abgeriegelten und von Justizwachtmeistern und Kriminalbeamten in schusssicheren Westen bewachten Saal 36 betreten will, muss sich einer zweiten Durchsuchung unterziehen. Das gilt auch für die Verteidiger des 37-jährigen Hauptangeklagten und seines 50-jährigen mutmaßlichen Helfers. Doch während Rechtsanwalt Thomas Ohm, Verteidiger des 50-jährigen Angeklagten, die Prozedur, wenn auch irritiert, über sich ergehen lässt, weigert sich sein Bremer Kollege Hans-Eberhard Schultz mit Nachdruck.

Eine Stunde lang lässt er die 1. Große Strafkammer seinen Mandanten und die übrigen Prozessbeteiligten warten, beschwert sich über "Schikane", die willkürlich und überflüssig sei, bevor er sich wie alle anderen doch durchsuchen lässt. Dass die Sicherheitsmaßnahmen nicht Schikane sein sollen, sondern der Sicherheit aller, auch der Anwälte dienen, versucht ihm schließlich Kammervorsitzender Josef Janßen klar zu machen. Doch Anwalt Schultz bleibt dabei: Das habe er noch nicht erlebt. Glaubt man ihm, so ist sein Mandant auch kein Drogenboss, der mit seiner Großfamilie einen schwunghaften Heroinhandel organisierte und mit Hilfe zahlreicher Kuriere eine dreiviertel Tonne reines Heroin von der Türkei über Deutschland nach Holland schleuste.

Sondern, so der Anwalt: Der 37-jährige Kurde kam an die Millionen, die die Justiz bei ihm nach der Verhaftung sicherstellte, als Spross einer reichen Großgrundbesitzerfamilie. Die belastenden Aussagen seiner mittlerweile ebenfalls inhaftierten mutmaßlichen Kuriere und Fahrer aber, so der Verteidiger, wurden durch Folter von der türkischen Polizei erpresst und später zurückgenommen. Wie schwierig die Vernehmungen dieser Zeugen in der Türkei sind, haben nicht nur die Ermittlungsbeamten festgestellt, sondern auch die Richter, die zur Vernehmung inhaftierter Zeugen in die Türkei reisen mussten und noch reisen müssen.

Welche Brisanz diesem Verfahren, das noch bis März 2001 terminiert ist, zukommt, vermag eine Geschichte zu belegen, die einer der Verteidiger am Rande des Prozesses erzählte: Der Onkel des Hauptangeklagten, der wie viele Familienmitglieder wegen Drogenhandels für Jahre im Gefängnis sitze, klage die türkische Regierung öffentlich an, ihrerseits mit Drogenhandel den Kampf gegen die Kurden zu finanzieren.

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