Ehemalige Assistentin lüftet Geheimnis um letzte Tage Adenauers

Anneliese Poppinga, die Chronistin, die Adenauer bei seinen Memoiren unterstützte und als Geschäftsführerin der Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus das Andenken an den ersten Kanzler der Bundesrepublik bewahrte, hielt ihre Aufzeichnungen über vier Jahrzehnte unter Verschluss.

Bad Honnef. Am Fronleichnamstag des Jahres 1958 traf der katholische Pfarrer Samuel McCarty mit der Eisenbahn in Bad Honnef ein. Sein Ziel: die Insel Grafenwerth. Hier kämpfte er sich zu Konrad Adenauer vor, der wie immer in der ersten Reihe an der Fronleichnamsmesse teilnahm.

Für den Amerikaner ging sein größter Wunsch in Erfüllung. Er lernte nach Papst Pius XII. und Therese Neumann aus Konnersreuth, die durch ihre Stigmata bekannt wurde, nun auch Adenauer kennen, und damit hatte er nun die für ihn drei wichtigsten Persönlichkeiten des Abendlandes gesehen. "Jetzt fahre ich befriedigt nach Hause", erklärte er dem Bundeskanzler.

Der Spiegel berichtete damals über das kleine Intermezzo. Bei der Fronleichnamsprozession auf der Rheininsel fehlte Adenauer nie, weiß auch Anneliese Poppinga, die in einem neuen Buch die letzten Tage Adenauers beleuchtet. So versäumte der gläubige Katholik auch die Fronleichnamsfeier am 6. Juni 1966 nicht. Im Monat zuvor hatte er Israel besucht.

Im Februar 1967 brach er nach Spanien auf; eine Kurzvisite bei Charles de Gaulle in Paris schob er bei der Rücktour ein. Diese großen Reisen schilderte Anneliese Poppinga bereits in ihren "Erinnerungen an Konrad Adenauer". Der Historiker und Schriftsteller Golo Mann hatte es als ihre Pflicht bezeichnet, über die Zeit mit Konrad Adenauer zu schreiben. "Ich hätte das sonst nie getan", so die Autorin. Ihr 1970 erschienener Erstling wurde ein Bestseller.

Die Lübeckerin, die dem Politiker von 1958 bis zu seinem Tod am 19. April 1967 zunächst als Sekretärin im Kanzleramt und später als wissenschaftliche Assistentin zur Seite stand, machte sich aber auch Notizen über seine letzten Tage. "Wie unter einem inneren Zwang" habe sie diese Niederschrift gefertigt. Indes: Diese Aufzeichnungen blieben ihr Geheimnis.

"Ich habe mit niemandem darüber gesprochen, geschweige denn, sie jemandem gezeigt." Die Chronistin, die Adenauer bei seinen Memoiren unterstützte und als Geschäftsführerin der Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus das Andenken an den ersten Kanzler der Bundesrepublik bewahrte, hielt diese Zeilen über vier Jahrzehnte unter Verschluss.

Bis Professor Arnulf Baring sie zu ihrem 80. Geburtstag bat, die letzten Wochen Adenauers zu dokumentieren. "Ich wurde von vielen Seiten bedrängt, mein Wissen bekannt zu machen." Auch Mitglieder der Familie Adenauer ermutigten sie, den Schatz zu heben. Schließlich rang sie sich dann doch durch. Herausgekommen ist das Buch: "Adenauers letzte Tage".

In ihm sind zunächst als Einstieg die Reisen aus ihren "Erinnerungen" nochmals veröffentlicht. Auch für "Wiederholer" sind diese Kapitel kein bisschen langweilig: die aufwühlenden Erlebnisse in Israel und Spanien, später ein Flug nach München bei Orkanstärke 10 und die erfolglosen Bemühungen Anneliese Poppingas, ihn davon abzuhalten. Adenauer lächelte nur: "Irgendwie muss ich doch einmal in den Himmel kommen." Es folgt die Darlegung der letzten Wochen.

Die Zeitzeugin geht auf die Sorge des Alten ein, er könne die Memoiren nicht mehr schaffen, seine Arbeitswut: "Ich darf noch nicht sterben!" Ein Herzinfarkt Ende März. Der Appetit auf ein Brathendl. Der Altkanzler hatte kurz zuvor den Erfinder der Wienerwald-Kette kennengelernt. Haushälterin Resi Schlief bereitete das Hähnchen zu. Der Chauffeur holte in einer Filiale in Bonn eine Originalverpackung. Es sollte echt wirken.

"Das kann nun ein jeder für nur 3,50 Mark kaufen. Das ist doch etwas! Da sieht man doch einmal ein praktisches Ergebnis der Politik seit 1949," zitiert Poppinga den glücklichen Adenauer. Der Atomwaffensperrvertrag, das Verhältnis zu Washington beschäftigten ihn. Er wechselte Telegramme mit de Gaulle in Sachen Europa. Bundeskanzler Kurt Kiesinger kam am 3. April nach Rhöndorf. Die Befürchtung der Ärztin: "Der Besuch kann in jeder Minute den Tod auslösen."

Aber nein, Adenauer lebte sichtlich auf. Später schwere Träume. Wünsche nach Musik, Haydn, Vivaldi. Immer wieder ließ sich der Patient einen Bericht über ein bevorstehendes Treffen der EWG-Staatschefs vorlesen. "Die Hoffnung auf ein Gelingen der Politischen Union Europas begleitete Adenauer bis in seine letzten Tage", vermerkt Poppinga.

Nach seiner Sterbestunde: "Ich brach vom Aprikosenbaum, den Konrad Adenauer sehr liebte, Blütenzweige und stellte sie in das Sterbezimmer." Ein anrührendes Buch. Gut, dass Anneliese Poppinga ihre Schreibtischschublade für alle öffnete.

"Adenauers letzte Tage - Die Erinnerungen seiner engsten Mitarbeiterin" erschien im Hohenheim-Verlag Stuttgart/Leipzig, 176 Seiten, 15 Euro.

Zur PersonAnneliese Poppinga wurde 1928 in Lübeck geboren. Nach Stationen im Auswärtigen Amt und in den Botschaften in London und Tokio wurde sie 1958 Sekretärin Adenauers. Eigentlich hatte sie durch ihre Arbeit für das AA nur Geld für ihr Jurastudium ansparen wollen. Nach Adenauers Rücktritt war sie seine wissenschaftliche Assistentin.

Nach Adenauers Tod sicherte sie den schriftlichen Nachlass. 1970 ließ sie sich beurlauben, um ihr Studium wieder aufzunehmen. Sie promovierte 1974 und war anschließend bis 1990 Geschäftsführerin der Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort